Qualitative Medienforschung. Группа авторов

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Denn Handlung und Handlungsbefähigung beruhen nicht zuletzt auf Denken, Verstehen und Kommunizieren. Hypothesenbildung und deren Abgleich mit der medialen Darstellung im narrativen Film – aber auch bei alltäglichen Ereignissen – sind also Prozesse, die handlungsbefähigende Elemente beinhalten können. Es hängt jedoch von der konkreten Struktur des Medientextes ab, inwieweit er das Spiel mit der Hypothesenbildung als strukturierendes Element derart in den Vordergrund stellt, dass es bewusst erlebbar wird. Erst dann wird Agency zur erfahrbaren Form des Medienerlebens. Ein klassisches Beispiel hierfür ist der Suspense-Film, in dem mit der Informationskontrolle und Zuschauerwissen gespielt wird (Ohler/ Nieding 2001, S. 134). Wuss bezeichnet dies als passive Kontrolle (»passive control«: Wuss 2009, S. 165), eine Konstellation, in der die Zuschauer zwar einen dargestellten Konflikt nicht wirklich ändern oder lösen können, aber eine Form der Kontrolle erlangen, die auf Prognosen, Vorausschau und Antizipation beruht.

      Partizipatorische Strukturen im Fernsehen

      Medienhandeln beinhaltet also verschiedene Formen des Wirksamwerdens. Interpretative Aktivitäten gehören ebenso dazu wie kognitiv-informationsverarbeitende Aktivitäten. Im Alltagsgebrauch wird Handeln jedoch hauptsächlich mit physischen, verkörperlichten Aktivitäten gleichgesetzt. Interaktivität, mit der haptischen Bedienung von Steuerungselementen gleichgesetzt, gilt deswegen im allgemeinen Verständnis als aktive, als kognitiv-interpretierende oder kommunizierende Handlungen. So wird beispielsweise das lineare Fernsehen oftmals als nicht interaktives Medium ohne Feedbackstruktur dargestellt. Aus handlungstheoretischer Perspektive ist diese Argumentation jedoch nicht haltbar, denn die Rezipientinnen müssen im oben erläuterten Sinn auf vielfältige Weise aktiv werden, um sich eine Fernsehsendung zu erschließen. Doch weist die überkommene Aktiv-Passiv-Dichotomie auf einen durchaus relevanten Punkt hin: Haptische Aktivitäten ergänzen auch hier die vielfältigen kognitiven (und emotionalen) Aktivitäten. Bereits seit seinen Anfängen experimentierte das Fernsehen mit verschiedenen Formen der interaktiven Publikumseinbindung. In Westdeutschland wurde 1964 mit Der goldene Schuss das erste interaktive Fernsehprogramm vorgestellt, bei dem die Zuschauer anrufen konnten und per Zuruf eine auf einer Kamera befestigte Armbrust steuerten. Mit Einführung der TED-Technologie (1979) übernahmen zahlreiche TV-Shows das Prinzip der Zuschauerpartizipation in die Struktur ihrer Sendung. Eines der erfolgreichsten Showformate der letzten Jahre, Ich bin ein Star – Holt mich hier raus! (RTL, seit 2004), bindet die Zuschauerinnen und Zuschauer mittels permanenter Ansprache durch das Moderatorenteam als strukturellen Bestandteil des TV-Textes ein und ermöglicht ihnen zugleich, über zahlreiche mediale Kanäle wie Twitter oder Facebook auf verschiedene Weise zu partizipieren (vgl. Eichner 2014, S. 201 ff.). Auch narrative TV-Formate bemühen sich mitunter um mehr Zuschauerpartizipation, so beispielsweise der Tatort Plus (2012, 2013 und 2014), in dem das Publikum selbst in ein Begleitspiel eingebunden online ermitteln konnte, oder die transmediale ARTE-Produktion About Kate (2013), in der die Zuschauer die Möglichkeit hatten, über soziale Medien mit der fiktiven Figur Kontakt aufzunehmen.

      Das Fernsehen lässt sein Publikum also auf verschiedenen Ebenen eingreifen – beispielsweise durch Televoting, die Einbindung von sozialen Medien oder auch durch Mitspielen auf der Website. Konvergierende, computerbasierte Technologien und Infrastrukturen ermöglichen direkte Rückkopplungskanäle, welche die traditionelle Einteilung in lineare, nicht interaktive Medien wie Film und Fernsehen auf der einen Seite und nicht lineare, interaktive Medien wie Videospiele und Internet auf der anderen Seite auflösen. Schließlich stellt sich in Zeiten konvergierender Medien die grundsätzliche Frage nach einem neuen Verständnis von Medienkommunikation, das nicht mehr vom Medium oder vom Medientext aus denkt, sondern die sozial eingebetteten Medienaktivitäten der Nutzerinnen und Nutzer, die Doing Media, als Ausgangspunkt nimmt (vgl. ebd., S. 100).

