Internationale Migrationspolitik. Stefan Rother

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Internationale Migrationspolitik - Stefan Rother

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als Symbol für das vorläufige Ende des enormen deutschen Wirtschaftswachstums im Jahr 1973 führte zum Anwerbestopp am 23. November 1973, der ein weitgehendes Verbot der weiteren Einreise von Drittstaatsangehörigen für eine Erwerbstätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland bedeutete.

       Der ‚Gastarbeiter*in‘-Begriff

      Der Begriff des Gastarbeiters bzw. der Gastarbeiterin implizierte „[…] eine beruflich-soziale Klassifizierung mit dem Schwergewicht auf un- bzw. angelernten Arbeiten […]“ (Bade und Oltmer 2007, S, 160). Die Wortschöpfung zielte außerdem auf die zeitliche Begrenzung des Aufenthalts der ausländischen Arbeitnehmer*innen – er bzw. sie war ein ‚Gast‘, der bzw. die nur für eine begrenzte Zeit als Arbeitskraft willkommen war und nach Ende seines bzw. ihres Arbeitsturnus das Land wieder verlassen sollte. Der Begriff hatte sich umgangssprachlich in den 1960er Jahren eingebürgert, wurde von staatlicher Seite jedoch nie verwendet. Hier fand ausschließlich der Begriff ‚Ausländer*in‘ Verwendung (Geißler 2008). Der Schweizer Schriftsteller Max Frisch prägte im Rahmen der Diskussion um die rechtliche und integrationspolitische Situation der ‚Gastarbeiter*innen‘-Einwanderung das berühmte Diktum: „Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen“.

      Auch außerhalb Europas und Nordamerikas findet Arbeitsmigration in großen Umfang statt. Insbesondere die ölreichen arabischen Staaten haben sich in den letzten Jahrzehnten zu einem wichtigen Aufnahmeland von Arbeitsmigrant*innen entwickelt, allen voran Saudi-Arabien. Aber auch in allen anderen Regionen wächst der Umfang an Arbeitsmigration. Insgesamt wird die Zahl der internationalen Arbeitsmigrant*innen von der International Labour Organisation (ILO) im Jahr 2017 auf rund 164 Millionen Arbeitskräfte geschätzt (ILO 2018). Arbeitsmigration macht damit den Hauptteil der internationalen Migration aus. Dabei ist ein Trend zu beobachten, dass die Zahl der geringqualifizierten Arbeitsmigrant*innen eher moderat angestiegen, in einigen Ländern sogar zurückgegangen ist, während die Zahl der hochqualifizierten Migrant*innen schnell anwächst. Dies hat verschiedene Ursachen: Zum einen sinkt die Nachfrage nach geringqualifizierten Arbeitskräften auf höher entwickelten Arbeitsmärkten tendenziell durch Automatisierung und Digitalisierung, zum anderen ergreifen immer mehr Länder eine restriktivere Einwanderungspolitik gegenüber geringqualifizierten Arbeitskräften.

      Abbildung 22:

      Anteil der Arbeitsmigration an der Gesamtmigration 2017 (in Millionen)

       Quelle: ILO 2018, S.6.

      Insgesamt findet Arbeitsmigration vor allem von ärmeren in reichere Regionen der Welt statt. Über zwei Drittel aller Arbeitsmigrant*innen leben in sog. Hochlohnländern, weitere 20 Prozent in Ländern mit höherem oder mittlerem Einkommen. Dementsprechend entfällt der Großteil der Arbeitsmigration auf Regionen mit überwiegend hohem Einkommen: ca. ein Drittel auf Europa, knapp ein Viertel auf Nordamerika und rund 15 Prozent auf die arabischen Staaten. Das restliche Viertel der Arbeitsmigrant*innen verteilt sich auf die anderen Regionen.

      Abbildung 23:

      Verteilung der Arbeitsmigration auf Hoch- und Niedriglohnländer 2017

       Quelle: ILO 2018, S.10.

      Abbildung 24:

      Verteilung der Arbeitsmigration auf die Weltregionen 2017

       Quelle: ILO 2018, S.15.

      4.3 Motive und Erscheinungsformen der Arbeitsmigration

      Diese Zahlen legen nahe, dass ein Hauptmotiv der Arbeitswanderung die höheren Löhne in den OECD-Ländern sind. Tatsächlich stellen ‚höhere Löhne‘ aber immer nur ein Motiv für Arbeitsmigration neben verschiedenen anderen Faktoren dar, wie wir auch im Kapitel 2 Migrationstheorien gesehen haben. So spielen Netzwerke eine Rolle oder auch der Reiz, einmal im Ausland gearbeitet zu haben. In der Realität ist es häufig ein Mix aus verschiedenen Gründen, Hoffnungen, aber auch Zwängen, die Menschen dazu veranlassen zu migrieren. „Migrationsentscheidungen unterliegen in der Regel multiplen Antrieben“, wie der Migrationshistoriker Jochen Oltmer schreibt (Oltmer 2013, S.33).

