Qualitative Medienforschung. Группа авторов

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Referenztheorien zu nennen – hergestellt.

      In methodologisch-methodischer Hinsicht werden auf der Grundlage einer Kritik des kausalnomologischen Modells der traditionellen Medienwirkungsforschung (Charlton 1987) die rekonstruktiven Methoden der hermeneutischen Sozialforschung (vor allem: Strukturale Hermeneutik (→ Hagedorn, S. 580 ff.) und Konversationsanalyse (→ Ayaß, S. 460 ff.) für die empirische Rezeptionsforschung (→ Prommer, S. 249 f.) fruchtbar gemacht: Im Zentrum der Analysen stehen einerseits Fallrekonstruktionen (Charlton/Neumann[-Braun] 1986), andererseits Strukturexplikationen von Medienhandlungen (Charlton/Neumann [-Braun] 1990).

      Das Modell der Strukturanalytischen Rezeptionsforschung

      Unter dem Begriff der Rezeption wird ein komplexer Prozess der Auseinandersetzung mit medialen Angeboten jeglicher Art (Film, Fernsehen, Smartphone, Radio, PC, Buch, Zeitung, Journale u. Ä.) gefasst. Die Rezeption beginnt mit der Zuwendung zu einem Medium, in der Regel nach einem vorausgegangenen Wahlvorgang (man entscheidet sich z. B. für ein bestimmtes Fernsehprogramm aus dem vielfältigen Angebot). Die Beschäftigung mit dem Fernsehprogramm kann konzentriert und ohne Unterbrechungen erfolgen. Praktiziert werden aber auch Rezeptionspausen (man verlässt z. B. vorübergehend das Fernsehzimmer) bzw. -abbrüche (man wechselt das Programm oder beendet den Fernsehkonsum). Die Motive für den Medienkonsum sind vielfältig: Sie reichen vom puren Unterhalten-werden-Wollen bis zur intensiven Reflexion seines eigenen Lebens im Spiegel von Mediengeschichte und Medienakteur. Oft wird der Medienkonsum von sozialer Kommunikation begleitet (man schaut sich z. B. ein Programm im Kreis von Freunden oder Familienmitgliedern an, entsprechend komplex fällt dann das gegenseitige Kommentieren des Gesehenen aus). Im Anschluss an die Rezeption findet eine Aneignungsphase statt: Der Rezipient vermittelt die Medienerfahrung mit seiner eigenen Alltagswelt, er ordnet das Gesehene oder Gehörte in seinen Lebenszusammenhang ein. Auch dieses Aneignungsgeschehen wird in der Regel von sozialer Kommunikation begleitet: In vielen Alltagssituationen kommt man beiläufig auf Medienereignisse zu sprechen und tauscht sich über seine Medienerlebnisse mit anderen aus. Solche Folgekommunikationen können vielfältige Funktionen erfüllen: Medieninformationen können eine Meinungsführerschaft bekräftigen, oder Medienerlebnisse können eine interpretative Gemeinschaft (Fangruppe) intensiver »zusammenschweißen«. Damit schließt sich ein Kreislauf: Die Medienrezeption entsteht in der Alltagspraxis, sie wird von ihr begleitet und sie wirkt auf diese zurück (→ Mikos, S. 146 ff.).

      Der angesprochene handlungs- und subjekttheoretisch orientierte Blick auf die Praxis des Medienhandelns eröffnet einen mikroskopischen Blick auf Regeln, Formen und Funktionen der Auseinandersetzung von Individuen und Gruppen mit Massenmedien. Das Modell der Strukturanalytischen Rezeptionsforschung stellt folgendes Begriffsinventarium zur Verfügung (Charlton/Neumann [-Braun] 1992; Neumann-Braun 2000):

      Unterschieden werden strukturelle und prozessuale Aspekte: Die strukturellen Aspekte der Medienrezeption (kultureller und situativer Kontext) umfassen zum einen die äußeren Rahmenbedingungen, zu denen sowohl allgemeine gesellschaftlich-kulturelle Gegebenheiten in der Gesellschaft zu zählen sind, als auch konkrete Interaktionserfahrungen innerhalb der Nahumwelt, womit an die spezifische Gestaltung der Rezeptionssituation gedacht ist, in der es regelhaft zur Ausbildung von Gewohnheiten und Ritualen kommt. Zum anderen sind die inneren Rahmenbedingungen aufzuführen, die der Rezipient aufgrund seiner kognitiven Kompetenz, seines Wissensstandes sowie seiner Bedürfnisstruktur (systematisch ableitbar über sozial-, entwicklungs- und tiefenpsychologische sowie lebenslauf- und biographieorientierte Referenztheorien; vgl. Charlton/Neumann[-Braun] 1990, 1992) mitbringt: Der Gebrauch von Individual- und Massenmedien ist einerseits an Verstehensleistungen gebunden, andererseits erfolgt er auf der Basis des Interesses des Rezipienten an bestimmten Inhalten und Themen, die sich aus seiner Bedürfnislage und seiner Lebenssituation ergeben und als handlungsleitende Themen die Wahrnehmung, Interpretation und Verarbeitung äußerer und innerer Vorgänge steuern. Diese bedürfnisbasierten Themen bestimmen den Verlauf der Auseinandersetzung mit den Medienangeboten. Entsprechend seiner thematischen Voreingenommenheit und der von ihm bevorzugten Abwehr- und Bewältigungskompetenzen (Ich-Prozesse) verarbeitet der Rezipient die objektive, allen Rezipienten gleichermaßen dargebotene Sinnstruktur des Medienangebots (das Video auf einer Online-Plattform, den Film, die Fernsehsendung etc.) selektiv und individuell.