      Handeln im Computerspiel

      Das Medium, in dem die haptischen Aktivitäten programmatisch in den Vordergrund treten, ist das Computerspiel. Die Agency oder Selbstwirksamkeit der Spielenden, die das Spiel auf verschiedenste Weise beeinflussen und dessen Verlauf graduell mitbestimmen können, ist seit dem Aufkommen der Game Studies eines ihrer zentralen Anliegen. In den deutschsprachigen medienpädagogischen und medienpsychologischen Game Studies wird Agency in der Regel als Selbstwirksamkeit erforscht (siehe z. B. Klimmt 2006; von Salisch/Kristen/Oppl 2007; Trepte/ Reinecke 2010). Insbesondere die Faszination von Kindern im Kontrollerleben wird hier als eines der zentralen Momente verhandelt (siehe z. B. Fritz 2003).

      Janet H. Murray (1997) prägte als eine der ersten Forscherinnen das Konzept der Agency als Form des Computerspielerlebens. Aufbauend auf Laurels Arbeit über Human-Computer Interaction (Laurel 1993) definiert Murray Agency zusammen mit Immersion und Transformation als elementare Charakteristika des Spielerlebens: Agency ist die »satisfying power to take meaningful action and see the results of our decisions and choices« (Murray 1997, S. 126). Da durch die spezifische Feedback-Loop-Struktur eines Computerspiels die (haptische) Eingabe der Spielerinnen und Spieler direkt in eine sichtbare Veränderung des Bildschirms übersetzt wird, können die eigenen Handlungsentscheidungen unmittelbar nachvollzogen werden. Computerspielumgebungen sind demnach ein ideales (aber nicht singuläres) Umfeld, um das Gefühl der Selbstwirksamkeit bzw. Agency entstehen zu lassen. Murrays Ansatz hat noch weiterführende Implikationen: Zunächst ist Agency als Form des Erlebens, als »aesthetic pleasure« konzeptualisiert (ebd., S. 128), welches durch bestimmte textuelle Strukturen bedingt ist. Darüber hinaus weist Agency drei verschiedene Ausprägungen auf: die Modifikation der Umgebung, die Navigation durch den Raum und die absichtliche Fehlinterpretation einer virtuellen Umgebung (ebd., S. 129 ff.), also eine Um-Interpretierung.

      Murrays und Laurels Pionierarbeit hat eine Vielzahl von Folgearbeiten zu Agency und Computerspielen angestoßen, die jedoch nur selten über eine oberflächliche Beschreibung des Phänomens hinausgehen. Die überwiegende Mehrheit der Ansätze erkennt zudem nicht das medienübergreifende Potenzial und enthält keine Verortung des jeweiligen Ansatzes in handlungstheoretischen und kommunikationswissenschaftlichen Theorien. Ansätze, die das Konzept in einiger Tiefe behandeln, finden sich z. B. bei Carr u. a. (2004), Jørgensen (2003), Mateas (2004), Pearce (2002), Tanenbaum/ Tanenbaum (2010) oder Wardrip-Fruin u.a. (2009). In Anlehnung an psychologische Konzepte der Agency (z. B. Bandura 2001) kristallisiert sich auch in den Game Studies die Notwendigkeit heraus, Agency als differenziertes Erleben zu betrachten, das sich auf individueller Ebene beispielsweise durch das Lösen von Problemen (Jørgensen 2003; Mateas 2004; Wardrip-Fruin u. a. 2009), auf kollektiver Ebene durch gemeinsames Spielen (Pearce 2002) und auf einer kreativen Ebene z. B. durch die Erstellung von Fan Art (Schott 2008) abspielt. Für die Textebene zeigt sich, dass die Affordance, der Aufforderungscharakter eines Textes, als wichtiges Element für die Entstehung von Agency einbezogen werden muss (Wardrip-Fruin u.a. 2009, S. 3). Um die Spielende im Spiel zu aktivieren, muss das Material, d. h. die mediale Gestaltung, ihnen verdeutlichen, was sie konkret im Spiel machen können.

      Den unterschiedlichen Ansätzen ist gemein, dass zwischen einer arbiträren Interaktivität (Tastenbedienung) und einer nachhaltigen Form der Einflussnahme, der Agency, unterschieden wird. Es wird also zwischen verkörperlichten Handlungen unterschieden, die für die Bedeutungsebene des Spiels relevant sind (Agency), und solchen, die lediglich das Spiel in seiner Materialität erhalten (haptische Interaktivität).

      Agency im Medienerleben

      Das Beispiel der Computerspiele verdeutlicht, dass unterschiedliche Medien und Medientexte unterschiedliche Formen der Agency ermöglichen. Die verschiedenen Formen des Handelns lassen sich dabei als Taktiken beschreiben, die situational bedingt sind. In der Medienkommunikation bilden, neben der allgemeinen umgebenden sozialen Situation, die jeweilige Textualität, Medialität und Affordance-Struktur den situativen Rahmen und stellen einen Aufforderungscharakter an die Rezeption dar. So muss ein Computerspiel gespielt werden, der Film im Kino hingegen fordert in der Regel zu keiner haptischen Interaktion auf. Wird eine Handlungstaktik im Akt der Rezeption dominant, wird Agency für die Nutzerinnen und Nutzer ästhetisch erlebbar.

      Diese

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