Medienrezeptionsforschung. Helena Bilandzic
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Die amerikanische Forscherin Lang hat viele Erkenntnisse zur Ressourcenbegrenzung aufgegriffen und summarisch in einem Modell, dem Limited Capacity Model of Motivated Mediated Message Processing, zusammengefasst und auf Medien angewandt (vgl. Lang, 2000, 2006). Das Modell geht wie auch andere Ansätze der kognitiven Psychologie davon aus, dass Menschen nur eine limitierte Kapazität für die Verarbeitung, Speicherung und den Abruf von Informationen zur Verfügung haben. Wir verwenden bei der Medienrezeption nur jeweils so viel Energie, wie nötig ist, um das Rezeptionsziel zu erreichen. Dabei können wir gezielt Ressourcen auf bestimmte Medienstimuli lenken (beispielsweise bei hohem persönlichem Interesse für eine Information), oder wir reagieren automatisch mit Ressourcenallokation auf mediale Reize (beispielsweise bei emotionalen oder potenziell bedrohlichen Inhalten). Wichtig an dem Modell ist, dass es die Ressourcenbegrenzung auf alle Stufen des Informationsverarbeitungsprozesses bezieht, also auf die Aufnahme, die Speicherung und den Abruf. Je mehr Energie auf einer Stufe verwendet wird, desto weniger ist für die anderen Stufen verfügbar. Und je geringer die insgesamt eingesetzten Ressourcen sind, desto eher kann es sein, dass die Ressourcen für einen der Prozesse nicht ausreichen. Das Modell unterscheidet ebenfalls in Anlehnung an psychologische Modelle zwei motivationale Systeme, ein Annährungs- und ein Vermeidungssystem. Die Idee ist, dass eines der beiden Systeme oder beide zusammen automatisch bei der Medienrezeption aktiviert werden. Sie bestimmen mit, wie viel Ressourcen bei der Rezeption bereitgestellt werden. Je mehr das Annährungssystem angesprochen wird, desto mehr Ressourcen werden auch bereitgestellt. Wird das Vermeidungssystem aktiviert, werden mehr Ressourcen dafür verwendet, Informationen aus dem Gedächtnis abzurufen, um auf die negative Information zu reagieren. Gleichzeitig werden negative Informationen abgespeichert, um sich auf zukünftige negative Situationen vorzubereiten. Mit dem Modell kann beispielsweise erklärt werden, warum reizarme Medienbotschaften besser verstanden und verarbeitet werden als hoch komplexe Inhalte. Auch Botschaften, die eine starke Orientierungsreaktion auslösen (z. B. Erotik in der Werbung) verbrauchen viele Ressourcen, wodurch weniger Energie für Speicherung und Abruf verwendet werden kann.
2.3 Informationsverarbeitung: Speicherung und Abruf
Bisher haben wir erklärt, welche Informationen bei der Rezeption wahrgenommen werden bzw. worauf sich unsere Aufmerksamkeit richtet. Nun wenden wir uns der Frage zu, wie die wahrgenommenen Informationen abgespeichert und abgerufen werden können.
2.3.1 Gedächtnis als assoziatives Netzwerk
Bereits weiter oben haben wir die Grundfunktionsweise unseres kognitiven Apparates kennengelernt. In der Kognitionspsychologie wird das Langzeitgedächtnis des Menschen als assoziatives Netzwerk verstanden (vgl. Higgins & Brendl, 1995). Die Gedächtnisinhalte sind untereinander durch sogenannte Assoziationen (auch assoziative Bahnen genannt) verbunden. Wenn ein bestimmter Gedächtnisinhalt aufgerufen wird, nennen wir ihn aktiviert. Damit gelangt die Information vom Langzeitgedächtnis in den Arbeitsspeicher. Diese Aktivierung bezieht sich aber nicht nur auf diesen einen Inhalt, sondern kann sich in weiterer Folge zu verbundenen Inhalten ausbreiten. Dies nennt man Aktivierungsausbreitung. Je stärker dabei die Verbindung zwischen zwei Gedächtnisinhalten ist, desto stärker werden sie jeweils mitaktiviert, sobald ein Inhalt aktiviert wurde. Beispielsweise aktiviert ein Nachrichtenbeitrag das Konzept Arbeitslosigkeit. Bei einigen Rezipienten ist der Begriff Arbeitslosigkeit im Gedächtnis mit dem Begriff neue Bundesländer vernetzt. Folglich wird der Begriff neue Bundesländer automatisch mitaktiviert.
Die Aktivierung von Gedächtnisinhalten hängt von zwei Aspekten ab (vgl. Higgins & Brendl, 1995; Peter, 2002): Zum einen von der Häufigkeit, mit der ein Inhalt in der Vergangenheit aktiviert wurde und zum anderen vom zeitlichen Abstand, mit dem der Inhalt zuletzt aufgerufen wurde. Je kürzer der Abstand, desto stärker die Aktivierung. Daraus folgt auch, dass die Inhalte umso stärker dauerhaft bzw. chronisch verfügbar sind, je häufiger sie aktiviert werden. Chronisch verfügbare Gedächtnisinhalte spielen dann bei der Urteils- und Einstellungsbildung eine vorgeordnete Rolle.
