Medienrezeptionsforschung. Helena Bilandzic
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1 weil man über die neuesten Ereignisse und Entwicklungen sofort informiert wird. (Information)
2 weil man viel Neues/Wissenswertes erfährt. (Information)
3 um mich zu informieren. (Information)
4 weil ich im Fernsehen aufregende Sendungen (z. B. Krimis o. ä.) anschauen kann. (Spannung/Unterhaltung)
5 weil es amüsant, witzig und lustig ist. (Spannung/Unterhaltung)
6 weil das Fernsehen einen so richtig fesseln kann. (Spannung/Unterhaltung)
7 weil sonst niemand da ist, mit dem ich mich unterhalten oder etwas unternehmen kann. (Ablenkung/Geselligkeit)
8 weil ich mich von meinen Problemen ablenken möchte. (Ablenkung/Geselligkeit)
9 um nicht das Gefühl zu haben, alleine zu sein. (Ablenkung/Geselligkeit)
10 weil ich durch das Fernsehen erfahre, was einem vielleicht auch passieren könnte. (Soziale Nützlichkeit)
11 weil ich dadurch von anderen lernen kann. (Soziale Nützlichkeit)
12 weil das Fernsehen zeigt, wie man sich in bestimmten Situationen verhalten kann/soll. (Soziale Nützlichkeit)
13 weil ich bestimmte Personen im Fernsehen gerne sehe. (Interesse an TV-Personen)
14 um ganz bestimmte Personen (z. B. Moderatoren, Schauspieler, Sportler etc.) zu sehen, die ich gerne mag. (Interesse an TV-Personen)
Diese Fragen werden mit statistischen Auswertungsverfahren wie der Faktorenanalyse zu übergeordneten Motivdimensionen gebündelt. In nahezu allen abgebildeten Skalen findet sich das Motiv der Information. Sehr häufig kommen die Motive Zeitvertreib, Gewohnheit, Entspannung und Geselligkeit vor. Weitere aufgeführte Motive sind Eskapismus, Soziale Nützlichkeit, Spannung/Unterhaltung, aber auch Interesse an TV-Personen, Selbstfindung oder Erlebnissuche in der Vorstellungswelt (vgl. Gleich, 1997; Vorderer, 1996; Schweiger, 2007).
Definition: Eskapismus
Eskapismus beschreibt das Motiv der Rezipienten, durch den Konsum von Medien ihrer Alltagswelt, den in der Gesellschaft erfahrenen negativen Erlebnissen und Rollenerwartungen sowie eigenen Problemen zu entfliehen.
Grob lassen sich Nutzungsmotive in die folgenden vier Gruppen einteilen (vgl. Bonfadelli, 2004):
1 Kognitive Bedürfnisse bezeichnen den Wunsch der Rezipienten nach Informationsgewinn und Orientierung. Sie zielen darauf ab, dass Rezipienten befähigt werden, ihre Umwelt zu verstehen, indem sie durch Mediennutzung ihr Wissen erweitern und ihre Selbsterfahrung ausbauen. In der Agenda-Setting-Forschung zum Beispiel meinen kognitive Motive die Orientierung in Bezug auf gesellschaftlich wichtige Themen, auf verschiedene Aspekte oder Facetten eines Themas und journalistische Bewertungen desselben (vgl. Matthes, 2006).
2 Affektive Bedürfnisse dienen der Stimmungskontrolle sowie der Entspannung, der Rekreation sowie der Suche nach aufregenden Erlebnissen, was zumeist durch die Rezeption von Unterhaltungsangeboten erreicht werden kann. Hierunter fällt auch eine mögliche Verdrängung der eigenen Lebensprobleme, was in der Literatur als Eskapismusthese diskutiert wird (vgl. Katz & Foulkes, 1962; für eine Diskussion Vorderer, 1996). Die Eskapismusthese postuliert, dass Menschen sich deshalb Medien zuwenden, weil sie dadurch der Realität, in der sie leben, kognitiv und emotional entfliehen können. Dies wird ermöglicht, indem Medienangebote positive Emotionen erzeugen, stellvertretend für die reale Welt Sehnsüchte befriedigen (beispielsweise durch das Miterleben von Handlungen in einem Film) oder schlicht und ergreifend durch die Ablenkung von den eigenen Sorgen und Nöten. Anders formuliert, Medieninhalte bieten den Rezipienten interessante und aufregende Erfahrungen, an denen sie qua Rezeptionserleben teilhaben können.
