Internationale Migrationspolitik. Stefan Rother

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Internationale Migrationspolitik - Stefan Rother

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den nächsten Jahrzehnten stark ansteigen werden. Die Prognosen hierzu schwanken zwischen 50 und 250 Millionen bis zum Jahr 2050 je nach Berechnungsgrundlage. Und schon heute können erste Klima-Geflüchtete ausgemacht werden, darunter aus den pazifischen Inselstaaten, deren Bevölkerung bedingt durch den steigenden Meeresspiegel und zunehmende Küstenerosion zur Umsiedlung gezwungen wird (Fritz 2010). Dieser Kampf um Begriffe und Kategorien hat für Millionen Betroffene bedeutende Folgen. Betts (2010) schlägt deshalb mit der „Survival Migration“ eine neue Kategorie vor. Diese soll alle Menschen umfassen, die ihr Herkunftsland aufgrund einer unabwendbaren existentiellen Bedrohung verlassen. Damit ließen sich laut Betts die aufgezeigten Lücken im institutionellen und normativen Rahmen für Zwangsmigration füllen, ohne dass neue Institutionen oder Konventionen erschaffen werden müssten.

      Weiterführende Fragen und Literatur

       Drei Fragen zum Weiterdenken

       Ist die Genfer Flüchtlingskonvention aus dem Jahr 1951, die in erster Linie aufgrund der Erfahrungen aus zwei Weltkriegen verabschiedet wurde, noch zeitgemäß? Oder sollte sie aufgrund neuer Fluchtursachen, wie Klimawandel und Hungersnöte, überarbeitet und aktualisiert werden?

       Wie können die Fluchtursachen – wie religiöse, ethnische und soziale Konflikte, aber auch soziale Ungleichheiten – auf Dauer besser bekämpft werden?

       Wie können die Interessen von Geflüchteten stärker in die Asyl- und Geflüchtetenpolitik der Aufnahmeländer eingebunden werden?

       Drei Bücher zum Weiterlesen

      UNHCR (2020): Global Trends. Forced migration in 2019. Genf.

       Jährlicher Bericht des UNHCR zur weltweiten Fluchtmigration und der Situation Geflüchteter.

      Gil Loescher/Elena Fiddian-Qasmiyeh/Katy Long/Nando Sigona (Hg.) (2014): The Oxford Handbook of Refugee and Forced Migration Studies, Oxford: Oxford University Press.

       Zentrales Handbuch zu verschiedensten Aspekten der Fluchtmigration.

      Wolfgang Grenz/Julian Lehmann/Stefan Keßler (2015): Schiffbruch. Das Versagen der europäischen Flüchtlingspolitik, München: Knaur.

       Aktuelle Analyse zur Asylpolitik der Europäischen Union.

      4 Migration und Arbeit1

      Arbeitsmigration macht den Hauptteil der internationalen Migration aus. Von der Internationalen Labour Organisation (ILO) wurde die Zahl der internationalen Arbeitsmigrant*innen im Jahr 2017 auf über 164 Millionen Arbeitskräfte geschätzt (ILO 2019). Davon befinden sich die meisten (zwei Drittel) in den reicheren Regionen der Welt. Warum ist Arbeitsmigration so wichtig für diese Länder? Wo werden Arbeitsmigrant*innen in der Wirtschaft vornehmlich eingesetzt? Wie werden ihre Rechte geschützt?

      4.1 Begriff und Arten der Arbeitsmigration

      Mit dem Begriff Arbeitsmigration ist die Ein- bzw. Auswanderung von Menschen zum Zweck der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit außerhalb des Herkunftslandes gemeint. Menschen, die aus Gründen der Arbeitsaufnahme in ein anderes Land migrieren, werden als Arbeitsmigrant*innen bezeichnet. Die Art, Dauer und die Umstände der Tätigkeiten, die Arbeitsmigrant*innen verrichten, können dabei stark variieren. Grundsätzlich kann man zwischen zwei Arten von Arbeitsmigration unterscheiden: geringqualifizierte und hochqualifizierte Arbeitsmigration. Geringqualifizierte Arbeitsmigrant*innen sind in der Regel ungelernte oder unterdurchschnittlich ausgebildete Arbeitskräfte, die temporär oder langfristig in ein anderes Land migrieren, um zumeist eine geringbezahlte Tätigkeit in der Landwirtschaft, in der Produktion oder im Dienstleistungsgewerbe zu verrichten (Angenendt 2009)1. Qualifizierte bzw. hochqualifizierte Arbeitsmigrant*innen sind gut ausgebildete Fachkräfte, die spezifische Tätigkeiten im Ausland ausführen, für die es im Inland nicht genügend gute ausgebildete Fachkräfte gibt. Während man davon ausgehen kann, dass es weltweit keinen Mangel an geringqualifizierten Arbeitskräften gibt, sieht die Situation bei qualifizierten und insbesondere hochqualifizierten Arbeitsmigrant*innen anders aus. Hier wird von einem Mangel an Arbeitskräften, z.B. Ärzt*innen, ausgegangen, um die weltweit ein intensiver Wettbewerb entbrannt ist (engl. „war on talents“).

