Bio-psycho-soziales betriebliches Gesundheitsmanagement für Sozial- und Gesundheitsberufe. Ruth Haas
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■ Transferaufgaben regen dazu an, die dargestellten Wissensbestände auf Beispielbetriebe zu übertragen, die in Kapitel 2.5 eingeführt wurden.
■ Selbstlernaufgaben dienen der Reflexion und Wiederholung der theoretischen Erkenntnisse.
Dieser methodische Mix wird durch Literaturtipps ergänzt, die einen niedrigschwelligen Zugang zur Fachliteratur geben.
Die Konkretion bezogen auf BGM wird in Tipps geleistet.
Da im Feld der Fachliteratur zum Thema BGM viel Bewegung herrscht, sind die LeserInnen dazu angehalten, selbst mittels Recherche Aktualisierungen vorzunehmen.
1 Bio-psycho-soziale Gesundheit
Im folgenden Kapitel werden grundsätzliche Aspekte des Gesundheits–Krankheitsdiskurses benannt, der Begriff bio-psycho-soziale Gesundheit definiert und ressourcenorientierte Gesundheitsmodelle vorgestellt. Die Begriffe „Gesundheit“ und „Krankheit“ werden im alltagssprachlichen Gebrauch als Gegenpole und zur gegenseitigen Abgrenzung gebraucht. In medizinischer Sicht dienen sie ursprünglich der Einordnung in die Kategorien behandlungsbedürftig / nicht behandlungsbedürftig oder PatientIn versus (vs.) Nicht-PatientIn und damit der Indikationsstellung. Krankheit wird z. T. als negativer Pol des positiv bewerteten Zustandes der Gesundheit, als eine Art Normabweichung angesehen. Die Betrachtungsweisen von Gesundheit und Krankheit wandeln sich in Abhängigkeit vom zeitgeschichtlichen Kontext, dem subjektiven Befinden, der sozial und gesellschaftlich vorherrschenden Definition dieser Begriffe sowie der Professionalisierung und Dominanz der ExpertInnen.
Selbstlernaufgabe: Setzen Sie folgenden Satz für sich fort: „Ich bin gesund, wenn…“. Welche Merkmale Ihres persönlichen Gesundheitsverständnisses können Sie für sich festhalten?
Abb. 2: Spannungsfeld zum Begriff Gesundheit
Es sind Spannungsfelder bei der Betrachtung des Gesundheitsbegriffes festzuhalten (Abb. 2). Die erste Spannungslinie besteht zwischen der objektiven Betrachtung von ExpertenInnen und dem subjektiven Befinden des Individuums. Fühlt sich eine Person gesund oder wird sie als gesund in der Außenperspektive eingeschätzt? Die zweite Spannungslinie entsteht zwischen der Betrachtung von Gesundheit als Status, d. h. Zustand, und einer prozessorientierten Betrachtung von Gesundheit, bei der davon ausgegangen wird, dass sich Gesundheit über die gesamte Lebensspanne täglich verändert.
Gesundheit im Spannungsfeld
Ein drittes Spannungsfeld entsteht zwischen der körperlichen sowie der psychischen und sozialen Perspektive. Diese sind durch die jeweiligen wissenschaftlichen Fachdisziplinen geprägt, z. B. durch Medizin, Psychologie, Soziologie, Rechtswissenschaft oder Gesundheitswissenschaften. Die vierte Spannungslinie ist mit der Frage verknüpft, ob die Entstehung von Gesundheit oder Krankheit in den Blick genommen wird.
Selbstlernaufgabe: Setzen Sie folgenden Satz für sich fort: „Ich bin krank, wenn…“. Welche Merkmale Ihres persönlichen Krankheitsverständnisses können Sie für sich festhalten?
1.1 Das bio-psycho-soziale Modell von Gesundheit und Krankheit
Ein bio-psycho-soziales Modell von Gesundheit und Krankheit etabliert sich im Fachdiskurs. In der Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung aus dem Jahr 1946 (World Health Organisation [WHO] Europa 1986) wurde Gesundheit definiert als “a state of complete physical, mental and social well-being and not merely the absence of disease or infirmity”.
Darin ist eine deutliche Abkehr von einem rein biomedizinisch orientierten Gesundheitsverständnis zu erkennen. Kritisch kann an dieser begrifflichen Festlegung die darin enthaltene Statusannahme (state) sowie der Anspruch auf Vollständigkeit, wie er im Wort complete enthalten ist, gesehen werden.
