Medienwandel. Joseph Garncarz

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Geschichte der Mediendiskurse zeigt dagegen, wie über die neuen Medien gesprochen bzw. geschrieben wurde. Wie werden neue Medien wie der Film in älteren wie der Presse repräsentiert? Und welche Rolle spielten Diskurse für die Etablierung neuer Medien? Welche Rolle spielte etwa der Diskurs der Kinoreformer im deutschsprachigen Bereich, der das Kino um 1910 äußerst kritisch begleitet hat, für die Etablierung des Films als Kino? In der Regel wird die Etablierung neuer Medien von einem kulturkritischen Diskurs begleitet – so war es bei der Durchsetzung des Films in den 1910er-Jahren, der Etablierung des Fernsehens in den 1950er-Jahren oder der Durchsetzung des Internets in den 1990er-Jahren.

      Alle Fallstudien im zweiten Teil dieses Buchs beziehen sich auf die Medien selbst und beziehen den Diskurs über die Medien, wenn überhaupt, nur mittelbar ein (wie zum Beispiel Kapitel 9 und 14).

      [34]Der Begriff des Wandels

      Als Geschichte wird oft bezeichnet, was endgültig vorbei ist (»Der analoge Fernsehempfang wird bald Geschichte sein.«) oder was als bedeutend gilt (»Barack Obama hat als erster schwarzer Präsident der USA Geschichte geschrieben.«). In diesem Buch werden vergangene Zeitverläufe, mit denen wir uns beschäftigen, um uns heute besser orientieren zu können, mit dem Begriff Geschichte bzw. dem des Wandels bezeichnet.

      Während Historiker den Begriff der Geschichte verwenden, bevorzugen Sozialwissenschaftler den Begriff des Wandels. Mit dem Begriff Geschichte wird stärker die Beschreibung einer Veränderung erfasst, während mit dem Begriff des Wandels in einem größeren Maß die Erklärung in den Blick gerät. Wenn ich den Begriff des Wandels bevorzuge, so gerade deshalb, weil es mir darum geht, eine Veränderung nicht nur zu beschreiben, sondern auch zu erklären.

      Die Beschäftigung mit historischen Prozessen findet immer von heute aus statt, auch wenn man einen Zeitverlauf in chronologischer Reihenfolge nachvollzieht. Die Historiografie artikuliert dabei ein bestimmtes Interesse an der Vergangenheit und öffnet damit den Blick zurück in einer stark gerichteten Form. Nicht alles, was war, gerät in das Blickfeld, sondern nur das, was heute interessiert. Dies bedeutet nicht, dass Geschichtsschreibung nur Ausdruck unterschiedlicher Interessen ist. Es bedeutet nur, dass die Auswahl des Untersuchungsgegenstands interessengeleitet ist. Die Ergebnisse der Forschung können und sollten frei von Bewertungen der Forscher sein.

      Historische Veränderungen können sich über ganz unterschiedliche Zeiträume erstrecken. Die Etablierung der Institution Kino hat sich zum Beispiel innerhalb von weniger als 20 Jahren vollzogen, während der Prozess der kulturellen Differenzierung des Mediums Film seit Ende des 19. Jahrhunderts bis heute nicht abgeschlossen ist.

      Zeitabläufe haben weder einen Anfang noch ein Ende. Für die Erforschung des Wandels ist es allerdings grundsätzlich sinnvoll, Eckdaten zu setzen. Wird die Erfindung des Films auf das Jahr 1895 datiert, so gibt es bisher [2015] kein Enddatum, da es immer noch Filme gibt. Die Festsetzung des Jahres 1895 als »Geburtsjahr« des Films ist jedoch – wie ich in Kapitel 5 zeigen werde – durchaus problematisch und kann mit guten Gründen bezweifelt werden. Auch wenn Ereignisse wie die Erfindung des Films datiert werden können, so sind sie nie voraussetzungslos. Bereits vor 1895 gab es eine Tradition des Bewegtbildes, von utopischen bzw. dystopischen Visionen, die textlich und bildlich fixiert wurden, über mit der Laterna Magica projizierte Bilder bis hin zu den von Thomas Alva Edison Anfang der 1890er-Jahre aufgenommenen Filmen, die in Guckkästen, den Kinetoscopen, vorgeführt wurden.

      [35]Strukturen und Richtung des Wandels

      Es ist eine zentrale Aufgabe jeder historisch orientierten Wissenschaft, die Strukturen eines Wandlungsprozesses ebenso zu analysieren wie seine Richtung.17 Geschichte ist nicht chaotisch. Jeder geschichtliche Prozess weist ein grundlegendes Charakteristikum auf, das man meist als Struktur bezeichnet (aber auch Muster oder Pattern genannt werden kann). Unter Struktur versteht man das Muster, das sich ergibt, wenn mehrere Elemente miteinander interagieren. In der Geschichtsschreibung geht es nicht um die Momentaufnahme einer Struktur, sondern gewissermaßen um Reihenbilder der Strukturen des Wandels.

