Medienwandel. Joseph Garncarz
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Medienwandel - Joseph Garncarz страница 8
Wie soll man Medien nennen, die der Kommunikation, der Orientierung bzw. der Unterhaltung dienen? Medien, die der Kommunikation dienen (wie Telefon oder E-Mail), werden als Kommunikationsmedien bezeichnet. Medien, die nicht der persönlichen Kommunikation dienen, werden oft Massenmedien genannt. Der Begriff Massenmedium wird unterschiedlich verwendet: Zum einen gilt als Massenmedium ein Medium, das sich an ein Publikum richtet, dessen Zuhörer bzw. Zuschauer sich nicht kennen, und zwar unabhängig von der Frage, wie groß die Reichweite dieses Mediums ist. Zum anderen wird der Begriff gerade in Bezug auf die Reichweite verwendet, wobei ein Medium erst dann als Massenmedium gilt, wenn es von sehr vielen Menschen (eines Landes, einer bestimmten sozialen Schicht, eines Alters etc.) genutzt wird. Der Begriff ist zudem oft negativ besetzt, insofern der Begriff der Masse mit Anonymität und Unbildung verknüpft wird.
[30]Aufgrund der Bedeutungs- und Wertungsambivalenz scheint es sinnvoll zu sein, auf die Verwendung dieses Begriffs zu verzichten und stattdessen Begriffe wie Wissens- und Unterhaltungsmedien zu wählen. Wissensmedien sind Medien, die der Vermittlung von Wissen dienen. Sie sind in aller Regel Speichermedien wie Buch oder Computer. Unterhaltungsmedien sind alle Medien, die primär dazu benutzt werden, Menschen zu unterhalten. Film und Fernsehen sind in diesem Sinn Unterhaltungsmedien – nicht aufgrund der verwendeten Technologien als solcher, sondern aufgrund der dominanten Verwendungsweise dieser Medientechnologien (denn der Film hätte auch primär für Bildungszwecke, das Fernsehen zur Überwachung von Objekten oder Menschen eingesetzt werden können). Was als primär gilt, kann das sein, was objektiv vorherrschend ist, kann aber auch nur das sein, was als vorherrschend wahrgenommen wird – etwa weil sich die Forschung überwiegend auf diesen Aspekt konzentriert hat.
Der Begriff Programmmedien ist als eine Spezifizierung des Begriffs Unterhaltungsmedien sinnvoll. Alle Programmmedien sind de facto primär Unterhaltungsmedien, aber nicht alle Unterhaltungsmedien sind auch Programmmedien. Als Programmmedien werden alle Medien verstanden, die ein Programm bieten wie das Kino, das Radio oder das Fernsehen. Programme bestehen grundsätzlich aus mehreren Angebotsteilen, die von den Veranstaltern in einer vorab festgelegten Abfolge dem Publikum dargeboten werden. Medieninstitutionen entwickeln bestimmte Programmschemata, die die Orientierung der Zuschauer bzw. -hörer erleichtern. So zeigte das Kino vor der Etablierung des Fernsehens typischerweise eine Wochenschau, Werbung (für Waren wie für die Filme, die »demnächst in diesem Theater« zu sehen waren), einen Kulturfilm und als eigens beworbene Hauptattraktion einen abendfüllenden Spielfilm. Radio und Fernsehen entwickelten nach Wochentagen differenzierte Programmschemata (freitags läuft seit 1969 um 20:15 Uhr im ZDF ein Krimi, angefangen mit DER KOMMISSAR über DERRICK, DER ALTE bis hin zu DER KRIMINALIST, sonntags ist seit 1970 um 20:15 Uhr in der ARD unter anderem der TATORT zu sehen). Video on Demand (VoD), DVD oder Blu-Ray sind Beispiele für Unterhaltungsmedien, die keine Programmmedien im definierten Sinn sind, da mit ihnen kein vom Veranstalter festgelegtes Programm angeboten wird. Der Nutzer wählt mit diesen Speichermedien selbst, was er zu welcher Zeit sehen oder hören möchte. Oft bieten VoD-Anbieter Flatrates an, die es den privaten Mediennutzern erlauben, sich zu einem festen Betrag pro Monat ohne Begrenzung Spielfilme bzw. Serien anzusehen. Statt etwa pro Woche nur eine neue Folge einer Serie sehen zu können, ermöglichen VoD bzw. DVD/Blu-Ray neue Sehgewohnheiten, wobei die ganze Staffel einer Serie in einer kurzen Zeitspanne konsumiert werden kann.
