Medienrezeptionsforschung. Helena Bilandzic

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Medienrezeptionsforschung - Helena Bilandzic

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und dem unwillkürlichen Generieren von Aufmerksamkeit durch Umweltreize verstanden.

      Merksatz

      Die Wahrnehmung des Menschen verläuft in der Regel schnell und automatisch. Demgegenüber sind Denkprozesse verhältnismäßig langsam und der bewussten Kontrolle zugänglich.

      Man unterscheidet willkürliche und unwillkürliche Aufmerksamkeit. Die willkürliche Aufmerksamkeit (auch Top-down-Processing) ist durch das Vorwissen, die Erwartungen oder die Einstellungen der Rezipienten geprägt. Die unwillkürliche Aufmerksamkeit (auch Bottom-up-Processing) richtet sich nach den Eigenschaften der Medienstimuli. Sie wird auch als datengeleitete Informationsverarbeitung bezeichnet.

      Willkürliche und unwillkürliche Aufmerksamkeit

      Beispielsweise können wir bei der Medienrezeption gezielt unsere Aufmerksamkeit auf eine Nachrichtenbotschaft lenken, die die vermittelten Informationen vor dem Hintergrund bestehender Wissensbestände einordnet und abspeichert (vgl. das Grundmodell des kognitiven Apparates in Abb. 2.1). Dies nennt man kontrollierte oder willkürliche Aufmerksamkeit (vgl. im Folgenden Wirth, 2001; siehe auch Kahneman, 1973; Neisser, 1974). Solche kontrollierten Aufmerksamkeitsprozesse sind uns bewusst und sie beanspruchen kognitive Kapazitäten. Allerdings können sie durch ständige Wiederholung automatisiert werden, so dass sie zu einem späteren Zeitpunkt schneller und mit geringerem kognitivem Aufwand ablaufen. Beispielsweise müssen sich Spieler von Computerspielen zu Beginn eines neuen Spiels stark auf die Schlüsselreize des Spiels konzentrieren. Nach entsprechender Übung ist dies nicht mehr notwendig, so dass die Spieler automatisch und ohne starke willentliche Anstrengung reagieren können.

      Oder wir werden zum Beispiel im Fernsehen mit Werbung konfrontiert, in der plötzlich für uns interessante Bilder gezeigt werden. Als Folge lenken wir – gewissermaßen als Reaktion auf die Werbereize – unsere Aufmerksamkeit auf den Inhalt der Werbung. Dies fällt unter die Rubrik unwillkürliche bzw. automatische Aufmerksamkeit. Unwillkürliche Aufmerksamkeitsprozesse sind uns zwar bewusst, sie verlaufen jedoch unkontrolliert und werden durch Umweltreize ausgelöst. Sie sind gewissermaßen von außen gesteuert. Das bedeutet: Unsere Aufmerksamkeit wird unwillkürlich geweckt durch auffällige Reize oder Objekte, beispielsweise Farben, Bewegungen oder Geräusche. Diese Reize erwecken unsere Aufmerksamkeit, ohne dass wir das bewusst steuern können. Willkürliche und unwillkürliche Aufmerksamkeit werden häufig auch als Top down und Bottom up bezeichnet. Das Top-down-Processing beschreibt jene Informationsverarbeitung, die durch das Vorwissen, die Erwartungen oder die Einstellungen der Rezipienten gesteuert wird. Das Bottom-up-Processing bezeichnet die datengeleitete Informationsverarbeitung, die sich nach dem Stimulus richtet. Zudem bestehen beim Menschen sogenannte latente Aufmerksamkeitsdispositionen, die aktiviert werden, wenn wir mit bestimmten Reizen konfrontiert werden. Interessieren wir uns beispielsweise aufgrund unserer persönlichen Situation generell stark für das Thema Kinderbetreuung, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass uns dieses Thema im Fernsehen auffällt, größer als bei geringem Interesse, selbst wenn wir das Geschehen auf dem Bildschirm nur nebenbei verfolgen.

      Wenn wir nun bei der unwillkürlichen Aufmerksamkeit den Reizen folgen, wie können wir dann aus der Flut von Informationen bei der Medienrezeption Sinnvolles von Unwichtigem unterscheiden? Zur Beantwortung dieser Frage wird in der Regel auf drei Mechanismen verwiesen (vgl. Wirth, 2001).

       Zum Ersten gibt es beim Menschen latente Selektionsdispositionen, die in angeborenen Reflexen oder grundlegenden Bedürfnissen verankert sind. Beispielsweise ist davon auszugehen, dass Rezipienten bei Werbeplakaten ihre Blicke stärker auf Personen richten als auf Gegenstände. Auch sexuelle Reize lösen reflexartige Reaktionen aus, was die Aufmerksamkeit auf diese Reize lenkt.

