Wissenssoziologie. Hubert Knoblauch

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Wissenssoziologie - Hubert Knoblauch

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sein.

      Andere Verzerrungen sind auf das Unvermögen der Sprache zurückzuführen, Gedanken richtig zu kommunizieren. Dieses Problem findet seinen Ausdruck in den »Idolen des Marktes« (idola fori): Sprache und Denken sind sozial determiniert. Sie können deswegen unsere individuellen Erfahrungen nicht ausdrücken. Außerdem werden sie häufig auch falsch gewählt. Manchmal werden Worte für etwas erfunden, was es gar nicht gibt, und die Begriffe für tatsächliche, existierende Objekte sind ungenau oder schlecht definiert. Verwirrung und Konfusion sind die Folge.

      Schließlich erwähnt Bacon noch die Idole des Theaters (idola theatri). Darunter versteht er den Einfluss herkömmlicher Theorien. Besonders der die katholische Scholastik prägende Aristotelismus ist ihm ein verhasstes Beispiel für ein an vorgegebenen Dogmen orientiertes Denken. Irrtümer entstehen also aus traditionellen Meinungen und philosophischen Systemen. Gerade die Philosophen hätten versagt, das Wissen voranzubringen. Stattdessen trügen sie dazu bei, fiktive und »theatrale« Welten zu bauen. Einer ihrer größten Fehler bestehe nicht nur in der Übernahme von Gemeinplätzen, sondern auch in ihrer Methode: Sie übernähmen theoretische Vorannahmen, die alleine deduktiv überprüft würden. Empirische Daten, die den Vorannahmen nicht folgen, kämen so gar nicht in Betracht. Auch der volkstümliche Ausdruck dieses Denkens, der Aberglaube, sei eine Quelle von Irrtümern.

      Aufgrund dieser Idole erscheint die soziale Ordnung für Bacon als etwas, das hoffnungslos der Autorität, der Tradition, der Rhetorik und irrationalen Meinungen unterworfen ist. Die Erkenntnis dieser Idole dient deswegen dem Zweck, wissenschaftliche, wahre Erkenntnis zu ermöglichen. Denn »die Idole und falschen Begriffe, welche vom menschlichen Verstand schon Besitz ergriffen haben und fest in ihm haften, halten den Geist nicht nur so besetzt, dass der Wahrheit der Zutritt nur schwer offen steht, sondern auch so, dass sie, wenn dieser Zutritt gewährt und bewilligt worden ist, bei der Erneuerung der Wissenschaften wiederkehren und lästig sind, solange sich die Menschen nicht gegen sie vorsehen und nach Möglichkeit verwahren«.7

      Mit dieser Hoffnung einer Bekämpfung der Idole bildet er die Vorhut der aufklärerischen Philosophie, die sich zunächst vor allem im katholischen Frankreich ausbreitete und die Lehren von Bacon und seinen Nachfolgern übernahm. Sie ging davon aus, dass die gesellschaftliche Ordnung auf der vernünftigen Erkenntnis der Naturgesetze aufgebaut und gestaltet werden könnte. Das Fehlen der rationalen [26]Ordnung von Staat und Gesellschaft geht auch in ihren Augen auf Täuschungen zurück, die sie behinderten. Dabei wird anstelle von Bacons Begriff der täuschenden Idole in Frankreich der Begriff des »Vorurteils« (»préjugé«) bevorzugt. Der Kampf gegen »Vorurteile« bildet eines der zentralen Ziele der meisten aufklärerischen Kampagnen. Der Begriff des Vorurteils wird vor allem in Frankreich zum Fundament für die Erziehung der Menschen, für die Ordnung des Staates und die Kritik an der Religion, dem Christentum und der Kirche. Es sind vor allem drei »Vorurteile« bzw. Gründe für Vorurteile, die von den Aufklärungsphilosophen bekämpft werden: Idole, wie sie von Bacon schon genannt wurden, Interessen und der Betrug der Priester.

      Beginnen wir mit dem Letztgenannten: Hatte sich Bacon noch vor allem gegen den Aberglauben gewandt, so richtete sich die Kritik der aufklärerischen »philosophes« gegen die im katholischen Frankreich noch erdrückende Vorherrschaft der katholischen Religion, die den Absolutismus rundherum stützte. Schon Machiavelli hatte ja Überlegungen darüber angestellt, welche Funktionen die religiösen Ideen der Bürger für die Machtausübung der Herrscher spielten. Auf derselben Linie hatte sich auch der berühmte britische Philosoph Hobbes bewegt. Seine an Bacon anschließende philosophische Forderung, Wissen komme nur auf Grund sinnlicher Erfahrung zustande, hatte sich direkt gegen die Vorherrschaft einer übersinnlich-jenseitigen Welt gerichtet. Die eigentlichen Quellen des Glaubens an höhere Wesen und Mächte seien Sorge und Furcht sowie die Unkenntnis der wirklichen Ursachen der Furcht. Auch für ihn bilden List und Betrug die Mittel, mit denen die Herrschenden das Volk in Unkenntnis halte. Die religiösen Vorstellungen stünden deswegen im Dienst des Erhalts der Macht. In Frankreich war VOLTAIRE eine der lautesten Stimmen, die den »mittelalterlichen Aberglauben« der Religion zur wichtigsten Ideologie erklärten, die es zu enthüllen gebe.8 Die Religion sei eine Niederträchtigkeit (»l’ infâme«, wie er es zu nennen pflegte), eine Irrlehre der Priesterschaft. (Und er bezog sich hier auch auf das wörtliche Verständnis der Bibel: Konnte es denn sein, dass die Sonne erst am vierten Tag erschaffen wurde.) Deswegen forderte er: »écrasez l’ infâme«, löscht die Religion aus! Eine solche Auslöschung erst würde es ermöglichen, dass die Menschenrechte erworben werden können, die er lange vor der französischen Revolution verkündete: Die Freiheit der Person, des Eigentums, des Gedankens, der Presse, die Gleichheit vor dem Gesetz, die Trennung von Kirche und Staat. Voltaire »ist der erste, der Ideologiekritik im großen Stil betreibt und bewusst auf die Entzauberung der geschichtlichgesellschaftlichen Welt hinarbeitet«.9 Allerdings zweifelt er, ob das Volk dieses Ziel selbst erreichen könne: Das Volk werde immer dumm und barbarisch bleiben. Allein eine Zentralgewalt könne eine gewisse Rationalität in das Gemeinwesen bringen.

