Qualitative Medienforschung. Группа авторов

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politisch ambitionierten Journalisten und Publizistikwissenschaftlers. Köln.

      Wiedemann, Thomas (2014): Pierre Bourdieu: Ein internationaler Klassiker der Sozialwissenschaften mit Nutzen für die Kommunikationswissenschaft. In: Medien & Kommunikationswissenschaft, Jg. 62, H. 1, S. 83–101.

      Wiedemann, Thomas/Meyen, Michael (Hrsg.) (2013): Pierre Bourdieu und die Kommunikationswissenschaft. Internationale Perspektiven. Köln.

      Medienhandeln und Medienerleben: Agency und »Doing Media«

      SUSANNE EICHNER

      Agency und Doing Media verbinden das konkrete Medienerleben mit dem allgemeinen Medienhandeln, verstanden als sinnhaftes soziales Handeln innerhalb der Lebenswelt. Dies beinhaltet die bedeutungsvolle und sinnstiftende Aneignung der rezipierten Inhalte in das eigene Leben, aber auch Wahrnehmungsprozesse und kognitive Informationsverarbeitung im konkreten Rezeptionsprozess, fortlaufende Interpretationsaktivitäten, Partizipations-, Interaktivitäts- oder Spielprozesse, vor- und nachgelagerte Selektionsprozesse, Umdeutungsprozesse oder den kreativen und gestalterischen Umgang mit Medienprodukten. Agency und Doing Media stellen damit ein medienübergreifendes (medien-)handlungstheoretisches Konzept dar, das seine theoretischen Bezugspunkte in der soziologischen Handlungstheorie hat und diese mit kognitionspsychologischen und rezeptionsästhetischen Modellen verbindet.

      Agency und Doing Media – Begriffe und Konzepte

      Der Begriff »Agency« bezieht sich auf die Handlungsbefähigung, welche Rezipientinnen und Rezipienten in sämtlichen Phasen der Medienkommunikation mit Selektions-, Rezeptionsund Aneignungsprozessen ausüben. Agency ist ein präzisiertes Verständnis der allgemeineren Rezeptionsaktivitäten (»audience activities«) und im weiteren Feld der Medienhandlungstheorien (→ Krotz, S. 94 ff.) verortet. Innerhalb der qualitativ konnotierten handlungstheoretischen Ansätze der Kommunikations- und Medienwissenschaft hat sich die Vorstellung von Rezeption als ein aktiver und sinnstiftender Prozess durchgesetzt. Insbesondere die Einbeziehung des Symbolischen Interaktionismus (Mead 1967; Blumer 1969) und der Semiotik (Pierce 1977; de Saussure 1967/2001) in die Kommunikations- und Medienwissenschaften – nicht zuletzt durch die Cultural Studies – können als zentral für den Paradigmenwechsel vom Transmissionsmodell hin zum Bedeutungsmodell der Medienkommunikation und damit hin zur aktiven Rezipientin gesehen werden (eine frühe Unterscheidung der beiden Richtungen liefert Carey 1989: »transmission model« vs. »ritual model«). Grob lässt sich dieser Entwicklungsprozess über die frühe Medienwirkungsforschung (»Effect Studies« und »Limited Effect Studies«), den Nutzenansatz (»Uses and Gratifications«), die Cultural Studies und schließlich die Medienrezeptionsforschung nachvollziehen (vgl. Butsch 2014; Jensen/Rosengren 1990). Ausgehend von einem Entwurf der machtvollen Massenmedien einerseits, und einem beeinflussbaren Publikum andererseits, bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts setzte sich zunehmend die Einsicht durch, dass Rezipienten dem Einfluss der Medien durchaus etwas entgegenzusetzen haben. So stellte Elihu Katz bereits 1959 die Frage danach, was die Menschen eigentlich mit den Medien machen – und nicht umgekehrt: »What do people do with media?« (Katz 1959, S. 2). In jüngster Zeit werden Fragen der Publikums- bzw. User-Aktivitäten vor dem Hintergrund konvergierender Medienumgebungen und der zunehmend vernetzten Gesellschaft unter neuen Vorzeichen diskutiert. Erlaubt die dialogische Struktur vernetzter Medien mehr Handlungsmacht als lineares Fernsehen, oder sind die Nutzerinnen und Nutzer mehr denn je der Macht der Medien und großen Medienmogulen wie Google und Facebook ausgeliefert?