3 Sozial-interaktive Bedürfnisse meinen den Wunsch von Menschen nach Geselligkeit und sozialem Kontakt. Im Kontext der Medienrezeption ist damit zum einen gemeint, dass Medien Anschlusskommunikation ermöglichen, womit Kontakt zu anderen Menschen hergestellt und aufrechterhalten werden kann. Zum anderen können sich Menschen mit Medienakteuren identifizieren bzw. mit ihnen parasozial interagieren (vgl. auch Kapitel 8).
4 Integrativ-habituelle Bedürfnisse meinen den Wunsch nach Geborgenheit, Stabilität und Sicherheit, der durch habituelle und ritualisierte Mediennutzung befriedigt werden kann, zum Beispiel durch das Sehen der Tagesschau jeden Abend um 20 Uhr.
Merksatz
Nutzungsmotive lassen sich in kognitive Bedürfnisse, affektive Bedürfnisse, sozialinteraktive Bedürfnisse und integrativ-habituelle Bedürfnisse einteilen.
In der empirischen Forschung hängen die gefundenen Motivdimensionen stark von der jeweiligen Stichprobe, den formulierten Items und den mehr oder weniger explizierten theoretischen Vorstellungen der Forscherinnen und Forscher ab, so dass eine Gesamtschau auf alle bisher gefundenen Motive einen etwas beliebigen Eindruck macht. Dies liegt in erster Linie am explorativen Vorgehen der meisten Studien, in denen es eher darum geht, Motivdimensionen zu finden statt sie theoretisch vorherzusagen und zu testen (bzw. zu falsifizieren). Nichtsdestotrotz ermöglichen die gefundenen Dimensionen einen Einblick in das rationale Kalkül, das hinter der Mediennutzung steht. Auch gilt es mittlerweile als gut gesichert, dass die Nutzungsmotive mit sozialen und psychologischen Merkmalen der Rezipienten korrelieren, so dass man schon von stabilen Charakteristiken sprechen kann (vgl. Burst, 1999; Henning & Vorderer, 2001; Rubin, 1984). Zudem lassen sich durch die Nutzungsmotive tatsächlich Präferenzen für bestimmte Inhalte vorhersagen (vgl. Gleich, 1997; Potts, Dedmon & Halford, 1996; Trepte, Zapfe & Sudhoff, 2001).
Ob ein Motiv durch die Rezeption befriedigt wird, lässt sich freilich nicht vor der Rezeption vollständig klären. Gewissheit darüber besteht erst nach der Rezeption. Daher wird auch zwischen gesuchten Gratifikationen und erhaltenen Gratifikationen unterschieden (vgl. Palmgreen, 1984). Menschen hegen bestimmte Erwartungen an Medien oder Medieninhalte in Bezug auf die potenzielle Befriedigung ihrer gesuchten Bedürfnisse. Nach der Rezeption gleichen sie die erhaltenen Bedürfnisse mit diesen Erwartungen ab, was wiederum zukünftige Erwartungen beeinflusst. Die Differenz aus gesuchten und erhaltenen Gratifikationen bestimmt schlussendlich den Grad der Befriedigung der Bedürfnisse. Anders formuliert, das Publikum wählt diejenigen Inhalte aus, bei denen die Schere zwischen erwarteten und erhaltenen Gratifikationen am geringsten ausfällt (vgl. Eilders, 1999).
Es handelt sich beim Nutzen- und Belohnungsansatz mitnichten um eine Theorie, sondern vielmehr um eine Forschungsperspektive, die auf motivationale Determinanten der Mediennutzung Wert legt. Der Ansatz ist auch nicht ohne Kritik geblieben. Es lassen sich mehrere zentrale Einwände unterscheiden (vgl. Schweiger, 2007):
Der Ansatz nimmt eine individuumszentrierte Sichtweise ein, indem er die Bedürfnisse aus Sicht einzelner Individuen beschreibt, die losgelöst von sozialen Kontexten betrachtet werden. Gemeinsame Mediennutzung oder Mediennutzung als Gruppenereignis wird im Ansatz weitestgehend vernachlässigt. Der Ansatz ist zudem weitestgehend deskriptiv ausgelegt. Das bedeutet, die Motive werden in den Studien beschrieben, aber kaum erklärt bzw. theoretisch vorhergesagt. Dies resultierte in einer großen Sammlung von Motivkatalogen, die aber theoretisch