Medienwandel. Joseph Garncarz

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Medienwandel - Joseph Garncarz

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Genres. Filme, die vom Publikum favorisiert werden, bilden miteinander Erfolgsmuster in dem Sinn, dass bestimmte Filmtypen stärker als andere vertreten sind. Um die Filmvorlieben diverser Kinopublika historisch zu untersuchen, gibt es eine Fülle von bisher nicht ausgeschöpften Möglichkeiten. Das wichtigste – aber nicht das einzige – Forschungsinstrument, um Aussagen über die Präferenzen bestimmter Kinopublika machen zu können, ist die Filmerfolgsrangliste – also eine Liste, die die Filme nach ihrem Erfolg bei einem bestimmten Publikum in einem bestimmten Zeitraum (also etwa einer Spielzeit oder einem Kalenderjahr in einem bestimmten Land oder einer Region) hierarchisiert. Die auf dieser Basis beruhenden Erfolgsranglisten zeigen, wie das Publikum die große Zahl der angebotenen Filme tatsächlich genutzt hat. Da Anbieter keineswegs nur das anbieten, was das Publikum favorisiert, unterscheiden sich die Erfolgs- von den Angebotsmustern mitunter erheblich. Die Differenz zwischen beiden Mustern kann für ein Verständnis der Medienkultur sehr aufschlussreich sein.

      Die Fallstudien dieses Buchs, die mit einem empirisch-vergleichenden Begriff von Popularität arbeiten, nutzen Daten über den Erfolg von Filmen beim Publikum ebenso wie Daten über das Angebot, auf deren Basis sich der Erfolg erst interpretieren lässt. Kapitel 11 zeigt an einem Beispiel aus den 1920er- und 1930-Jahren, wie Filmproduzenten sich auf die Produktion eines bestimmten Filmtyps spezialisiert haben. Kapitel 8 macht deutlich, wie die europäischen[49] Kinopublika in den 1930er-Jahren die Fülle der angebotenen Filme hoch selektiv genutzt haben.

      Die medialen Produkte, die der Mediennutzer selektiert, können sich in unterschiedlicher Art und Weise aufeinander beziehen. Als intermedial bezeichnet man die ästhetische Beziehung zwischen zwei Produkten unterschiedlicher Medien, als intertextuell die Beziehung zwischen zwei Produkten des gleichen Mediums. Fälle von Intermedialität liegen etwa vor, wenn sich frühe Filme der Ästhetik des magischen Illusionstheaters bedienen oder wenn sich die TAGESSCHAU des Deutschen Fernsehens in den 1950er-Jahren am Modell der Kino-Wochenschau orientiert. Wenn sich dagegen z. B. die frühen Filme von Roland Emmerich am US-amerikanischen Science-Fiction-Film orientieren oder wenn mit CASINO ROYALE (GB/USA 1967) eine filmische Parodie auf die James-Bond-Filme realisiert wird, dann sind dies Beispiele für Intertextualität.

      Beide begrifflichen Konzepte stehen in der Tradition der Literaturwissenschaft, die sich im Wesentlichen für Texte und ihre Beziehung zueinander interessiert. Der Autor dieses Buchs hat für ein erweitertes Konzept der Intermedialität plädiert, das über die Texte hinaus auch die Kontexte einbezieht (wie Aufführungs- und Programmformen, Produktions- und Vertriebsformen).20

      Kapitel 6 und 15 geben Beispiele für eine intermediale Analyse im hier definierten Sinn. Kapitel 6 zeigt u. a., dass sich das Kino der Jahrmärkte sowohl hinsichtlich der Filminhalte als auch hinsichtlich der Programmform an der erfolgreichen Unterhaltungsinstitution des Varietés orientierte. Kapitel 15 macht anschaulich, dass die TAGESSSCHAU des Deutschen Fernsehens ihr Modell in den 1950er-Jahren an der Kino-Wochenschau fand, während sich das Gesamtprogramm des Fernsehens an dem des Kinos orientierte.

      Sinngemäß lässt sich das Konzept der Intertextualität auch auf Kontexte erweitern – man müsste dann sinnvollerweise einen anderen Begriff prägen, wie zum Beispiel den der Intramedialität (der teilweise auch synonym mit Intertextualität verwendet wird), der nicht nur die Beziehungen auf Text-, sondern auch auf Kontextebene erfasst. Ein Beispiel dafür ist etwa, dass sich die ersten ortsfesten Kinos hinsichtlich ihrer gezeigten Filme an den Programmangeboten der Jahrmarktkinos orientiert haben, worauf Kapitel 7 eingeht.