      Die Bedürfnisse, Motive und Themen, die Zuschauer und Hörer in der Medienrezeption verfolgen möchten, lassen sich von der Annahme herleiten, dass die Rezeption von Medien als ein wichtiges Moment der Lebensbewältigung aufzufassen ist, das vornehmlich den Prozessen von Identitätsaufbau und -bewahrung sowie der Selbstverortung dient. Das gesellschaftliche Sinnsystem stellt dem Rezipienten kognitive, normative und ästhetische Kategorien zur Entwicklung eines Selbst- und Weltverständnisses zur Verfügung. Die im Mediengebrauch verfolgten Ziele lassen sich systematisch zum einen auf besondere, persönliche Themen beziehen, zum anderen aber auch auf allgemeine Themen, die durch den gesellschaftlichen Zusammenhang vorgegeben sind. Aus psychologischen und soziologischen Theorien sowie Forschungsergebnissen lassen sich allgemeine Erwartungen ableiten, mit welchen zentralen Entwicklungs- und Lebensaufgaben sich eine Person in einem bestimmten sozialen Milieu und mit einer bestimmten Biographie (wichtig hier: Alter bzw. Entwicklungsstand, s.o.) auseinanderzusetzen hat. In dieser Perspektive lassen sich insbesondere auch die längerfristigen Themen und Lebensbewältigungsroutinen erkennen, die die einzelnen Rezeptionshandlungen beeinflussen. Diese Themen nehmen das Denken und Fühlen von Individuen intensiv »in Beschlag« und führen – wie erwähnt – zu thematischen Voreingenommenheiten. Rezipienten steuern die Auseinandersetzung mit Medien durch ihre Auswahl, selektive Zuwendung und ihre thematisch voreingenommene Auffassung vor, während und nach der eigentlichen Rezeption.

      Die Medienrezeption im engeren Sinne lässt sich in prozessualer Perspektive in drei Phasen unterteilen, nämlich in eine Vorphase (soziale Einbettung der Rezeption), eine zweigliedrige Hauptphase (thematisch voreingenommenes Sinnverstehen und Rezeptionssteuerung) und eine zweigliedrige Nachphase (Aneignung und Vermittlung zwischen Medienangebot, Biographie und sozialer Lage sowie Folgekommunikation).

      Ganz am Anfang der Rezeption – in der Vorphase – steht häufig ein Entscheidungspunkt, welche Medien man in welcher Situation wie und mit wem nutzen möchte. Der Gebrauch von Medien definiert Handlungssituationen in spezifischer Weise sozial – auch im Falle der Alleinnutzung: Die Nutzung eines MP3-Players in öffentlichen Verkehrsmitteln zum Beispiel schafft dem Hörer nicht nur ein persönliches sinnliches Musikvergnügen, sondern strukturiert gleichzeitig auch seine Beziehungen zur Mitwelt, gegenüber der er sich in diesem Fall sozial abgrenzt. Werden Medien gemeinsam genutzt, wenn beispielsweise Fotos auf dem Smartphone gezeigt werden, bedarf es expliziter sozialer Abstimmungsprozesse (vgl. Keppler 2013). Solche Abstimmungen können routinisiert sein, sie können aber auch aktueller Aushandlungen bedürfen. Virulent werden dann die Handlungsdimensionen der (1) Handlungskoordination (z. B. Herstellen eines gemeinsamen Aufmerksamkeitsfokus, Steuerung von Dialog und Auseinandersetzung, Erhalt bzw. Aufbau von Rollenverteilungen in Kleingruppen), (2) Macht und Selbstbehauptung (z. B. Ausüben von sozialem Druck, Beweisen von Kompetenz und Überlegenheit, Kontrollieren von Gruppenstimmungen, sich im Kontext der Mediennutzung dem Einfluss anderer entziehen) sowie (3) affektiven Beziehungsgestaltung (z. B. sich selbst mit Bezug auf Medienangebote mitteilen, sich mit Mediengeschichten versorgen/verwöhnen lassen [individuelle Playlisten erstellen, oder den eigenen Video-on-Demand-Account teilen], Herstellung von emotionaler Gemeinsamkeit über einen Medienbezug, Ablenken von sich selbst und seinen Bedürfnissen). Ganz unabhängig von einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit einem Medienangebot kommen demnach im Verlauf eines Rezeptionsvorgangs sehr vielfältige soziale Bedürfnisse und Motive zum Tragen. Es lässt sich folgern, dass es im Mediengebrauch immer auch darum geht, soziale Beziehungen in eine bestimmte Richtung zu beeinflussen.

      Wenn es dem Rezipienten mehr um die Inhalte als

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