      Warum weist das, was wir Geschichte nennen, eine analysierbare Struktur auf? Man kann zu der Auffassung kommen, Geschichte sei das Produkt von höheren Kräften, die – entsprechend dem eigenen Glauben – als Gott, Schicksal, Natur, Kultur oder System bezeichnet werden. Mediengeschichte wie Geschichte überhaupt wird jedoch nicht von überpersönlichen Kräften, sondern von Menschen gemacht – Menschen als sozialen Wesen, charakterisiert über ihre Funktion als Produzenten, Autoren, als Kritiker, als Redakteure und als Konsumenten.

      Keine Person – wie stark auch immer ihre Position in Wirtschaft und Gesellschaft sein mag – kann den Prozess der Etablierung und Verbreitung eines neuen Mediums allein kontrollieren und gestalten. Medienwandel ist immer von einer Vielzahl von Menschen abhängig, die Medienangebote machen und diese wahrnehmen. Alle diese Menschen denken sich etwas bei ihrem Handeln, alle verfolgen bestimmte Ziele (der eine will Geld verdienen, der andere sich vergnügen), viele treffen dabei konträre Entscheidungen (der eine wechselt von einem Festnetzanschluss zu einem Mobiltelefon, der andere nicht). Auch wenn die Entscheidungen einzelner Mediennutzer oft bewusst und planvoll sind, so wird der Gesamtprozess als solcher von niemand geplant. Die Struktur des Wandels entsteht dadurch, dass viele verschiedene Menschen in unterschiedlichen Funktionen, z. B. Medienproduzenten und Mediennutzer, an einem solchen Prozess teilnehmen. Entscheiden sich Millionen Menschen an der Kinokasse für Filme des eigenen Landes, dann entsteht ein Präferenzmuster, das in Kapitel 8 exemplarisch für das Europa der 1930er-Jahre analysiert wird. Entscheiden sich Milliarden Menschen für ein Smartphone, dann setzt sich diese neue Medientechnologie weltweit am Markt durch.

      Ungeplante Prozesse sind Ergebnisse von Handlungen, deren Folgen (also die Struktur und Richtung des Prozesses) selbst niemand geplant hat. So entstehen Strukturen des Wandels, die dem Einzelnen leicht als Systeme erscheinen, als von menschlichen Handlungen unabhängig, die jedoch auf nichts anderes als menschliche Handlungen zurückgehen.

      [36]Stellen Sie sich zur besseren Verständlichkeit ein Spiel vor (etwa Fußball oder Schach):18 Je ausgewogener die Machtbalance zweier Spielpartner, desto unvorhersehbarer ist der Spielverlauf. Der Spielverlauf wurde in diesem Fall von keinem einzelnen Spieler geplant, bestimmt oder vorhergesehen. Ein Fußballspiel mit zwei gleich starken Mannschaften ist kaum vorhersehbar; ein Spiel der Nationalmannschaft gegen die Mannschaft einer Bezirksliga gewinnt dagegen wahrscheinlich die Nationalmannschaft.

      Je mehr Gruppen beteiligt sind und je größer die Gruppenstärke wird, desto unkontrollierbarer wird der Prozess für den Einzelnen. Stellen Sie sich vor, eine Fußballmannschaft hätte nicht elf, sondern 33 Spieler, dann hätte der stärkste Spieler nicht mehr die gleiche Kontrolle über den Spielverlauf. Reduzierte man die Gruppenstärke auf drei Spieler, so wäre der stärkste Spieler dagegen mit Sicherheit spielbestimmender als in einem Spiel mit elf Spielern.

      Je mehr Ebenen ein Spiel hat (die Gruppen spielen nicht mehr direkt gegeneinander), desto weniger können einzelne Gruppen den Spielverlauf kontrollieren. Bei einer Fußball-Europameisterschaft spielen nicht alle Mannschaften gegeneinander; durch Los werden die Mannschaften einer Gruppe bestimmt, die in der Vorrunde gegeneinander antreten. Eine Mannschaft mag noch eine relative Kontrolle über die Spiele der eigenen Gruppe haben, über die Spiele einer anderen Gruppe fehlt dagegen jede Kontrollmöglichkeit. So hat die Mannschaft der Gruppe A keinerlei Einfluss darauf, auf welche Mannschaft der Gruppe B sie stoßen wird, falls sie sich in der Vorrunde behauptet.

      Um komplexe historische Prozesse verstehen und erklären zu können, muss man analysieren, wie die Handlungen der »Mannschaften« (also etwa der Medienmacher und -nutzer) miteinander verzahnt sind und sich gegenseitig bedingen. Wie erklärt man ein Tor in einem Fußballspiel? Ohne Zweifel kann man als Ursache den Torschützen nennen und sagen, der Spieler Müller habe das Tor geschossen. Das reicht jedoch nicht aus. Man muss zudem den Spielverlauf rekonstruieren und zeigen, wie die Chance Müllers, ein Tor zu schießen, aus der sich wandelnden

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