      Ohne Zweifel können aber in der Globalisierung und in der fortschreitenden Ausdifferenzierung von globalen Wertschöpfungsketten und Leistungserstellungsprozessen wesentliche Triebkräfte für die zunehmende Internationalisierung von Arbeit gesehen werden (Pries 2010). So verlassen sich bereits viele Branchen auf den Einsatz von billigeren Arbeitskräften aus dem Ausland, um ihre Produktion kostengünstiger und damit weltmarktfähiger zu gestalten. Ein Beispiel sind etwa Saisonarbeitskräfte in der Landwirtschaft, ohne die die Ernte in vielen Ländern der OECD-Welt gar nicht mehr eingefahren werden könnte. „Durch den weltweiten Transfer von Kapital und Gütern“ ist zudem ein wachsender „globaler Arbeitsmarkt für hochqualifizierte Arbeitskräfte entstanden“ (Hödl et al. 2000, S.14), auf den wir → im Kapitel 5 Migration von Hochqualifizierten näher eingehen.

      Ein weiterer Faktor ist in der demografischen Entwicklung zu sehen. So ist für die alternden Gesellschaften Europas, aber auch in anderen Teilen der OECD-Welt, eine zunehmende Arbeitskräftesicherung aus dem Ausland eine der wichtigsten Herausforderungen der Zukunft. Wie wir schon im → Kapitel 1 Grundbegriffe und aktuelle Trends gesehen haben, werden viele reiche Staaten (allen voran Deutschland und Japan) in Zukunft in großem Maße auf Arbeitszuwanderung angewiesen sein, wollen sie ihre herausgehobene Stellung im Weltmarkt nicht verlieren. Laut einem Bericht der Europäischen Kommission das Erwerbspersonenpotential bis 2070 EU-weit um 18 % zurückgehen (Europäische Kommission 2020: 16). Allein in Deutschland könnte das Erwerbspersonenpotential bis 2050 um 16,2 Millionen Arbeitskräfte schrumpfen. Um dies auszugleichen, wäre nach einer Berechnung der Bertelsmann-Stiftung eine Netto-Zuwanderung von jährlich bis zu 500.000 Menschen notwendig (Fuchs et al. 2015). Schon heute herrscht in manchen Branchen ein Arbeitskräftemangel, wie etwa im Pflegebereich. Auch technische Berufe sind vermehrt von Engpässen betroffen, allen voran im metallverarbeitenden Gewerbe und dem Maschinenbau.

      Typisch für die Arbeitsmigration ist dabei vor allem ihr ‚temporärer‘ Charakter. So wird versucht, die Arbeitsmigration zeitlich zu befristen, um auf eventuelle Konjunkturschwankungen flexibel reagieren zu können und mögliche Folgekosten infolge einer wirklichen Integration in die Gesellschaft zu vermeiden. Genau aus diesem Grund waren die oben angesprochen Gastarbeiter-Zuwanderungen in den USA und in Europa zunächst auch zeitlich befristet. Unterkünfte wurden anfangs auf den Firmengeländen bereitgestellt und eine soziale Interaktion mit der Aufnahmegesellschaft, geschweige denn Integration, war keine Priorität. Diese Grundform findet sich sogar heute noch in vielen typischen Bereichen der Arbeitsmigration auch in Europa, etwa in der Landwirtschaft, wo Saisonarbeitskräfte für drei, vier Monate angeworben, in provisorischen Unterkünften auf oder in der Nähe der Höfe wohnen und anschließend wieder in ihr Herkunftsland gehen (sollen). Auch im Pflegebereich hat sich in den letzten Jahren eine Praxis etabliert, bei der die ausländischen Pflegekräfte zeitlich befristet beschäftigt werden und während ihrer Zeit im Ausland in den Haushalten ihrer Arbeitgeber*innen wohnen. Im Baugewerbe, einem weiteren klassischen Feld für Arbeitsmigrant*innen, werden sog. Werkverträge vergeben, die ebenfalls für die Dauer der Werkserstellung zeitlich befristet sind, die Bezahlung zudem nur bei Erfüllung des Werks erfolgt. In diesen Fällen werden die ausländischen Bauarbeiter*innen nicht einmal mehr bei den inländischen Unternehmen angestellt (Hunger 2000). Ähnliches gilt heute auch für Schlachthöfe.

      Allerdings hat die Geschichte gezeigt, dass eine zeitliche Befristung der Arbeitsmigration in vielen Fällen kaum einzuhalten ist und die eigentlich temporäre Zuwanderung sich in eine dauerhafte Einwanderung verwandelt.

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