Medienrezeptionsforschung. Helena Bilandzic

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Medienrezeptionsforschung - Helena Bilandzic

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Audiencing und Producing (definiert durch bestimmte typische Aktivitäten und je spezifische strukturelle Bedingungen) analytisch strikt voneinander zu trennen, aber im Kontext eines übergreifenden, medienbezogenen Handlungsprojektes zu sehen. So beginnt eine Beschäftigung mit Wikipedia oft mit der Absicht, Informationen über ein Thema nachzuschlagen (Audiencing); wenn ein Problem oder ein Fehler mit dem Inhalt entdeckt wird, kann ein Mensch motiviert werden, diesen Fehler durch eigene Hinzufügungen oder Korrekturen zu beseitigen (Producing). Ridell argumentiert nun dafür, diese Handlungen nicht als eine einzelne hybride Tätigkeit zu betrachten, sondern als eine Abfolge von aufeinander bezogenen, aber unterscheidbaren Handlungen in jeweils verschiedenen Handlungsmodi (vgl. Ridell, 2012, S. 23 f.).

      Ähnlich wie im Konzept des Audiencing hat auch bereits Maletzke (1963) die Tätigkeit in den Vordergrund gestellt: die Zuwendung zu einem massenmedial vermittelten Inhalt. Heute würde man den Akzent weniger auf die massenmediale Vermittlung legen, sondern eine mediale Vermittlung zur Bedingung machen: Jemand gehört dann zum Publikum, wenn er oder sie handelt wie ein Publikum (also produzierten Inhalt nutzt, wahrnimmt und interpretiert). In konvergenten Medienumgebungen ändert sich im Prinzip nichts an diesem Grundsatz; das technische (tertiäre) Medium mag heute variabel sein, aber die Vermittlungsmedien, die primären und sekundären Medien (Text, Bild, Ton), bleiben die gleichen und müssen vom Rezipienten auch als solche verarbeitet werden.

      Damit können wir auch den Gegenstand dieses Lehrbuches näher fassen und auf die Prozesse des Audiencing, des Als-Publikum-Agierens, eingrenzen. Bei uns geht es also nicht um den Modus der Produktion, sondern um den Modus der Rezeption. Auch wenn diese beiden Modi in der Realität häufig zusammen auftreten und sich in einem übergeordneten Handlungsprojekt (z. B. Wiki-Nutzung, vgl. Ridell, 2012) realisieren können, kann man diese Prozesse auf einer analytischen Ebene trennen, um sie im Detail zu durchleuchten und zu beschreiben. Wir behandeln die Mikroprozesse, die beim Audiencing über Medienplattformen hinweg im Prinzip ähnlich funktionieren: Verarbeiten von Sinn in Text und Bild, Aufmerksamkeit, Mitfühlen, Spannung erleben, Relevanz verspüren oder Medienpersonen wahrnehmen.

      Gegenstand der Medienrezeptionsforschung

      Medienrezeptionsforschung beschäftigt sich mit Phänomenen des Audiencing, des Als-Publikum-Agierens. Sie erklärt Prozesse der Verarbeitung und des Erlebens von medial vermittelten Inhalten in allen Medien, bei allen Themen und bei Texten jeder Genese (etwa professionelle oder Laienproduktion).

      Dabei wird unser Medienspektrum nicht auf Massenmedien, professionell produzierte Inhalte oder Inhalte von politisch-gesellschaftlicher oder zeitlicher Relevanz begrenzt sein (vgl. Einschränkung des Gegenstandsbereiches bei Schweiger, 2007, S. 17 f.). Der Wandel hin zur Networked Society und zur Medienkonvergenz verlangt von der Rezeptionsforschung auch Antworten auf andere Phänomene der medialen Rezeption, etwa zu virtuellen Welten, Avataren, Computerspielen, Musik, Film oder Internet-Diensten. Inhalte fließen zudem crossmedial und über Genres hinweg, so dass eine Isolation einzelner medial vermittelter Inhalte zuungunsten anderer nicht zielführend ist.

      Unter der Lupe: Reception = Rezeption?

      Reception Studies im Englischen und der deutsche Begriff der Rezeptionsforschung klingen ähnlich, dahinter stehen allerdings ganz unterschiedliche Forschungstraditionen. Reception Studies ist der Name für eine ganze Reihe von Ansätzen, die sich mit der Auseinandersetzung von Publika mit Medientexten (wieder in einem umfassenden Sinne) widmen, aber in enger Verbindung mit dem Ansatz der Cultural Studies Interpretationen mit ethnographischen Methoden (d. h. kontextorientiert, kulturell eingebettet, kritisch) untersuchen (vgl. Livingstone, 1998, S. 237 f.) oder aber aus der Tradition der deutschen Rezeptionsästhetik aus der Literaturwissenschaft stammen (vgl. Sandvoss, 2011; ein umfassenderes, integratives Verständnis hingegen bei Staiger, 2005).

