Medienrezeptionsforschung. Helena Bilandzic

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Medienrezeptionsforschung - Helena Bilandzic

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denen es um Frauen geht, für eine Zuschauerin besonders intensiv sein, an anderen Stellen aber weniger intensiv (dynamischer Prozess). Erhoben wird die Relevanz aber in einem Gesamturteil nach der Rezeption (statisches Urteil). Daher ist die Rezeption am besten in der Situation selbst zu erheben, idealerweise prozessbegleitend. Nicht immer ist das möglich, aber eine minimale Voraussetzung ist, dass der Stimulus recht kürzlich wahrgenommen wurde. Deshalb (und wegen der Suche nach Kausalität) ist in der Rezeptionsforschung oft ein experimentelles Setting zu finden. Je weiter entfernt die Erfahrung von der Erhebung, umso eher erfasst man Vorstellungen und Rationalisierungen der eigenen Erfahrung.

      Intensität und Beschaffenheit. Die dritte Beschreibungsebene stellt im Gegensatz zu den ersten beiden Kriterien kein konstantes Merkmal dar, das alle Auseinandersetzungen mit dem Medientext gleichermaßen charakterisiert. Vielmehr können die Kriterien Intensität und Beschaffenheit das konkrete Rezeptionserleben in Kombination beschreiben. Intensität bezeichnet dabei die Stärke des Erlebens und der Verarbeitung. Beispielsweise kann die Immersion in eine Geschichte in ihrer stärksten Ausprägung dazu führen, dass eine Person an einer Haltestelle ihren Bus verpasst, weil sie so vertieft ist, dass sie die Geräusche und Bewegungen aus der Umwelt ausblendet. In ihrer schwächsten Ausprägung versteht ein Leser zwar eine Geschichte, kann sich auf das Buch aber nicht einlassen. Beschaffenheit drückt diskrete innere Zustände aus (d. h. voneinander qualitativ unterschiedliche Zustände). Sie kann sich unterschiedlich äußern, etwa in Bezug zum eigenen Leben und Erfahrungen, in der Emotionalität, oder durch einen Bezug auf Personen im Medientext.

      Die zwei Kriterien Interpretation und Zeit stellen so etwas wie Vorbedingungen dar, den Akt der Mediennutzung als Rezeption zu betrachten: als einen Prozess, in dessen Verlauf die Interpretation der Medienbotschaft entscheidender ist als der objektiv feststellbare Gehalt und der mindestens während der Zeit abläuft, die jemand braucht, um sich mit dem Medientext auseinanderzusetzen. Das dritte Kriterium, die Intensität und Beschaffenheit, drückt das Streben aus, die Verarbeitungsund Erlebensweisen zu klassifizieren und Ursachen wie auch Konsequenzen zu erklären. Dass also Medienrezeption Interpretation im Zeitverlauf darstellt, wird in der Rezeptionsforschung vorausgesetzt; die Kapitel dieses Lehrbuches behandeln dann theoretische Modelle und empirische Forschung zur Beschaffenheit und Intensität von Rezeptionserleben.

      Die Medienrezeptionsforschung befasst sich mit der Verarbeitung und dem Erleben von Medien und medienvermittelten Inhalten. Auch in einer veränderten Medienlandschaft, in der einem Laien sowohl die Rezeption als auch die Produktion und Verbreitung von Medieninhalten möglich sind, kann und muss Audiencing (Als-Publikum-Agieren) theoretisch beschrieben und empirisch untersucht werden und ist zentraler Gegenstand der Rezeptionsforschung. Wir sehen die Rolle des Publikums demnach nicht als statisches, sondern als variables, situatives und handlungsabhängiges Merkmal: Wer als Publikum agiert, ist zu diesem Zeitpunkt Publikum. Dabei gibt es keine Einschränkung bei den Medien, Themen und oder der Genese (etwa professionelle oder Laienproduktion) – wenn jemand als Publikum agiert, wird er ein Fall für die Rezeptionsforschung. Die Auseinandersetzung der Rezipierenden mit einem Medientext (Bezeichnung für den medialen Inhalt mit seinen spezifischen formalen Merkmalen, unabhängig davon, ob es sich um eine textliche, visuelle, auditive oder audio-visuelle Vorlage handelt) hat drei Merkmale: (1) Der Medientext wird vom Rezipierenden interpretiert; (2) Die Auseinandersetzung findet in einer bestimmten Situation über die Zeit hinweg statt, d. h. sie ist ein Prozess; (3) Die Auseinandersetzung mit dem Medientext kann durch die Intensität und Beschaffenheit beschrieben werden.