       Zweitens lösen überraschende oder potenziell bedrohliche Reize eine Orientierungsreaktion aus. Solche Reize können Normverletzungen, Regelbrüche oder auch akustische oder visuelle Pegelsprünge wie z. B. laute Schreie oder Lichtveränderungen sein. Als Folge werden sensorisch die Rezeptorschwellen gesenkt, was die Wahrnehmungsempfindlichkeit unseres Informationsverarbeitungssystems erhöht. Auch tritt eine Verlangsamung der Herzfrequenz für vier bis sechs Sekunden ein (vgl. Lang, 2000). Besonders intensive oder bedrohliche Reize lösen jedoch keine Orientierungsreaktion mehr aus, sondern eine Schreck- oder Abwehrreaktion. Denken wir beispielsweise an einen Horrorfilm, in dem eine ruhige, beschauliche Szene abrupt durch ein schreckliches Szenario unterbrochen wird. Nicht selten wenden wir hier – zumindest zunächst – die Augen ab.

       Drittens lässt sich mit dem Priming-Paradigma erklären, warum inhaltsbezogene Reize unwillkürlich stark beachtet werden. Nach dem Priming-Paradigma erfahren solche Informationen unwillkürlich eine erhöhte Aufmerksamkeit, die kurz zuvor in verwandter Form dargeboten wurden und daher noch im Kurzzeitgedächtnis aktiviert sind. Priming ist ein Prozess, bei dem Informationen (der sogenannte Prime) bestimmte Wissenseinheiten im Gedächtnis des Rezipienten aktivieren. Durch die Aktivierung werden diese Wissenseinheiten in einen Zustand temporär leichter Verfügbarkeit versetzt. Wird der Rezipient dann mit weiterer Information konfrontiert, werden die soeben zugänglich gemachten Wissenseinheiten eher betrachtet, sie sind leichter zugänglich. Dies kann zur Folge haben, dass die zugänglich gemachten Wissenseinheiten eher für die Bewertung von neuen Informationen herangezogen werden. Beispielsweise haben Baumgartner und Wirth (2012) gezeigt, dass Rezipienten, die mit positiven Nachrichten konfrontiert werden, bei der darauf folgenden Nachrichtenrezeption auch eher positive Informationen verarbeiten, obwohl die darauf folgenden Nachrichten nichts mit der ursprünglichen Botschaft zu tun hatten. Die Wahrscheinlichkeit, dass bei den darauf folgenden Nachrichten positive Informationen wahrgenommen werden, wurde durch den ursprünglichen Beitrag erhöht. Allerdings ist das Priming kein reflexhafter, deterministischer Effekt, sondern hängt von gewissen Bedingungen ab: Grundsätzlich ist die Aktivierung und Benutzung der leichter zugänglichen Wissenseinheiten umso wahrscheinlicher, (1) je kürzer der Prime zeitlich zurückliegt, (2) je öfter der Prime auftritt und (3) je besser die aktivierte Wissenseinheit auf die folgende Umweltinformation anwendbar ist (vgl. Peter, 2002).

      Definition: Priming

      Beim Priming werden Wissenseinheiten im Gedächtnis leichter zugänglich gemacht und daher mit höherer Wahrscheinlichkeit für die Bewertung von darauf folgenden Stimuli herangezogen.

      Sowohl für unwillkürliche als auch für kontrollierte Aufmerksamkeit gilt das Prinzip der Ressourcenallokation, das von Kahnemann (1973) vorgeschlagen wurde. Damit ist gemeint, dass Menschen nur eine begrenzte kognitive Energie haben, mit der sie sich Reizen widmen können (vgl. auch Lang, 2000). Unsere Kapazitäten zur Informationsverarbeitung sind limitiert. Je mehr Energie wir für eine Aufgabe einsetzen und je stärker wir uns darauf konzentrieren, desto weniger sind wir in der Lage, unsere Aufmerksamkeit auf andere, alternative Reize oder Aufgaben zu lenken. Wenn wir beispielswiese eine Zeitung lesen, um die neuesten Nachrichten zu verfolgen, wird es uns schwerfallen, dass wir uns parallel auf unsere Lieblingsmusik konzentrieren. Allerdings können Menschen ihre Aufmerksamkeitsressourcen auch auf verschiedene Quellen verteilen, vor allem wenn nur ein Kanal semantisch verarbeitet, das bedeutet, sinngemäß verstanden werden muss.

      Ressourcenbegrenzung und Ressourcenallokation

      Die Ressourcenbegrenzung erklärt eine Reihe von Phänomenen der Rezeptionsforschung. Beispielsweise untersuchen Studien, ob Humor in politischen Botschaften (z. B. in politischen Reden oder in einer Late Night Show) das Lernen von politischen Informationen erhöht oder verringert (vgl. Matthes, 2013). Aus der Humorforschung ist bekannt, dass das Verstehen von Humor kognitive Kapazitäten bindet. Wenn andere Menschen einen Witz erzählen, kommt es oft vor, dass man sich auf die Pointe konzentrieren muss, um den Witz zu verstehen. Die Studie von Young (2008) zeigt, dass Humor in politischen Botschaften dazu führen kann, dass die Rezipienten mehr kognitive Ressourcen auf das Verständnis des Humors lenken und daher weniger stark die Argumente prüfen und auch behalten können. Dies kann dazu führen, dass

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