Wissenssoziologie. Hubert Knoblauch

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Wissenssoziologie - Hubert Knoblauch

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dritte, für die Wissenssoziologie konstitutive Thema beschreibt: die »soziale Determination« oder »Prägung« des Wissens. Auch hier lassen sich zwei grundlegend verschiedene Positionen beobachten. Der ersten Position geht es um das Verhältnis von Wissen als eigenständiger Kategorie zur Gesellschaft als ebenso abgeschlossene Einheit. Zwar gibt es außerordentlich scharfe Kontroversen darüber, wie dieses Verhältnis gefasst werden soll, doch besteht über alle Kontroversen hinweg die Auffassung, dass diese zwei Größen zunächst voneinander getrennt werden müssten, bevor man sie aufeinander beziehen könnte. Deswegen möchte ich dieses Modell als korrelationistisch bezeichnen.8

      Die zweite Position wird vor allem mit der Erneuerung der Wissenssoziologie durch Berger und Luckmann in Verbindung gebracht.9 Wissen wird hier nicht von der Sozialstruktur getrennt. Vielmehr gilt es als konstitutiv für die soziale Ordnung und die gesamte Wirklichkeitskonstruktion. Dies gelingt dadurch, dass Wissen auf Handeln bezogen oder sogar in einzelnen Begriffen (»Praxis«, »Habitus«, »Diskurs«) miteinander verschmolzen wird. Ich werde eine solche wissenssoziologische Betrachtung als integrativ bezeichnen.

      Die zentrale Fragestellung der Wissenssoziologie lässt sich also grob durch drei Kategorienpaare bestimmen, die auch ihre Geschichte leiten: Wie und in welchem Ausmaß ist Wissen sozial? (Sozialität vs. Subjektivität)? Ist diese Sozialität ein Bestimmungsverhältnis oder ist Wissen grundsätzlich sozial (Integration vs. Korrelation)? Und in welchem Maße haben wir es dabei mit »Wissen« zu tun und nicht vielmehr mit Glauben (Episteme vs. Doxa)?

      [18]Freilich muss man einräumen, dass die verschiedenen Ansätze der Wissenssoziologie noch weit mehr Fragen ansprechen. Eine der immer wiederkehrenden Fragen richtet sich auf das »verborgene«, »selbstverständliche« oder »verdeckte« Wissen. Es handelt sich um ein Wissen, das »in der Kultur« angelegt sein kann, in der Sprache verankert ist, in der Tradition oder den Institutionen verkörpert wird, wie etwa die »Paradigmen« der Wissenschaft oder die »sozialen Topoi« des Denkens; oder es kann sich um Wissen handeln, das im Individuum oder Subjekt lungert, wie etwa die Lebenswelt oder das »implizite« Wissen. Eine ebenso bedeutende Frage betrifft die Unterscheidung des Parmenides in »wahres« und »falsches« Wissen, die Widerspruch ausschließt und einen ganz eigenen Wissensbegriff einführte. Diese Unterscheidung deckt sich zwar für manche mit der zwischen Episteme und Doxa, sie kann aber auch Überschneidungen mit der Sozialität bzw. Individualität des Wissens aufweisen: Nur individuelles Wissen kann als perspektivisch, aber nicht intersubjektiv erscheinen. Dagegen kann auch Soziales (etwa Macht) als Geltungsgrund für die Wahrheit gelten. Hierunter kann man das gebilligte und nichtgebilligte Wissen fassen, aber auch das subjektiv erworbene Erfahrungswissen und das gesellschaftlich über andere vermittelte Wissen, das zuweilen als Ideologie erscheinen kann. Überdies überschneidet sich die Scheidung von Wahrem und Falschem mit der zwischen nützlichem, funktionalem und unnützem, dysfunktionalem Wissen.

      Man könnte diese Liste verlängern. Es zeigt sich jedoch, dass all die zusätzlichen Dimensionen gleichsam in einem Raum verortet werden können, der durch die drei erwähnten Achsen gebildet wird. Sozialität-Subjektivität, Doxa-Episteme und Integration-Korrelation stellen die Extreme der drei Achsen dar, an denen entlang sich die Wissenssoziologie entwickelt und durch die sie bestimmt werden kann: Wollte man sich dies geometrisch vorstellen, so könnte die Sozialität (oder Individualität) des Wissens als Abszisse dienen, die Differenz von Episteme und Doxa spannte die Ordinate auf, und mit der Achse Integration bzw. Korrelation öffnete sich die wissenssoziologische Fragestellung zu einem dreidimensionalen Raum, den das folgende Buch beschreiben will.

