Medienrezeptionsforschung. Helena Bilandzic

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Medienrezeptionsforschung - Helena Bilandzic

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Crocker, 1981). Dies wurde ebenso mit dem Netzwerkcharakter des menschlichen Gedächtnisses bereits beschrieben.

      Beispiel

      Wie verstehen Sie folgenden Satz? »Glücklicherweise hatte er seinen Ausweis dabei und musste daher weniger bezahlen.«

      Wahrscheinlich haben Sie an die Mensa oder einen anderen Ort gedacht, bei dem Sie mit Ihrem Studentenausweis eine Ermäßigung bekommen. Vielleicht haben Sie aber auch an etwas anderes gedacht. In jedem Fall trifft zu, dass Sie den Satz nur verstehen konnten, wenn Sie ein passendes Schema aktiviert haben. Dies ist die Phase der Schema-Identifikation. Das aktivierte Schema bestimmt, wie Sie den Satz verstehen. Das heißt aber auch, dass Sie den Satz nicht verstehen können, wenn Sie kein passendes Schema aktivieren. Folgt auf diesen Satz ein zweiter Satz, werden Sie den zweiten Satz vor dem Hintergrund des aktivierten Schemas interpretieren. Dies entspricht der Phase der konzeptgesteuerten Informationsverarbeitung.

      Schema-theoretische Argumentationen finden sich bis heute in zahlreichen kommunikationswissenschaftlichen Forschungsfeldern, so in der Nachrichtenforschung, in der Forschung zu Genres und Gattungen, in der kognitiven Filmpsychologie, im dynamisch-transaktionalen Ansatz sowie auch in der Agenda-Setting-Forschung und in der kommunikationswissenschaftlichen Framing-Forschung. Besonders die einzelnen Funktionen von Schemata haben sich für die kommunikationswissenschaftliche Forschung als sehr relevant erwiesen. Diese werden wir im nächsten Abschnitt kennenlernen.

      Funktionen von Schemata

      Schemata haben drei eng verknüpfte Funktionen (Matthes, 2004):

       Entlastungsfunktion,

       Strukturierungsfunktion und

       Ergänzungsfunktion.

      Erstens entlasten Schemata das Informationsverarbeitungssystem (Entlastungsfunktion), da durch den Rückgriff auf ein Schema nicht jeder Stimulus neu und umfassend verarbeitet werden muss. Rezipienten können so eine Fülle von massenmedial vermittelten Informationen aufnehmen, schnell verstehen und effizient einordnen (vgl. Brosius, 1991). Eine zweite Funktion von Schemata besteht in der Strukturierung von Erfahrungen. Dies nennt man die Strukturierungsfunktion. Wie bereits angeschnitten wurde, weisen einmal aktivierte Schemata den danach eintreffenden Informationen eine Bedeutung zu. Die neu eintreffenden Informationen werden in das Schema eingeordnet und damit auch gemäß dem bereits bestehenden Schema strukturiert (vgl. Taylor & Crocker, 1981, S. 97). Mit anderen Worten, ein Schema ist gewissermaßen die Brille, durch die die Mediennutzer das aktuelle Geschehen verfolgen – sie strukturieren die Medieninformationen genauso, wie die bereits bestehenden Schemata strukturiert sind. Diese strukturierende Funktion ist die Basis für schema-induzierte Erinnerungsleistungen. Damit ist gemeint, dass die Informationen, die dem eigenen Schema entsprechen, einfacher und schneller erinnert werden als schema-irrelevante Informationen (vgl. Taylor & Crocker, 1981).

      Schemata sind aber nicht nur für Erinnerungslücken verantwortlich, sondern auch für Ergänzungen. Personen fügen systematisch Informationen hinzu, die nicht Teil des ursprünglichen Stimulus sind. Minsky (1975) führt in diesem Zusammenhang den Begriff der Standardwerte (default options) ein. Ist beim Abgleich von Schema und Stimulus ein schema-konstituierendes Element nicht im Stimulus vorhanden, führt dies nicht notwendigerweise zum Misfit, sondern es werden Standardwerte eingesetzt, wie sie in ähnlichen Situationen vorkommen. Würde man beispielsweise einer Versuchsperson einen Arzt beschreiben und die Person anschließend bitten, die Beschreibung wiederzugeben, könnte es sein, dass die Versuchsperson einen weißen Kittel erwähnt, obwohl dieser nicht Teil der ursprünglichen Beschreibung war. Derartige Ergänzungen ermöglichen eine sinnvolle Kontextualisierung von Informationen. Dies ist die dritte Funktion von Schemata, die Ergänzungsfunktion.