      In der eher amerikanisch geprägten quantitativen Rezeptionsforschung (an der sich dieses Lehrbuch auch vornehmlich orientiert) wird international der Begriff Reception für Rezeption so gut wie gar nicht verwendet. Das Gebiet wird am ehesten mit Media Processes oder Information Processing umschrieben und oft nur in Konjunktion mit der Wirkungsforschung behandelt (vgl. Nabi & Oliver, 2009) oder aber als inhaltlich abgegrenzte Unterbereiche, etwa Unterhaltung (vgl. Bryant & Vorderer, 2006), separat behandelt.

      Die Rezeptionsforschung, wie oben in der Definition geschildert, verfolgt also die theoriefundierte Erklärung und Beschreibung von Prozessen der Verarbeitung und des Erlebens von Medien und medienvermittelten Inhalten. Man kann auch sagen, dass die Rezeptionsforschung sich mit der aktiven Auseinandersetzung des Rezipienten mit der Medienbotschaft befasst. Drei Aspekte charakterisieren diese Auseinandersetzung: die subjektive Interpretation, der zeitliche Ablauf sowie eine bestimmte Intensität und Beschaffenheit.

      Subjektive Interpretation der Medienbotschaft. Die Bedeutung eines Medientextes für einen Rezipienten kann nicht aus dem Text alleine abgeleitet werden. Erst die Rezipierenden konstruieren diese Bedeutung. Der Textgehalt wird nicht eins zu eins auf den Rezipienten übertragen; Menschen müssen Bedeutungen erst konstruieren. Früh und Schönbach bringen dieses Prinzip auf den Punkt, wenn sie schreiben, dass der Stimulus (also die Medienbotschaft) keine fixe Identität hat und erst einer Bedeutungszuweisung durch den Rezipienten bedarf (vgl. Früh & Schönbach, 1982). Dies ist auch eine zentrale Annahme in kulturellen Ansätzen (vgl. Livingstone & Das, 2013). Die zugeschriebenen Bedeutungen können nicht nur vom intendierten Bedeutungsgehalt des Textes abweichen, sondern auch bei verschiedenen Menschen unterschiedlich ausfallen. Regelmäßigkeiten trotz dieser prinzipiell individuellen Interpretationssituation werden ebenfalls angenommen und gesucht, aber nicht nur in sozialen Faktoren, sondern in individuellen Wissensbeständen, emotionalen Befindlichkeiten, Motivationen, persönlicher Relevanz ebenso wie in den inhaltlichen und strukturellen Charakteristika der Medienbotschaft. Gerade die Untersuchung von Charakteristika der Medienbotschaft bringen der Rezeptionsforschung (bzw. der Wirkungsforschung) oft den Vorwurf des Behaviorismus (vgl. Sandvoss, 2011), der Stimulus-ResponseForschung oder der linearen Denkweise ein (vgl. Livingstone & Das, 2013). Diese Vorwürfe beruhen allerdings auf einem veralteten Forschungsstand oder einer selektiven Rezeption der Medienwirkungsforschung; man kann das Stimulus-Response-Modell durchaus auch als Mythos begreifen, den es in der Wirkungsforschung nie tatsächlich gegeben hat (vgl. Brosius & Esser, 1998). Gerade die Rezeptionsforschung geht von variierenden Interpretationen und Wahrnehmungen seitens der Rezipierenden aus; wenn es diese nicht gäbe, wäre auch die Rezeptionsforschung obsolet. Der Rezeptionsforschung geht es jedoch nicht um Idiosynkrasien (Eigenwilligkeiten von Einzelfällen), sondern darum, Muster und Regelmäßigkeiten zu entdecken. Diese Regelmäßigkeiten der Rezeption manifestieren sich in Zusammenhängen etwa mit den Merkmalen der Medienbotschaft oder aber Rezipientenmerkmalen (etwa der Persönlichkeit, den Lebensumständen, demografischen Merkmalen) bzw. dem komplexen Zusammenspiel von Botschafts- und Rezipientenmerkmalen.

      Zeit. Das zweite grundlegende Prinzip der Rezeption ist die Erkenntnis, dass alle Rezeptionsprozesse im engeren Sinne (also Verarbeiten und Erleben) einen Prozess darstellen, der während des Medienkontaktes und in der konkreten Situation, in der ein Medienkontakt stattfindet, abläuft. Die zeitliche Dimension hat in der Rezeptions- und Wirkungsforschung schon lange ihren festen Platz: So bezieht etwa das Dynamisch-Transaktionale Modell (vgl. Früh & Schönbach, 2005) die sequentiellen und simultanen Abläufe von Rezeptions- und Wirkungsprozessen explizit in die theoretischen Erwägungen mit ein; auch aus anderen Perspektiven ist der zeitliche Ablauf relevant geworden (vgl. Suckfüll, Schramm & Wünsch, 2011). In jedem Fall entwickeln sich Selektion, Verarbeitung und Erleben im Verlaufe einer Nutzungssituation weiter, sie sind nicht statisch. In speziellen Fällen ist nicht nur die Auseinandersetzung des Rezipierenden zeitlich variabel, sondern auch der Medientext selbst. Bei audiovisuellen oder auditiven Vorlagen etwa ändert sich der Stimulus selbst kontinuierlich.

      Die Verarbeitungserfahrung und das Erleben treten über die Zeit hinweg in einer bestimmten Situation auf – das hat einige wichtige methodische Implikationen. So kann

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