Medienwandel. Joseph Garncarz
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Medieninstitutionen bringen Nutzungsformen hervor und verwenden diese aus unterschiedlichen Gründen, also z. B. um Geld zu verdienen, Menschen zu unterhalten und zu informieren oder um ihnen die Möglichkeit zu geben, sich mit anderen auszutauschen. Indem sie Medientechnologien und -nutzungsformen in einer bestimmten Art verwenden, entstehen klar konturierte soziale und kulturelle Profile der Institutionen. Die Zeitung etabliert sich als Nachrichtenmedium, der Film als Unterhaltungsmedium und das World Wide Web als multimedialer Dienst (mit Text-, Bild- und Tondokumenten).
Wie man Nutzungsformen unterschiedlicher Ordnung unterscheiden kann, so lassen sich auch Institutionen unterschiedlicher Ordnung differenzieren – wobei man formell geregelte Institutionen auch als Organisationen bezeichnet. Kann man das Fernsehen als Medieninstitution bezeichnen, so lassen sich wiederum private von öffentlich-rechtlichen Organisationen unterscheiden. Zu den öffentlich-rechtlichen Sendern zählen u. a. ARD und ZDF, zu den privaten RTL und Sat1. Ist das World Wide Web eine Institution, so lassen sich Organisationen identifizieren wie Alphabet Inc. oder die Wikimedia Foundation, die das Netz nutzen, um die Suchmaschine Google bzw. die Wikipedia zu betreiben.
Was eine Medieninstitution ausmacht, kann definiert werden, wobei hier das Kino als Beispiel dienen mag. Als Kino bezeichnet man die Projektion von Filmen vor einem Publikum, wenn nichts als oder zumindest ganz überwiegend Filme gezeigt werden. Kinos sind durch eine große historische Vielfalt gekennzeichnet: Ob mobil oder ortsfest, ob die Filme unter freiem Himmel oder in einem geschlossenen Raum vorgeführt werden, ob es sich um eine private oder öffentlich zugängliche Vorführung handelt, ob die Öffentlichkeit etwa nach Maßgabe des Jugendschutzes eingeschränkt wird, ob ein Kurzfilmprogramm gezeigt[21] wird oder ein abendfüllender Spielfilm, ob Eintrittsgeld erhoben wird, welches Publikum adressiert und angezogen wird – alle diese Aspekte können variieren und damit zur Unterscheidung unterschiedlicher Kinotypen dienen. Der Kinotyp, der sich kommerziell durchgesetzt hat, ist ein geschlossener Raum, in dem sich Menschen zu einer Öffentlichkeit versammeln, die sich in aller Regel nicht kennen und aus dem gemeinsamen Schauen einen Gewinn ziehen. In einem weiteren Sinn macht die Institution Kino nicht nur die Projektion von Filmen vor einem Publikum aus, sondern auch die Art, wie die Filme hergestellt, finanziert, vertrieben und vermarktet werden.
Kapitel 6, 7 und 8 zeigen, wie die Institution Kino (im definierten erweiterten Sinn) in Deutschland etabliert wurde. Kapitel 16 stellt dar, wie sie sich nach dem Zweiten Weltkrieg grundlegend verändert hat.
Definitionen, wie die oben vom Kino gegebene, sind immer an bestimmte historische Phänomene gebunden und müssen verändert werden, wenn sich das Phänomen selbst verändert. Die Digitalisierung des Kinos, die sich in den vergangenen Jahren durchgesetzt hat, erfordert zunächst nicht, die gegebene Definition neu zu fassen, da sich allein die Projektionstechnik verändert hat. An die Stelle eines analogen Filmprojektors ist ein digitaler getreten. Diese technische Veränderung ermöglicht es jedoch, anstatt Filmen z. B. Live-Events wie Opernaufführungen oder Sportveranstaltungen in die digital ausgestatteten Kinos zu übertragen. Kino ist demnach nicht mehr allein die Projektion von Filmen, sondern ebenso die von Live-Events. Tritt nun an die Stelle der klassischen Leinwand, auf die das Bild projiziert wird, ein Bildschirm – wie das beim Heimkino der Fall ist, in dem große Flachbildschirme zunehmend Beamer ersetzen –, hat auch dies einen unmittelbaren Einfluss auf die gegebene Definition. Kino wäre demnach nicht mehr allein die Projektion von Filmen, sondern die Vorführung bewegter Bilder vor einem Publikum.
