Philosophie der Wissenschaft. Georg Römpp

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Philosophie der Wissenschaft - Georg Römpp

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immer gelten. Sie soll nicht ein bestimmtes Gefühl beschreiben und sie soll nicht den Zustand eines bestimmten Menschen in einer bestimmten Situation angeben.

      Solche Erklärungen sind nicht beliebig durch andere Erklärungen ersetzbar. Im Alltag können wir die beklagenswerte Tatsache, dass der Champagner zu warm ist, wahlweise dadurch erklären, dass er zu lange auf dem Tisch stand, oder, wenn wir der Unzufriedenheit mit den schlechten Leistungen des Hauspersonals Ausdruck geben wollen, auch dadurch, dass der Butler nachlässig war. Natürlich sind diese beiden Erklärungen kompatibel. Aber für eine Alltagserklärung kommt es nur darauf an, dass ein ausreichendes Gefühl für das Klarwerden eines Ereignisses oder eines Phänomens entsteht, und dafür können wir zwischen der einen und der anderen Erklärung (und sicher noch vielen anderen) wählen. Es gibt hier eigentlich keine richtigen und falschen Erklärungen, sondern eine Erklärung gelingt, wenn sie uns das befriedigende Gefühl des genügenden Klarwerdens verschafft, und sie misslingt, wenn sie uns in dieser Hinsicht unbefriedigt lässt.

      Wissenschaftliche Erklärungen sind also deshalb nicht beliebig ersetzbar durch andere Erklärungen, weil ihr Gelingen nicht durch das Kriterium der Erzeugung eines subjektiven Gefühls oder Zustandes beim Adressaten der Erklärung (der auch derjenige selbst sein kann, der die Erklärung gibt) bestimmt wird. Es mag viele Menschen geben, deren subjektiver Erklärungsbedarf dadurch befriedigt wird, dass der im Vergleich zu Menschen, die schon länger in Deutschland leben, geringere Bildungserfolg von Migranten auf genetische Faktoren zurückgeführt wird. Die wissenschaftliche Erklärung dagegen, welche die Ursache für diese Tatsache im vergleichsweise geringeren Bildungsstand der Herkunftsfamilien erkennt und weiß, dass der Bildungsstand der Eltern der wichtigste Faktor für die Prognose von Bildungserfolg darstellt, mag für eben diese Menschen gerade keine befriedigende Erklärung liefern, d. h. sie versetzt sie nicht in den entsprechenden Zustand, in dem sie ein Gefühl des ‚Klarwerdens‘ bzw. des ‚Erklärtseins‘ erleben. Aber solche Beispiele lassen sich auch auf dem Gebiet der Naturwissenschaft finden. Wer die kontraintuitive Idee eines Raum-Zeit-Kontinuums zum Besten gibt und dafür – wissenschaftlich korrekt – die Relativitätstheorie als Erklärung heranzieht, wird bei den meisten Menschen keinen Zustand des ‚Klarwerdens‘ mit dem Gefühl einer zufriedenstellenden Erklärung erreichen.

      Diese fundamentalen Ansprüche an eine wissenschaftliche Erklärung, mit der wissenschaftliches Wissen sich von anderem und nicht wissenschaftlich erklärendem Wissen unterscheidet, werden in der Wissenschaft auf verschiedene Weise eingelöst. Hauptsächlich lassen sich vier verschiedene Typen der wissenschaftlichen Erklärung unterscheiden:

      1) Die deduktiv-nomologische Erklärung, bei der die Ereignisse aus einem allgemeinen Gesetz abgeleitet werden. Der Erklärungserfolg hängt hier von der Geltung deterministischer Gesetze und von der richtigen Subsumtion einzelner Ereignisse ab. Es ist allerdings nicht richtig zu sagen, dass damit kausale Erklärungen vorgenommen werden. Eine kausale Erklärung beruht auf einem Unterschied in der Zeit nach früher und später, weshalb sie nur auf irreversible Vorgänge anzuwenden ist. Dagegen spielt die Verlaufsrichtung bei sehr vielen deterministischen Vorgängen wie etwa in der klassischen Mechanik oder Elektrodynamik keine Rolle. Für eine solche Erklärung hat es keine begründende Bedeutung, ob das Sonnensystem aus einem Materiewirbel entstanden ist, oder ob sich das Sonnensystem in den Materiewirbel zurückentwickelt. Man kann also deduktiv-nomologische Erklärungen nicht einfach mit Kausalerklärungen gleichsetzen. In der Wissenschaftstheorie des 20. Jahrhunderts galten deduktiv-nomologische Erklärungen lange Zeit als die Standardform wissenschaftlicher Erklärungen.