      Zur Wahrnehmung des Medienwandels

      Die Analyse des Medienwandels wird nur dann gelingen, wenn wir in die Analyse nicht nur eine Vielzahl von Fakten einbeziehen, sondern darüber hinaus auch bedenken,[50] dass unsere Wahrnehmung der Fakten die Art und Weise mitbestimmt, wie wir den Medienwandel beschreiben. Dies lässt sich klar daran zeigen, ob wir Mediengeschichte als evolutionären Prozess der kleinen Schritte oder als revolutionären Prozess in der Form von Umbrüchen begreifen. Mit dem Wort Umbruch wird allgemein eine plötzliche, radikale Veränderung eines bis dahin kontinuierlich verlaufenden Prozesses bezeichnet. Als Medienumbruch kann somit eine besondere Form des Medienwandels gelten, nämlich ein Wandel, der sich nicht evolutionär, sondern revolutionär vollzieht. Man kann den Begriff sowohl für die Struktur des Medienwandels als auch für seine Auswirkungen verwenden. Im ersten Fall geht man davon aus, dass sich die Etablierung neuer Medien als radikale Abkehr des Tradierten vollzieht. Verwendet man den Begriff zur Bezeichnung der Folgen des Medienwandels, dann behauptet man, seine kulturellen Auswirkungen seien so tief greifend, dass sich in der Folge der Etablierung neuer Medien die Kultur und die Gesellschaft radikal gewandelt haben.

      Vier Faktoren spielen dabei eine Rolle, wie Forscher einen Medienwandel wahrnehmen:

      Ob ein Medienwandel als Medienumbruch wahrgenommen wird, hängt erstens vom kulturgeografischen Bezugsrahmen ab, von dem aus der Medienwandel beurteilt wird. Die Wahrnehmung ändert sich je nachdem, ob die Weltkultur, die Kultur eines Landes oder die einer sozialen Schicht als Bezugsrahmen für die Wahrnehmung des jeweiligen Medienwandels gewählt wird.

      Man kann zum Beispiel argumentieren, dass das lange Kinodrama (mehr dazu in Kapitel 7) um 1910 keine Innovation darstellt, da es Dramen bereits seit der Antike gibt. Verändert man dagegen den Bezugsrahmen, dann lässt sich die Etablierung des Kinodramas als Umbruch deuten. Zum einen kann man argumentieren, die Einführung langer Dramen sei ein intramedialer Umbruch gewesen, da es zuvor im Kino keine vergleichbaren Dramen gegeben hat. Zum anderen lässt sich argumentieren, dass die Etablierung des Kinodramas deshalb ein Medienumbruch war, weil der größte Teil der Zuschauer, die ins Kino gingen, keine Dramen auf dem Theater gesehen hatte, weil das Theater in Deutschland um 1900 im Unterschied zum Kino im Wesentlichen eine Angelegenheit der oberen sozialen Schichten war.

      Ob ein Medienwandel als Medienumbruch wahrgenommen wird, hängt zweitens von der zeitlichen Perspektive ab, die der Forscher wählt: Je näher er am Objekt ist, desto wahrscheinlicher erscheint ein Medienwandel als »evolutionär«; je größer die zeitliche Distanz jedoch ist, desto grundlegender oder »revolutionärer« wird ein Medienwandel erscheinen. Verfolgt man in chronologischer Reihenfolge die Etablierung eines neuen Mediums, so erscheint dieser Prozess mit großer Wahrscheinlichkeit als ein Prozess der kleinen Schritte. Macht man jedoch zwei Zeitschnitte – den ersten in dem Moment, in dem ein neues Medium in den Markt[51] eingeführt wird, und den zweiten dann, wenn es sich etabliert hat, wird man den Wandel eher als Umbruch wahrnehmen.

      Vergleicht man zum Beispiel die Zeit um 1895 zur Einführung des Films in den Markt mit dem Jahr 1914, dann erscheint dieser Medienwandel als plötzlicher Bruch einer kontinuierlichen Entwicklung. 1896 war die Reichweite des neuen Mediums Film noch relativ gering: Artisten und Schausteller präsentierten Programme »bewegter Bilder«, die kaum länger als 15 Minuten dauerten, überwiegend in Großstädten. 1914, also weniger als zwei Jahrzehnte später, gab es knapp 2.500 ortsfeste Kinos in deutschen Groß-, Mittel- und Kleinstädten, die abendfüllende Filmprogramme boten und bis zu 250 Millionen Eintrittskarten pro Jahr verkauften. Betrachtet man diesen Medienwandel jedoch, indem man der Chronologie der Ereignisse von 1895 bis 1914 sukzessive folgt, dann zeigt sich die Etablierung des Films als ein komplexer Prozess mit vielen Zwischenstufen. Der Prozess scheint aus dieser Binnenperspektive betrachtet als evolutionär, aus der Außenperspektive dagegen als revolutionär.

      Ob ein Medienwandel als Medienumbruch wahrgenommen wird, hängt drittens von der Persönlichkeit des Forschers ab: Je aufgeschlossener für Neuerungen jemand ist, desto weniger radikal wird ihm eine Veränderung erscheinen. Je konservativer jemand ist, desto stärker wird er eine Veränderung als Umbruch wahrnehmen. Man kann auch sagen: Je stärker jemand für Veränderungen aufgeschlossen ist, desto weniger abrupt erscheint ihm ein Medienwandel, weil er mehr erwartet hat. Je stärker jemand an der Tradition festhält, desto mehr wird er einen Medienwandel als Medienumbruch wahrnehmen, da er jeglichem Wandel gegenüber skeptisch ist.

      Viertens hängt die

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