Medieninstitutionen entstehen also unter analysierbaren kulturellen und historischen Bedingungen. Sie prägen Mediennutzungsformen, die sich etwa hinsichtlich des Aufführungskontextes und des jeweiligen Publikums unterscheiden. Die internationalen Varietés in Deutschland zeigten um 1900 andere Filmprogramme als die lokalen Varietés, da sie sozial gesehen ein anderes Publikum adressierten. War in den internationalen Häusern eine Filmberichterstattung über aktuelle Ereignisse zu sehen, die zeitgenössisch als Optische Berichterstattung bezeichnet wurde, so zeigten lokale Varietés ein buntes Unterhaltungsprogramm. Während sich in den internationalen Häusern Angehörige der oberen sozialen Schichten zu einem Publikum versammelten, rekrutierten die lokalen Varietés ihr Publikum aus den unteren sozialen Schichten.11
[22]Medientechnologien sind grundsätzlich politisch neutral, Mediennutzungsformen und Medieninstitutionen sind es nicht. Medientechnologien, die zur Übertragung von Bewegtbildern bzw. zur Kommunikation benutzt werden, können zu konträren politischen Zwecken dienen. Bewegtbilder können dazu benutzt werden, Menschen ideologisch zu indoktrinieren – Beispiele dafür sind etwa die im World Wide Web verbreiteten Videoclips des sogenannten Islamischen Staates (IS), mit denen insbesondere junge Männer zum Kampf gegen alle, die sich nicht dem islamischen Fundamentalismus anschließen, geworben werden sollen. Bewegtbilder können andererseits auch zur Aufklärung über solchen Terror produziert werden. Soziale Medien wie Twitter und Facebook können benutzt werden, um – wie der »arabische Frühling« 2010/11 gezeigt hat – Diktaturen wie das Regime von Zine el-Abidine Ben Ali in Tuniesien zu stürzen. Sie können aber auch dazu benutzt werden, ein Terrorregime wie den Islamischen Staat zu etablieren, indem sich IS-Kämpfer via Social Media organisieren.
Mediennutzungsformen können politisch neutral sein, sind es aber in der Regel nicht. Publizierte wissenschaftliche Studien wie etwa repräsentative Meinungsumfragen des Pew Research Centers in den USA oder des Allensbacher Instituts in Deutschland analysieren die Meinung der Bevölkerung, ohne die Analyse etwa von religiösen Überzeugungen der Forscher beeinträchtigen zu lassen. Unterhaltung ist dagegen in einem hohen Maß kulturell differenziert, da sich die Kulturen der Welt unterscheiden und Vergnügen vor allem bereitet, was den eigenen Anschauungen entspricht (mehr dazu weiter unten).
Um Missverständnisse zu vermeiden, sollte man
von Medientechnologien, Mediennutzungs formen und Medieninstitutionen sprechen oder
nur von Technologien, Nutzungsformen und Institutionen sprechen, wenn kontextuell klar ist, dass von Medien die Rede ist, oder
von Medien sprechen, wenn kontextuell hinreichend klar ist, ob die Technologie, die Nutzungsform oder die Institution gemeint ist oder
von Medien sprechen, wenn von Technologien, Nutzungsformen und Institutionen zugleich die Rede ist.
Grundfunktionen der Medien
Technische Mittel zur Verbreitung von Informationen werden von Menschen für unterschiedliche Zwecke benutzt. Menschen nutzen Medien, um mit anderen zu kommunizieren, sich zu orientieren bzw. sich unterhalten zu lassen. Medien erfüllen also Grundbedürfnisse nach Kommunikation, Orientierung und Unterhaltung. Diese Grundbedürfnisse sind in verschiedenen Zeiten und Gesellschaften[23] bei jeweils anderen sozialen Schichten und Altersgruppen unterschiedlich ausgeprägt. Sie dürften aber in Gesellschaften jedweder Art, also in Stämmen wie in Staaten, ob sie nun demokratisch oder diktatorisch verfasst sind, vorkommen und damit eine anthropologische Grundlage haben.
Sowohl Kommunikation (als Gespräch von Angesicht zu Angesicht), Orientierung via Wissenserwerb (durch mündlichen Unterricht) als auch Unterhaltung (durch Schauspieler auf der Theaterbühne) sind ohne technisch vermittelte Medien (wie Telefon, Buch und Fernsehen) nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich. Medien werden zur Erfüllung der Grundbedürfnisse erst unter analysierbaren Bedingungen eingesetzt. So setzen Medien eine vergleichsweise weit entwickelte Gesellschaft voraus. Sind Gesellschaften überschaubar, dann brauchen sie auch kaum technische Mittel zur Informationsübermittlung, Mediennutzungsformen und -Institutionen. Je komplexer eine Gesellschaft ist, desto notwendiger wird eine mediale Vermittlung.
Was verstehen wir unter Kommunikation, Orientierung und Unterhaltung? Als Kommunikation bezeichnet man den Austausch von Informationen zwischen zwei oder mehr Menschen. Kommunikation erfüllt dabei grundsätzlich einen doppelten Zweck: Über den Austausch