      Geben wir einen kurzen Überblick über den argumentativen Aufbau des Buches: Die Darstellung beginnt mit einem historischen Abriss, der – wie auch die Soziologie – den Schwerpunkt auf die Moderne legt.10 Ein deutliches Kennzeichen der entstehenden Moderne in der frühbürgerlichen Phase ist die Ausdifferenzierung von Religion und Wissenschaft. Ein pathetischer Begriff der Erkenntnis entsteht neben einem (an die Religion gebundenen) aufkommenden Ideologiebegriff, der hinter unwissenschaftlichem Wissen immer die Frage stellt: cui bono? In der folgenden [19]Phase wird dann die Natur von der Geschichte so abgelöst, dass sie als abgegrenzte Entität zum Gegenstand der Naturwissenschaft und Technik werden konnte. Der Gegenwart der selbst fabrizierten Wirklichkeit der Geschichte widmet sich die allmählich aufkommende Soziologie (selbst ein Ergebnis der Ausdifferenzierung), die die Zusammenhänge zwischen dem Menschengemachten und dem menschlichen Verstande erkennt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts kommt es zu einem offenen Umbruch und einer ideologischen Zersplitterung bzw. (wie man es später nennen wird) einer kulturellen Pluralisierung der Gesellschaft, die den Anlass für einen ersten Höhepunkt der Wissenssoziologie im engeren Sinne gibt. Auf diese dritte Phase folgt schließlich die konstruktivistische Wissenssoziologie, die gesellschaftliche Institutionen als verdinglichtes Handeln, als vergegenständlichtes Wissen behandelt. Die Theorie der ›gesellschaftlichen Konstruktion‹ bildet nicht nur einen zweiten Höhepunkt, sie bildet einen regelrechten Wendepunkt der Wissenssoziologie. Indem sie die integrative Perspektive begründet, erlaubt sie einen Blick auf die zentrale Rolle des Wissens für die Gesellschaft, das nun keineswegs mehr in Verbindung mit der Ideologie gedacht werden muss.

      Wir werden uns in diesem II. Teil des Buches mit einer Reihe von Ansätzen beschäftigen, die sich teilweise parallel, teilweise nacheinander entwickelt haben. Bei aller Vielfalt der Ansätze lassen sich doch einige große thematische Richtungen entdecken, die diese wissenssoziologische Forschung genommen hat. Insbesondere in der deutschsprachigen und teilweise auch in der angelsächsischen Wissenssoziologie können wir eine starke Tendenz der Verlagerung von Wissen zur Kommunikation beobachten. Das mag zum Teil mit dem bekannten »linguistic turn« zusammenhängen, also jener Wende, die durch die Erkenntnis der zentralen Rolle sprachlicher Formen, Prozesse und Handlungen für das menschliche Denken bewirkt wurde. (An dieser Erkenntnis war, wie wir gesehen haben, auch die phänomenologische Tradition spätestens seit Schütz mit beteiligt, selbst wenn Wittgenstein oder Austin häufig als ihre wesentlichen Initiatoren genannt werden.) Die Bedeutung der Sprache war auch für die französische Wissenssoziologie prägend, wenngleich in einer davon abweichenden Linie. Hier war der von de Saussure begründete und von Lévi-Strauss auf die Sozialwissenschaften angewandte Strukturalismus ausschlaggebend. Die Ansätze von Foucault und Bourdieu sind ohne diesen Hintergrund nicht zu verstehen. Sowohl Foucault wie auch Bourdieu sind nicht nur vom Funktionalismus geprägt. Sie haben sich so stark gegen den Strukturalismus gewandt, dass sie als »Poststrukturalisten« bezeichnet wurden. Dies gilt ebenso für einen angelsächsischen Ansatz, der unter dem Titel »Cultural Studies« bekannt wurde.

      Beschäftigt sich das II. Kapitel mit theoretischen Ansätzen, so widmet sich das III. Kapitel einer Reihe von substantiellen Themen, die von der gegenwärtigen Wissenssoziologie behandelt werden. Dazu gehört zum einen die Wissenschaft (III A), deren Geltungsansprüche nun selbst wissenssoziologisch untersucht werden. Auch die Debatte um die Informations- und Wissensgesellschaft (III B) muss hier erörtert werden. Zu den bedeutsamen Themen der Wissenssoziologie zählt auch die gesellschaftliche [20]Verteilung des Wissens (III C): In welcher Beziehung steht die gesellschaftliche Zugänglichkeit des Wissens mit der Struktur der sozialen Ungleichheit und der Ordnung der Institutionen? Wir kommen in diesem Zusammenhang auch auf die Träger von Sonderwissen zu sprechen, wie etwa Intellektuelle, Experten und Professionelle, sowie auf die soziale Verteilung des Wissens.

      Wie dann gezeigt wird, beschränkt sich die wissenssoziologische Betrachtungsweise keineswegs auf die professionell betriebene Soziologie. Vielmehr zeigt schon die Debatte um die Wissensgesellschaft oder die Wissenschaftsforschung, wie sehr die wissenssoziologische Frage nach dem Zusammenhang von Wissen und Gesellschaft zu einem Thema auch für andere Disziplinen geworden ist und zuweilen sogar in die Öffentlichkeit hineinspielt. Diese wachsende Bedeutung einer wissenssoziologischen Forschung außerhalb der Wissenssoziologie skizziere ich unter dem Titel der Wissensforschung (III D). Erwähnenswert ist hier die Debatte um das kollektive Gedächtnis, die in der Soziologie einsetzt, dann aber vor allem in der Geschichtswissenschaft und den »Kulturwissenschaften« aufgenommen wird. Eine große Rolle spielt auch die anthropologische und sozialpsychologische Kognitionsforschung, deren Fragestellungen sich mit denen der Wissenssoziologie

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