      2) Man kann gegen eine solche Auffassung jedoch auf das – ältere – Verfahren der kausalen Modellierung verweisen. Dabei muss für die Erklärung eines Ereignisses nicht unbedingt ein einzelnes anderes Ereignis herangezogen werden, das die Ursache des ersteren ist. Eine Kausalerklärung kann erheblich komplexere Formen annehmen, wenn einzelne Faktoren identifiziert werden, die nur ‚kausal relevant‘ sind. Das entspricht der Alltagserfahrung, dass die meisten Ereignisse auf eine sehr komplizierte Weise Bedingungen erfordern, um überhaupt zustande zu kommen. Eine kausale Modellierung versucht dann ein solches Gefüge von Bedingungen aufzufinden, in dem die einzelnen Faktoren kausal relevant sind. Eine Kausalerklärung muss also nicht monokausal vorgehen, sondern kann ganz unterschiedliche deterministische und sogar probabilistische Gesetzmäßigkeiten heranziehen. Um eine Lawine auszulösen, müssen sehr viele verschiedene Faktoren zusammenkommen.

      3) Darüber hinaus gibt es in der Wissenschaft aber auch probabilistische Erklärungen, die man in manchen Fällen als Spezialform von deduktiv-nomologischen Erklärungen auffassen kann. Aber erklärt werden kann auch mithilfe von statistischen Zusammenhängen, bei denen man nicht von Gesetzlichkeit und Kausalität sprechen kann. Dabei werden zur Erklärung Korrelationen herangezogen. Ein Beispiel dafür stellt der Zusammenhang zwischen Rauchen und Lungenkrebs dar, der grundsätzlich probabilistischer Natur ist, obwohl über die Kausalzusammenhänge Theorien bekannt sind, die aber weder im deduktiv-nomologischen noch im kausalen Sinne zur Erklärung ausreichen können. Mit einem probabilistischen Gesetz kann kein einzelnes Ereignis vorausgesagt werden, sondern es lassen sich nur Ereignisse für statistische Gesamtheiten prognostizieren.

      4) Schließlich kann als Erklären in der Naturwissenschaft aber auch ein Verfahren bezeichnet werden, das zu einer Vereinheitlichung der Theorie führt. Das Erklären gilt dann als gelungen, wenn ein Ereignis in eine einheitliche und umfassende Theorie eingebettet werden kann. Etwas ist dann erklärt, sobald man es in einen umfassenden und kohärenten Wissenshorizont stellen kann. Das setzt natürlich voraus, dass diese ‚Grand Theory‘ selbst als gut bestätigt gilt und ihre wissenschaftliche Erklärungsfähigkeit nicht bezweifelt werden kann.

      Die Wissenschaft erklärt und diese Erklärungen können nach verschiedenen Modellen ablaufen. Aber die Wissenschaft erklärt uns auch die Welt, d. h. die Erklärungen und der dadurch erreichte subjektive Zustand der Befriedigung durch Erklärungen sind nur wissenschaftlicher Natur, wenn sie von der Welt gelten, über die Welt etwas aussagen, und die Welt intersubjektiv geltend beschreiben. Damit stellt sich die Frage, was es denn genauer bedeutet, dass die Wissenschaft uns (a) die Welt beschreibt, wie sie ist, und uns (b) die Ereignisse der Welt erklärt. Wie kommen wir in der Wissenschaft also zur Welt? ‚Wissenschaft‘ ist offenbar ein Zusammenhang von Aussagen/Sätzen/Behauptungen über die Welt. Dieses ‚über‘ müssen wir aus wissenschaftsphilosophischer Perspektive also genauer untersuchen, wenn wir den Wissensanspruch der empirischen Wissenschaft (‚science‘) verstehen wollen. Es könnten sich folgenreiche Probleme daraus ergeben, dass ‚die Welt‘ kein Zusammenhang von Aussagen/Sätzen/Behauptungen ist, und hier können die Philosophen bei den Forschern aus den empirischen Wissenschaften auf Zustimmung hoffen. Aber aus philosophischer Perspektive stellt sich darüber hinaus die Frage, was es denn heißen solle, dass die Aussagen und Gesetze der Wissenschaft sich in der Weise des ‚über‘ oder auch des ‚von‘ auf die Welt beziehen.

      Der Umgang mit dieser Frage wird seit langer Zeit durch die Auseinandersetzung zwischen zwei verschiedenen Wahrheitstheorien geprägt. In der traditionellen oder klassischen Theorie wird ‚Wahrheit‘ als Übereinstimmung zwischen einem wissenschaftlich behaupteten Sachverhalt und seinem wirklichen Bestehen in der Welt aufgefasst. Eine solche Theorie stößt sehr bald auf das Problem, wie denn ein sprachlich ausgedrückter und damit mental existierender Sachverhalt mit einem Ausschnitt der wirklichen Welt ‚übereinstimmen‘ könne. Wie kann die Sprache denn so zur Welt kommen, dass die Welt sich in ihr darstellen lässt? Dieses ungelöste Problem führte zur Ausarbeitung radikal anderer Auffassungen von Wahrheit. Etwa wurde vorgeschlagen, um eine Aussage als ‚wahr‘ bezeichnen zu dürfen, könne es schon ausreichen, dass eine ausreichende Kohärenz zwischen ihr und dem bereits geltenden Wissen sowie den sprachlich beschreibbaren Beobachtungen im Rahmen der wissenschaftlichen Forschung nachgewiesen werden könne. Wichtiger aber ist in der Gegenwart des philosophischen Denkens eine andere Auffassung geworden. Ihr zufolge kann es für die Behauptung der Wahrheit des wissenschaftlichen Wissens genügen, dass

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