      Auch die so genannten Enzyklopädisten, die in Frankreich den Schatz des zeitgenössischen Wissens sammeln wollten, klagten die Religion an, den geistigen Fortschritt [27]und damit auch eine gute gesellschaftliche Ordnung zu behindern. So bemängelt Diderot, dass die Menschheit in zwei Gruppen zerfalle: eine kleine Elite mit Zugang zur Wahrheit auf der einen Seite und der Masse der Menschen auf der anderen Seite, die in der Dunkelheit des Unwissens lebten. Die Priester, so glaubte er, kannten zwar die Wahrheit, hielten sie jedoch zurück, um ihre Herrschaft über die Menschen zu erhalten. Die Täuschung also würde bewusst betrieben werden.

      Bei dieser »Lehre vom Priester- und Herrentrug« handelte es sich keineswegs nur um eine Theorie kleiner intellektueller Kreise.10 Im Frankreich des 18. Jahrhunderts hatte sich die aufklärerische Religionskritik schon so weit durchgesetzt, dass sie Teil einer breiten bürgerlichen Weltanschauung geworden war, die keiner transzendenten Deutungen mehr bedurfte, um die Fragen nach dem Schicksal des Menschen und der Welt zu beantworten. Schon in der »religiösen Krise des 18. Jahrhunderts« ist der Glaube nicht mehr ein integrierter Bestandteil des Lebens einer wachsenden Zahl von Menschen, die für die Priester und ihre Predigten zu einem dauerhaften Problem werden. So schreibt ein Zeitgenosse: »Man sitzt in den Werkstätten über die Religion zu Gericht. Die Philosophie ist bis in die niedrigsten Volksschichten hinein verbreitet, und überall spielen sich die Menschen als Denker auf.«11 Selbst der Versuch der Kirche, die Gefahr der Ungläubigkeit durch die Schreckensszenarien der Hölle zu bekämpfen, stieß nicht mehr auf Widerhall. Wenigstens die gebildeten Laien ließen sich davon nicht mehr beeindrucken. Dazu war die Theorie des Priesterbetrugs schon zu weit verbreitet und akzeptiert. In ihrer kompakten Form findet man sie etwa bei Holbach ausformuliert: »Man kann nicht leugnen, dass [das Dogma vom Fortleben nach dem Tode] für diejenigen von großem Nutzen war, die dem Volk Religionen gaben und sich zu Priestern machten; es wurde die Grundlage ihrer Macht, die Quelle ihrer Reichtümer und die beständige Ursache von Blindheit und Schrecken, in denen sie die menschliche Gattung festhalten wollten.«12

      Die Priesterbetrugstheorie wurde jedoch auch ausgeweitet. Hatte schon Machiavelli bemerkt, dass Macht immer einer ideologischen Stütze bedürfe, so formulierten nun die Enzyklopädisten eine Interessentheorie des Wissens: Den Priestern wurde vorgeworfen, ihr Wissen und ihre Macht zu missbrauchen, um ihre wirtschaftlichen Interessen wahrzunehmen. Aufgrund der wirtschaftlichen Interessenlage also würden Ideen benutzt, um die Wirklichkeit zu fälschen. (Nur die Philosophen sähen sie richtig.) Auch Holbach beklagt, die öffentliche Meinung verleite zu falschen Anschauungen von Ruhm und Ehre. Hinter diesen falschen Anschauungen stünde die gesamte Obrigkeit, die daran interessiert sei, dass einmal verbreitete Meinungen unbezweifelt bestehen blieben. Die Menschen würden von den Regierungen [28]blind gemacht. Ein wesentliches Mittel dazu sei die Religion. »Aus der Unkenntnis der natürlichen Ursachen entstanden die Götter«, ja die Grundlage der Religion bilde immer die Unwissenheit, deren Richtschnur die Einbildungskraft sei.13 So sehr sich diese Theorie auch auf die Religion konzentrierte, enthielt sie doch einen allgemeinen wissenssoziologischen Kern, den Holbach trefflich so formuliert: »Die Autorität

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