Zudem unterscheidet man vereinfacht das semantische und das episodische Gedächtnis (vgl. Anderson, 2001; Renkl, 2009). Im semantischen Gedächtnis sind Informationen wie Wissen, Konzepte oder Definitionen abgespeichert. Beispielsweise das Wissen, wie eine Fernsehsendung aufgebaut ist und abläuft. Im episodischen Gedächtnis sind dagegen Erlebnisse oder Erfahrungen abgebildet, die aber nicht nur die eigene Person betreffen müssen. Beispielsweise können Rezipienten Informationen abrufen, welche Handlungen in einem Krimi vollzogen wurden oder was man selbst während der Rezeption gemacht hat. Neben dem semantischen und dem episodischen Gedächtnis unterscheidet man noch das metakognitive Gedächtnis, das Wissen über das Wissen (meist über eigene Personenmerkmale oder Vorgehensweisen) beinhaltet (ausführlicher vgl. Renkl, 2009).
Merksatz
Das semantische Gedächtnis beinhaltet Informationen wie Wissen, Konzepte oder Definitionen. Hingegen werden im episodischen Gedächtnis Erlebnisse oder Erfahrungen abgebildet.
Das bedeutet zusammengefasst: Semantische oder episodische Wissenseinheiten werden im Gedächtnis abgespeichert und können bei ihrer Aktivierung automatisch verwandte Wissenseinheiten aktivieren. Manche Wissenseinheiten sind chronisch verfügbar und damit ist grundsätzlich die Wahrscheinlichkeit größer, dass sie aufgerufen werden. In der Kognitionsforschung gibt es eine Reihe von Vorstellungen, wie Gedächtnisinhalte organisiert und abgespeichert sind. Wichtige Konzepte und Ansätze sind dabei die Schema-Theorie, der Konnektionismus sowie mentale Modelle, die wir in den nächsten drei Abschnitten kennenlernen werden.
2.3.2 Schemata
Eine prominente These der Kognitionsforschung besagt, dass unser Wissen in Form von Schemata organisiert ist (vgl. im Folgenden Matthes, 2004). Der Begriff Schema bzw. Schemata (Mehrzahl) wurde von Bartlett (1932) in die psychologische Forschung eingeführt. Bartlett untersuchte die Erinnerungsleistung von Versuchspersonen bei der Reproduktion einer indianischen Volkssage. Dabei stellte er fest, dass die Versuchspersonen zahlreiche Einzelheiten wegließen und stattdessen die Sage gemäß ihrer eigenen Erwartungen modifizierten. Aus diesen Ergebnissen schloss Bartlett auf generische Wissensstrukturen, sogenannte Schemata, die für die Fehler in der Reproduktion verantwortlich sind.
Vereinfacht ausgedrückt ist menschliches Wissen gemäß der Schema-Theorie ähnlich wie in einem Schubladensystem organisiert: Prinzipiell gibt es unendlich viele Schubladen, da es für jede Situation, Objekt etc. ein Schema gibt. Im Prozess der Informationsverarbeitung wird entweder eine Schublade geöffnet – was wiederum zum Öffnen von verknüpften Schubladen führen kann – oder alle Schubladen bleiben geschlossen, d. h. die Information wird nicht verstanden. In diesem Fall können auch neue Schubladen gebildet werden. Schemata sind also vorstrukturierte, relativ stabile Wissenspakete, die aktiviert oder nicht aktiviert werden. Wenn es sich um Handlungsabläufe handelt, nennt man diese Skripts (z. B. ein Skript für einen typischen Fernsehabend).
Definition: Schemata
Schemata sind strukturierte, relativ stabile Wissenskomplexe der Rezipienten. Sie umfassen Wissen über Ereignisse, Abläufe, Situationen und Objekte und sind untereinander durch ein Netz von Assoziationen verbunden.
Schemata sind an zwei Stellen des Informationsverarbeitungsprozesses relevant (vgl. im Folgenden Rumelhart, 1980; Taylor & Crocker, 1981): Trifft eine Information auf das Informationsverarbeitungssystem, wird zunächst das Schema identifiziert, welches am besten auf die einströmende Information passt. Diese Phase der Schema-Identifikation haben wir bereits als Bottom-up-Informationsverarbeitung kennengelernt. Welches Schema identifiziert wird, bestimmt, ob und wie diese Information verstanden und eingeordnet wird. Des Weiteren steuert ein einmal identifiziertes Schema die Verarbeitung der kommenden Information und auch die Aktivierung von verknüpften Schemata. Diese Phase entspricht der Top-down-Informationsverarbeitung und macht den eigentlichen Kernbereich der Schema-Theorie aus (vgl. Schwarz, 1985, S. 277 f.). Ferner weisen Schemata eine pyramidale Struktur auf und sind untereinander durch ein Netz von Assoziationen