Mit dem bio-psycho-sozialen Modell von Gesundheit und Krankheit wurde eine Abkehr vom ausschließlich biomedizinischen Modell mit seinem reduktionistischen Erklärungsmodell eingeleitet (Engel 1976, Wesiack 1988, Franke 2012). Das bio-psycho-soziale Modell geht davon aus, dass Biologisches, Psychisches und Soziales in einer dynamischen Beziehung verbunden sind. Es kann mittlerweile als sehr verbreitet angesehen werden. Die Betrachtung von medizinischen Publikationen zeigt jedoch noch immer eine Dominanz der biologisch-medizinischen Wissenschaft (Hurrelmann / Richter 2016).
Der Mensch als System
Die Wurzeln des bio-psycho-sozialen Modells liegen in der systemtheoretischen Betrachtung des Menschen (Egger 2005). Diese Sichtweise wurde von Engel (1976) begründet, der das bio-psycho-soziale Krankheitsmodell entwickelt hat. Der Grundgedanke ist dabei, dass die Natur in hierarchisch aufeinander aufbauenden Systemen geordnet ist. Auf jeder Hierarchieebene existiert ein dynamisch organisiertes System mit spezifischen Qualitäten und Beziehungen. Nichts existiert isoliert. Alle Organisationsebenen reagieren vernetzt, und Veränderungen auf einer Systemebene haben immer Auswirkungen auf alle anderen Teilsysteme. Die Person als System mit ihrer Körperlichkeit, ihren organischen Strukturen sowie ihrem Erleben und Verhalten wird als Ganzheit verstanden, die sich aus Subsystemen zusammensetzt, die wiederum hierarchisch aufgebaut sind (Egger 2005). Sowohl mentale als auch körperliche Phänomene werden durch physiologische und physikalisch-chemische Ereignissen erzeugt, sind jedoch nicht auf diese reduzierbar.
Hierarchie im System
Phänomene, die auf der höheren Hierarchieebene existieren, sind auf einer niedrigeren Ebene noch nicht vorhanden. Auf neurobiologischem Niveau können komplexe Erlebens- und Verhaltensweisen nicht erklärt werden. Beispielsweise lässt sich Empathie nicht durch vielfältige nervale, biochemische Erregungsmuster verstehen. Es werden keine adäquaten Erklärungen für die Komplexität der seelischen Phänomene gegeben (Egger 2005). Das bedeutet, dass die Entstehung von Symptomen, die Ätiologie von Erkrankungen sowie die Behandlung von gesundheitlichen Störungen immer sowohl biologisch als auch psychologisch (Egger 2005) zu betrachten sind. Egger definiert Gesundheit wie folgt:
„Im bio-psycho-sozialen Modell bedeutet Gesundheit die ausreichende Kompetenz des Systems „Mensch“, beliebige Störungen auf beliebigen Systemebenen autoregulativ zu bewältigen. Nicht das Fehlen von pathogenen Keimen (Viren, Bakterien etc.) oder das Nichtvorhandensein von Störungen / Auffälligkeiten auf der psycho-sozialen Ebene bedeuten demnach Gesundheit, sondern die Fähigkeit, diese pathogenen Faktoren ausreichend wirksam zu kontrollieren“ (Egger 2005, 5).
In der Erweiterung des Modells von Engel schlägt Egger (2005) bei der Betrachtung von gesundheitlichen Fragestellungen in Diagnostik und Therapie die Untersuchung der biomedizinischen, psychologischen und ökosozialen Ebene vor. Auf der biologischen Ebene werden biomedizinische Daten erhoben und physikalische, medikamentöse oder chirurgische Interventionen eingesetzt.
Diagnostik und Therapie
Bei der psychologischen Betrachtung werden individuelles Erleben und Verhalten sowie der subjektive Lebensstil untersucht. Therapeutisch erfolgen psychologische bzw. ärztliche Beratung, psychophysische Regulationsverfahren oder Psychotherapie. Die ökosoziale Diagnostik nimmt familiäre, beruflich-gesellschaftliche und umweltbezogene Lebensbedingungen in den Blick. Als Behandlungsformen werden PatientInneninformation, die Vermittlung von Hilfe in der Familie, am Arbeitsplatz, bei den zuständigen