      Übungsaufgaben

      1 Definieren und finden Sie Beispiele für die zentralen Konstrukte der Rezeptionsforschung Verarbeitung und Erleben.

      2 Was ist am Konzept des Publikums problematisch? Inwiefern bringt die Fokussierung auf die Tätigkeit des Publikums (Audiencing) mehr Präzision?

      3 Medienkonvergenz hat weitreichende Auswirkungen auf die Nutzung. Welche Auswirkungen kann Medienkonvergenz auf Intensität und Beschaffenheit der Rezeption haben?

      Bratich, J. Z. (2005). Amassing the multitude: Revisiting early audience studies. Communication Theory, 15(3), 242–265.

      Der Aufsatz präsentiert eine historische Betrachtung der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Publika und liefert eine äußerst interessante kritische Analyse von Perspektiven, die hinter frühen Diskursen zum Publikum stecken – empfehlenswert für eingefleischte empirisch-analytische Denker zur Erweiterung der Perspektive.

      Ridell, S. (2012). Mode of action perspective to engagements with social media: Articulating activities on the public platforms of Wikipedia and YouTube. In H. Bilandzic, G. Patriarche & P. Traudt (Hrsg.), The social use of media. Cultural and social scientific perspectives on audience research (S. 19–35). Bristol: Intellect.

      Das Kapitel von Ridell stellt eine treffende und klarsichtige Analyse von Audiencing in neuen Medienumgebungen und kollaborativen Kontexten vor.

      Lazarsfeld, P. F. (1941). Remarks on administrative and critical communications research. Zeitschrift für Sozialforschung. Studies in Philosophy and Social Science, 9, 2–16.

      Dieser Essay ist ein einzigartiges Dokument der frühen Forschung zum Rezipienten, das die Spannung zwischen empirischer und kritischer Forschung aufgreift.

      2 Verarbeitung von Medieninhalten1

      Lernziele

      1 Sie lernen die Grundlagen der Wahrnehmung, Aufmerksamkeit und Informationsverarbeitung kennen.

      2 Sie verstehen, wie Medieninformationen abgespeichert, gelernt und abgerufen werden können.

      3 Sie erlernen die Grundlagen für die Erklärung von verschiedenen Phänomenen bei der Rezeption von Medienbotschaften, wie die Erinnerung und das Verständnis von Nachrichten oder Spielfilmen.

      Bei der Verarbeitung von Medienbotschaften, beispielsweise bei Nachrichten oder Spielfilmen, nehmen Rezipienten in der Regel eine aktive Rolle ein. Sie selektieren wichtige Informationen von unwichtigen, integrieren die Informationen in bestehende Wissensschätze, lernen neue Informationen, speichern diese ab und können sie – unter bestimmten Bedingungen – später wieder abrufen. Aktiv bedeutet dabei nicht zwangsläufig, dass sich die Rezipienten jedes einzelnen Schrittes bewusst sind und diese willentlich beeinflussen. Viele Prozesse laufen auch ganz automatisch ab, im Grunde wie auf Autopilot. Für das Verständnis dieser grundlegenden Prozesse ist es notwendig, dass wir uns in diesem Kapitel mit den kognitiven Grundlagen der Rezeptionsforschung beschäftigen. Darunter fällt die Beschreibung des menschlichen Denkens und Verstehens bei der Nutzung von unterhaltungs- oder informationsorientierten Medienangeboten und der damit verbundenen Prozesse wie Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Informationsverarbeitung und Informationsspeicherung. Wir lernen in diesem Kapitel grundlegende Prozesse bei der Medienrezeption kennen. Viele der im Folgenden vorgestellten Konzepte und Modelle stammen aus der psychologischen Kognitionsforschung. Sie liefern einen wichtigen Hintergrund für die folgenden Kapitel in diesem Buch.

      Der kognitive Apparat des Menschen

      Ein Begriff, der in der Rezeptionsforschung eine sehr große Rolle spielt, ist Kognition. Unter Kognition versteht man vereinfacht die Gesamtheit der informationsverarbeitenden Prozesse und Strukturen eines intelligenten Systems (vgl. z. B. Kluwe, 2001; Wirth, 1997). Darunter fallen eine Reihe von Phänomenen wie Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Gedächtnis,

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