Neben dem Begriff Programmmedien ist der Begriff Leitmedien sinnvoll, da er darauf abzielt, die Dynamik mehrerer Medien in ihrer Interaktion zu beschreiben. [31]Als Leitmedien gelten Medien, die Standards setzen, sodass sich andere Medien an ihnen orientieren. Das Deutsche Fernsehen der 1950er-Jahre orientierte sein Programm an dem des Kinos: Das Fernsehprogramm wurde mit der TAGESSCHAU um 20 Uhr eröffnet. Es schloss sich etwa eine Dokumentation wie EIN PLATZ FÜR TIERE an, beendet wurde der Abend mit einer Hauptattraktion wie einer Spielshow. Wenn eine der heutigen führenden Tages- oder Wochenzeitungen wie die Süddeutsche Zeitung oder Die Zeit – um ein weiteres Beispiel zu nennen – ein literarisches Werk rezensieren, ziehen häufig andere Zeitungen nach, die damit diesen Zeitungen eine Meinungsführerschaft und damit eine Funktion als Leitmedium zuerkennen. Mit dem Begriff Leitmedien wird nicht nur derart die Dynamik von Medienfigurationen beschrieben, sondern darüber hinaus auch die Wirkungsmacht von Medien auf die Gesellschaft. Ein Leitmedium ist in dieser Hinsicht etwa eine bestimmte Wochenzeitschrift wie Der Spiegel, weil sie meinungsbildend ist.16
Kapitel 15 gibt ein anschauliches Beispiel dafür, wie sich die Mediennutzungsform einer neuen Medieninstitution an der erfolgreichen Mediennutzungsform einer bereits etablierten Medieninstitution orientiert. Die TAGESSCHAU des Deutschen Fernsehens fand ihr Vorbild in den 1950er-Jahren zunächst in der Wochenschau der Kinos. Wie diese bot sie eine unterhaltende Bilderschau ohne den Anspruch, Nachrichten zu vermitteln. Als in den 1960er-Jahren der Anspruch erhoben wurde, die TAGESSCHAU solle Nachrichten vermitteln, wurden die Hörfunknachrichten zu einem neuen Modell für diese Sendung.
Welche Rolle spielen die Grundfunktionen der Medien heute? Kommunikation und Orientierung via Wissenserwerb sind überlebenswichtige Funktionen von Gesellschaften, Unterhaltung ist dagegen eher ein Luxus. Stellen Sie sich vor, dass in unserer Gesellschaft von einem auf den anderen Tag die mediale Kommunikation jedweder Art unmöglich wird. Handwerk, Einzelhandel, Warenproduktion und -distribution – alles käme zum Erliegen. Und stellen Sie sich vor, dass es keine mediale Wissensaneignung mehr gäbe. Auch hier käme die Gesellschaft zum Erliegen – nicht so schnell wie bei der Unterbindung jedweder Kommunikation, aber doch zumindest in der folgenden Generation, da Wissen immer wieder neu erlernt werden muss. Bei Unterhaltung verhält es sich anders: Die Gesellschaft würde ärmer; Menschen langweilten sich, hätten weniger Freude am Leben, das Klima zwischen ihnen würde vielleicht schroffer und sicherlich bräche die Unterhaltungsindustrie ein und es käme damit zu einer wirtschaftlichen Krise. Die Gesellschaft selbst wäre aber kaum in ihrem Überleben gefährdet. Auch wenn mediale Unterhaltung also ohne Zweifel wichtige Funktionen für eine Gesellschaft erfüllt, so ist sie doch im Unterschied zu medialer Kommunikation und[32] zum medialen Wissenserwerb nicht in vergleichbarem Maß überlebenswichtig. Da sie eher ein Luxus ist, wächst die Unterhaltungsbranche in Gesellschaften umso stärker, je größer ihr Wohlstand ist – je reicher die Bevölkerung ist und je mehr Freizeit sie hat.
[33]2. Was bedeutet Wandel?
Grundsätzlich lässt sich eine Geschichte der Medien oder eine Geschichte der Diskurse über die Medien schreiben. Eine Geschichte der Medien handelt von der Erfindung, Etablierung, Verbreitung und Differenzierung neuer Medien. Sie stellt die Etablierung von Medieninstitutionen und neuen Nutzungsformen dar, sie analysiert die Rolle von Marketingmaßnahmen bei der Verwertung und erörtert die Rolle des Publikums bei der Durchsetzung des jeweils neuen Mediums.
Technische Verbreitungsmittel von Informationen zwischen Menschen wandeln sich ebenso wie ihre Nutzungsformen sowie die Institutionen, die sie verwenden bzw. hervorbringen. So hat sich mit der Verbreitung des Mobiltelefons die Kommunikationstechnologie grundlegend verändert, die Etablierung der Nachrichtensendung im Fernsehen hat zu einer grundlegenden Neuerung der Fernsehformate geführt, und die Etablierung der privaten Fernsehsender hat die Medienlandschaft aufgemischt.
Die Geschichte der Medientechnologien, -nutzungsformen und -institutionen ist vielfach miteinander verknüpft. Die Medienhistoriografie interessiert sich jedoch nicht für Medientechnologien an sich, sondern nur, soweit sie für kommunikative, bildende oder unterhaltende Zwecke genutzt werden. Eine Medientechnologie wird also erst dann für die Medienhistoriografie interessant, wenn sie von Institutionen für die Informationsübermittlung genutzt wird und diese zu diesem Zweck bestimmte Nutzungsformen ausbilden. Geht man von den drei genannten Grundfunktionen der Medien aus, dann ist Mediengeschichte Bestandteil