      Neben dem generellen Verständnis des Medien-Rezipienten-Verhältnisses hat Agency noch eine weitere Komponente – die des individuellen Erlebens: Der Psychologe Albert Bandura weist darauf hin, dass ein wesentlicher Aspekt von Agency (ins Deutsche als Selbstwirksamkeit übersetzt) das Kontrollerleben ist, welches wiederum die Essenz des Menschseins selbst sei (Bandura 2001, S. 1). In diesem Zusammenhang kommt dem Sich-seiner-selbst-bewusst-Sein eine wichtige Bedeutung zu: Um überhaupt in der Lage zu sein, Agency zu erlangen, müssen Menschen sich zunächst als handlungsfähige Subjekte wahrnehmen. Dieses Bewusstsein wird im Laufe des Sozialisationsprozesses erworben. Es beginnt sich zu manifestieren, wenn Kleinkinder zum ersten Mal bemerken, dass sie Objekte manipulieren können, und ist, so lässt sich vermuten, niemals ganz abgeschlossen. Agency ist also einerseits erworben und in ihrer Ausprägung von äußeren determinierenden Faktoren abhängig. Sie ist damit niemals absolut, sondern stets graduell und lässt sich, einmal verfestigt, nur schwer greifen, da Agency-Prozesse sich auf metakognitiver Ebene abspielen. Agency ist also lediglich als generelles Gefühl vorhanden, das sich nur schwer anhand einzelner Handlungen verdinglichen lässt. Andererseits lässt sich anhand empirischer Studien nachweisen, dass Teilnehmerinnen einer experimentellen Studie in der Regel sehr wohl wissen, wann sie in Kontrolle der Ereignisse sind und wann nicht – ungeachtet dessen, ob im Experiment die Resultate manipuliert wurden (Metcalfe/Greene 2007).

      Diese Untersuchungen zeigen, dass Agency in der Kommunikations- und Medienwissenschaft auf zwei Ebenen Relevanz hat: einerseits, um ein grundlegendes Verständnis von den beteiligten Prozessen von Handlung und von Medienrezeptionsaktivitäten zu erlangen. In diesem Sinn können Rezipienten – egal welchen Mediums – nicht nicht aktiv und handlungsbefähigt sein. Andererseits ermöglicht es, Handlungsbefähigung – Agency – nicht nur als Voraussetzung von Medienkommunikation zu verstehen, sondern auch als eine seiner Erlebensqualitäten. Agency lässt sich unter bestimmten Voraussetzungen ästhetisch erfahren – immer dann, wenn die spezifischen Taktiken der Agency für die Rezipientinnen bewusst oder signifikant werden. Interaktivität, Medienkompetenz, Flow-Erleben oder Partizipation können so als spezifische Varianten von Agency betrachtet werden.

      Der Begriff »Doing Media« entlehnt seinen Ursprung aus performativen Ansätzen der Sprach- und Kulturwissenschaft. Der von Candace West und Don Zimmerman (1987) in den 1980er-Jahren geprägte Begriff wurde durch Judith Butler (1990) aufgegriffen und weiter ausdifferenziert. Butler macht insbesondere auf den verkörperlichten Zusammenhang von Bedeutungskonstruktion aufmerksam: Gender ist nicht, es wird sprachlich hergestellt und inkorporiert. Der Begriff »Doing Media« will damit die Aufmerksamkeit für die Vielschichtigkeit von Medienhandlungsprozessen schärfen – einerseits in Bezug auf die Zeitlichkeit (vor, während und nach der konkreten Rezeptionsphase) und die Multiplizität (viele Plattformen, Inhalte, Zugänge oder Formen) von Mediennutzung, andererseits in Bezug auf die Vielschichtigkeit des Handelns selbst, das mindestens kommunikativ und performativ erfolgen kann.

      Agency und ihr soziologischer Ursprung

      Der Ansatz von Agency als Handlungsbefähigung von Individuen in größeren sozialen Systemen findet bei Alfred Schütz, Max Weber oder Talcott Parsons, bei Pierre Bourdieu, Anthony Giddens oder Michel Foucault Beachtung. Er stellt ein zentrales Moment in der soziologischen Handlungstheorie dar. In weitgehender Übereinstimmung lässt sich Agency dabei als die grundlegende Befähigung beschreiben, Handlungen auszuüben, während der Prozess der Handlung selbst (»action«) sich davon unterscheidet. Agency ist hier deswegen so zentral, da sie als das Moment betrachtet wird, durch das Individuen gesellschaftliche Transformationsprozesse anstoßen können. Doch trotz ihrer zentralen Stellung gilt Agency als eine »Blackbox«, da die konkreten Prozesse zwar theoretisch beschrieben, aber empirisch wenig untersucht worden sind.

      Das dargestellte Spannungsfeld zwischen Aktivitäten und Handlungsmacht der Nutzer auf der einen und der strukturellen Macht der Medien auf der anderen Seite schließt an die Agency-Structure-Debatte der Soziologie an: Die Systemtheorien sind an der übergeordneten Gesellschaftsstruktur interessiert und wenden entsprechend eine Makroperspektive an. Doch lassen sich auch handlungstheoretische Konzepte ausmachen, die sich eher als Meso- bzw. Mikroperspektive beschreiben lassen und in denen das menschliche, soziale Handeln und damit auch die Kommunikationsprozesse im Fokus der Betrachtungen

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