      Daher gibt es zumeist unterschiedliche Politikansätze für beide Gruppen von Arbeitsmigrant*innen. Während für geringqualifizierte Formen der Arbeitsmigration zumeist bilaterale Verträge zwischen den Aufnahme- und den Herkunftsländern von Arbeitsmigrant*innen geschlossen werden, werden für Hochqualifizierte überwiegend einseitige (unilaterale) Einwanderungsangebote gemacht, auf die sich Hochqualifizierte weltweit bewerben können bzw. die Unternehmen für sich in Anspruch nehmen können, um Arbeitskräfte aus dem Ausland unter Vertrag nehmen zu können. Wir gehen in diesem Kapitel auf die Arbeitsmigration von gering qualifizierten Arbeitskräften ein, und widmen uns im nachfolgenden Kapitel den Besonderheiten der Migration von Hochqualifizierten. Zunächst wollen wir aber noch einen Blick auf die Geschichte und den aktuellen Umfang der Arbeitsmigration insgesamt werfen.

      4.2 Geschichte und Umfang der Arbeitsmigration

      „Grenzüberschreitende Arbeitswanderung ist so alt wie die Menschheit“ (Pries 2010a, S.729).

      Bereits in der Antike finden sich Beispiele von Handwerkern, „die ihrem Beruf außerhalb ihrer Heimat nachgingen“ (Tausend 2012, S.15), und eine wichtige Rolle beim „Kulturtransfer“ zwischen Ost und West (Bredow 2012) gespielt haben.1 In der Neuzeit wird der Beginn der „gezielten Rekrutierung von Arbeitsmigranten“ im späten 19.Jahrhundert mit den USA in Verbindung gebracht (Münz 2009), die infolge des wachsenden Arbeitskräftebedarfs Migrant*innen aus China anwarben. Aber auch die Briten hatten nach dem Ende der Sklaverei umfangreiche Arbeitskräfte-Transfers zwischen ihren Kolonien, und auch das deutsche Kaiserreich kannte Arbeitsanwerbung aus dem Ausland, wie schon Max Weber in seinen Studien zur ostelbischen Landwirtschaft ausführte (Weber 1892, S.914; Bade 2000).

      Arbeitsmigration im großen Stil ereignete sich vor allem seit Mitte des 20. Jahrhunderts. So kam es zwischen 1942 und 1964 in den USA zu einer umfangreichen gesteuerten, temporär orientierten Rekrutierung von mexikanischen Arbeitskräften im sogenannten ‚Bracero-Program‘ (Münz 2009). In Europa findet zu dieser Zeit Arbeitskräfteeinwanderung zunächst in Frankreich und der Schweiz statt, die somit ebenfalls traditionsreiche Einwanderungsländer in Bezug auf Arbeitsmigration sind (ebd.). Die anderen Länder in Westeuropa zogen mit der fortschreitenden Wirtschaftsentwicklung nach und begannen ebenfalls auf Basis bilateraler Verträge zumeist geringqualifizierte Arbeitskräfte aus Italien, Spanien, Portugal, Griechenland, Nordafrika, der Türkei und dem ehemaligen Jugoslawien zu rekrutieren (Oltmer et al. 2012). Diese „Internationalisierung der europäischen Arbeitsmärkte führte mehr als 30 Millionen Menschen nach Westeuropa“ (Münz 2009).

      Im Rahmen der deutschen ‚Gastarbeiter‘-Anwerbung kamen dabei zwischen 1955 und dem Anwerbestopp 1973 rund 14 Millionen ausländische Arbeitskräfte nach Deutschland. Etwa 11 Millionen dieser Männer und Frauen gingen in ihre Herkunftsländer zurück, 3 Millionen Menschen blieben jedoch dauerhaft in Deutschland und holten ihre Familien nach. (Bade und Oltmer 2007) Das sogenannte ‚Wirtschaftswunder‘ ab Anfang der 1950er Jahre führte in Deutschland zu einem so hohen Bedarf an Arbeitskräften, dass der nationale Arbeitsmarkt ihn nicht mehr zu decken vermochte („Vollbeschäftigung“). Gesucht wurden zu Beginn insbesondere un- oder geringqualifizierte Arbeitskräfte für die Landwirtschaft und den Bergbau, später weitete sich dies auf die Industriearbeit aus. Das erste Land, mit dem Deutschland dabei ein Anwerbeabkommen schloss, war Italien im Jahr 1955. Fünf Jahre später folgte ein Abkommen mit Spanien und Griechenland.

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