Philosophie der Wissenschaft. Georg Römpp

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Philosophie der Wissenschaft - Georg Römpp

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Wissenschaftlern vorschreiben, was sie zu tun und zu lassen haben und wie sie ‚gute‘ von ‚schlechter‘ Wissenschaft unterscheiden können. In der Regel sind Wissenschaftler relativ intelligente Menschen und können solche Fragen unter sich regeln. Mit dem Entwerfen von Vorschriften für ‚richtiges‘ Arbeiten in den Wissenschaften geben sich wohl noch einige Wissenschaftstheoretiker im engeren Sinne ab, während die Philosophie der Wissenschaft davon Abstand hält. Sie beschäftigt sich stattdessen mit ‚Wissenschafts-reflexion‘, d. h. sie verlässt die Haltung der Wissenschaft, die in Richtung der Dinge und Ereignisse in der Welt abzielt, und wendet sich zurück auf eben das Tun der Wissenschaft selbst. Dazu gehört zunächst die Rekonstruktion dessen, was Wissenschaftler tun, und an dieser Stelle wird noch sehr wenig bis überhaupt keine Philosophie eingesetzt, anders gesagt: eine empirische Beschreibung von Wissenschaft ist zwar eine wichtige Grundlage für die Philosophie der Wissenschaft, aber sie ist selbst noch keine Philosophie.

      Ein sehr allgemeines Verständnis für dieses Kriterium könnte so beschrieben werden. In der Wissenschaft ebenso wie in Systemen von Glaubensüberzeugungen geht es um Beschreibungen und Erklärungen für die Welt der Tatsachen bzw. der Dinge – was sie sind, wie sie sind, warum sie so sind, und auf welche Weise wir sie am besten nach unseren Wünschen beeinflussen können. In der Philosophie dagegen wird ‚zurück-beugend‘ – ‚reflektiert‘ wörtlich übersetzt – gedacht, d. h. das hier gesuchte Wissen bezieht sich auf eben die Beschreibungen und Erklärungen für die Welt der Tatsachen und Dinge, über die wir in der Wissenschaft ebenso wie in Systemen von Glaubensüberzeugungen und im alltäglich-lebensweltlichen Wissen Auskunft gewinnen wollen. Das philosophische Wissen bezieht sich also auf die begrifflichen und gedanklichen Mittel, mit denen wir nach einem ‚direkten‘ Wissen von der Welt streben. Man könnte die Unterscheidung deshalb auch mithilfe der Ausdrücke ‚intentio recta‘ und ‚intentio obliqua‘ beschreiben. Die erstere Intention richtet sich direkt auf die Dinge und Tatsachen, die letztere dagegen auf die Gedanken und Begriffe, mit denen wir uns in der intentio recta auf die Welt beziehen.

      Der neue Zugang zu einer solchen Position, wie Hacking sie hier beschreibt, stützt sich vielmehr auf ein Argumentieren, das sich auf die verwendeten Begriffe ‚wirklich‘ und ‚existieren‘ und auf ähnliche Ausdrücke wie ‚wirklich richtig‘ oder ‚wahr‘ oder ‚es gibt‘ richtet. Was ist damit gemeint und was meinen wir, wenn wir uns mit diesem Meinen auf ‚die Welt‘ beziehen? Natürlich würde die Position eines Anti-Realismus die gleiche Behandlung vonseiten der modernen Wissenschaftsphilosophie erfahren. Was soll es heißen, dass es so etwas wie Elektronen ‚nicht gibt‘ oder dass sie nicht ‚etwas Wahres‘ darstellen? Eine Entscheidung zwischen diesen beiden Positionen wäre deshalb eine Position, die heute nicht mehr eingenommen werden kann. Wohl aber kann man danach fragen, wie solche Ausdrücke wie ‚richtig‘, ‚wahr‘, ‚existieren‘ oder ‚es gibt‘ verwendet werden, was zwischen einem Sprecher, der solche Ausdrücke verwendet, und seinem Zuhörer geschieht, welche Ansprüche damit erhoben werden, wie man auf sie reagiert und wie man die erhobenen Ansprüche einlöst.

      Wenn Wissenschaftler also behaupten, die Welt sei genau so, wie die Naturwissenschaft – und in erster Linie die Physik – es uns erklärt, und hinzufügen, es gebe das alles, von dem die Physik sagt, ‚Das gibt es‘, und betonen, das sei alles wirklich so, wie die Gesetze der Physik es beschreiben, dann ist das aus der Perspektive der Wissenschaftsphilosophie gar nicht so falsch. Also steht die Naturwissenschaft doch in Kontakt mit der Welt, wie sie an sich ist, und erklärt uns, wie die Wirklichkeit von Anbeginn der Zeit und bis in alle Ewigkeit hin war, ist und sein wird? Äh, jein. Der Philosoph muss auch an dieser Stelle den Spielverderber spielen, ohne aber einfach widersprechen zu können – er kann nur und immer wieder die lästige Antwort geben, die man eigentlich von Juristen erwartet: ‚Das kommt darauf an‘. Und worauf kommt es an? Nun, natürlich darauf, wie man solche Ausdrücke wie ‚es gibt‘ und ‚es ist‘ und ‚wirklich‘ und ähnliche versteht.

      Wenn die Philosophie ‚Reflexion‘ ist und sich damit weder mit der empirischen Wirklichkeit (direkt) befasst noch Begriffsanalyse ist, so ist sie eine Erweiterung des Denkhorizontes der Wissenschaft und ihrer Theoriebildung über die ‚Welt‘. Ist sie damit ‚wahrer‘? Ist sie damit ‚näher‘ an der Wirklichkeit? Nein, denn natürlich gilt für sie das Gleiche wie für die Wissenschaft selbst. Wissenschaft ist grundsätzlich die (Selbst-)Explikation eines bestimmten Denkhorizontes. Nichts anderes ist die Philosophie, die ihre Geschichte hat und diese Geschichte expliziert. Die Philosophie kann die Naturwissenschaften nicht erkenntnistheoretisch ‚fundieren‘, sondern nur auf sie reflektieren und sie damit aufklären – was wiederum eine Aufklärung nur für jemanden darstellt und nicht für jedermann, d. h. ihre Akzeptanz ist denkgeschichtlich voraussetzungsvoll. Aber die Reflexion gehört zu einem vollständigen Verständnis dessen, was in der Wissenschaft geschieht. Durch die wissenschaftsphilosophische ‚intentio obliqua‘ kann eine Aufklärung über den Status dieser Erkenntnis gewonnen werden. Für das menschliche Selbstverständnis ist es gerade heute in der Zeit des Vordringens der reflexionslosen Gehirnforschung in die Formung der Art, wie wir uns selbst aufzufassen haben, entscheidend, wie wir Wissenschaft, also das Wissen in der ‚intentio recta‘, aufzufassen und zu verstehen haben. Alternative Wissensformen wie Glaubenssysteme können daraus ihren Standort besser bestimmen und erkennen, wie weit sie durch Wissenschaft bedroht werden oder vielleicht auch nicht.

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