      Diese drei Funktionen von Schemata erklären, wie die Rezipienten bei der Medienrezeption Wissen über Themen, Personen, Objekte oder Sachverhalte verarbeiten bzw. abspeichern (vgl. z. B. Conover & Feldman, 1984; Miller, Wattenberg & Malanchuk, 1986). Ist ein Schema vorhanden, kann die Information schnell und effizient eingeordnet und verarbeitet werden. Diese Argumentation findet sich beispielsweise in Forschungsarbeiten zur Nachrichtenrezeption: Schemata ermöglichen den Rezipienten, die Nachrichten in einen bedeutungsvollen Kontext zu stellen und damit schnell zu verstehen. Damit kann ein effektiver Umgang mit der Fülle von massenmedial vermittelten Informationen gewährleistet werden. Die Schema-Theorie kann darüber hinaus aufzeigen, wie ein Thema von den Rezipienten repräsentiert wird: als kognitives Schema. Ebenso kann beschrieben werden, welche Schemata die Rezipienten über Wahlkandidaten haben (vgl. Miller et al., 1986). Ähnlich argumentiert die Forschung zu Genres und Gattungen: Genre-, Sender- oder Sendungs-Schemata bestimmen, welche Merkmale ein Format aufweisen muss, um sinnvoll von den Rezipienten eingeordnet zu werden (vgl. Bilandzic, 1999; Fredin & Tabaczynski, 1993; Gehrau, 2003). So beschreibt Bilandzic (1999) die selektive Fernsehnutzung als schema-geleiteten Prozess: Jedes Umschalten wird als neuerlicher Beginn eines Entscheidungsprozesses betrachtet, bei dem ein Genre-, Gattungs-, Themen- oder Sender-Schema aktiviert wird, was dann wiederum zu einer Bewertung des Gezeigten führt. Ist ein Schema für einen Stimulus vorhanden, wird dieser schneller verarbeitet, als wenn kein Schema vorhanden wäre (Bilandzic, 1999, S. 97).

      Beispiel

      Stellen Sie sich vor, Sie sehen in einem Nachrichtenbeitrag zwei Politiker einen roten Teppich entlanggehen. Zudem sind viele Fotografen zugegen und es erklingt feierliche Musik. Sie erkennen sofort, dass es sich um einen Staatsbesuch handelt. Da Sie dies erkannt haben, und damit das Schema Staatsbesuch aktivieren, müssen Sie nicht mehr lange und ausführlich darüber nachdenken, warum ein roter Teppich ausgerollt ist, feierliche Musik erklingt und viele Fotografen anwesend sind. Das aktivierte Schema erleichtert Ihnen die Verarbeitung der gezeigten Information (Entlastungsfunktion).

      Darüber hinaus bestimmen Schemata, welche Medieninformationen wahrgenommen und erinnert werden (vgl. Coleman, 2003; Garramone, Steele & Pinkleton, 1991). Hiermit kann man beispielsweise erklären, warum Personen bei der Rekonstruktion von Nachrichten systematische Lücken aufweisen. Es werden nur die Details wiedergegeben, die dem initiierten Schema entsprechen (vgl. Kasten mit Beispielstudie).

      Schließlich erklären Schemata aktive Bedeutungskonstruktionsprozesse der Rezipienten. Fragt man Rezipienten nach dem Inhalt der Medienberichterstattung, dann nennen bzw. ergänzen sie zum Teil Inhalte, die gar nicht in den Medienbeiträgen vorhanden waren. Am deutlichsten wurde diese Funktion im dynamisch-transaktionalen Ansatz herausgearbeitet (vgl. Früh, 1996). Bei der schematischen Informationsverarbeitung werden Verbindungen zwischen dem medialen Stimulus und dem bereits vorhandenen Schemata hergestellt. Beispielsweise konnte Früh (1996) zeigen, dass die kognitive Verarbeitung medialer Information stärker durch subjektive Schemata beeinflusst wird als durch die Medienstimuli.

      Beispielstudie

      Graber (1988). Processing the news: How people tame the information tide (2. Aufl.). New York: Longman

      Graber (1988) befragte in einer qualitativen Studie mehrfach 21 Personen zur politischen Medienberichterstattung und setzte die Aussagen der Personen mit den Medienberichten in Verbindung. Die Autorin konnte zeigen, dass die Panelteilnehmer nur einen geringen Teil der Medienberichterstattung behalten bzw. dass nur wenige Fakten wiedergegeben werden konnten. Graber führt dieses Ergebnis auf die schema-geleitete Informationsverarbeitung zurück: Es werden die Informationen aus der Medienberichterstattung in bereits bestehende Schemata integriert und damit kontextualisiert. Durch die schema-geleitete Informationsverarbeitung verlieren die Informationen ihre Detailhaftigkeit und werden vergleichsweise abstrakter repräsentiert. Zudem argumentiert Graber, dass Schemata es den Rezipienten erlauben, die Vielzahl von vermittelten Informationen sinnvoll zu verstehen und zu kontextualisieren, d. h., in bereits bestehende Schemata einzuordnen. Auch werden Informationen ergänzt, die nicht in den Nachrichten genannt werden, aber zu einem aktivierten Schema passen (z. B. die Motive

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