Wissenssoziologie. Hubert Knoblauch

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Wissenssoziologie - Hubert Knoblauch

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Formen des Wissens präferieren oder prägen. Und abschließend werde ich auch kurz auf die Diskussionen des Wissensmanagements zu sprechen kommen, die klassische Fragen der Wissenssoziologie bis tief in die organisatorische und wirtschaftliche Praxis hineintragen.

      Die »tour d’horizon« der Wissenssoziologie mündet in einen Schluss, der die Entwicklungen der Wissenssoziologie in groben Umrissen skizziert, die sich seit der Erstveröffentlichung des Buches im Jahre 2005 abzeichnen. Zum Abschluss möchte ich einen Versuch unternehmen, den zentralen Begriff des Wissens zusammenfassend zu bestimmen.

      1 Vgl. Max Adler, Marxismus und Kantischer Kritizismus, in: Archiv für die Geschichte des Sozialismus, 1925

      2 Auch in der Philosophie wird das Problem der Sozialität des Wissens aufgenommen, etwa unter dem Titel der »Social Epistemology«. Allerdings ist dort die Rezeption der Wissenssoziologie noch nicht sehr weit fortgeschritten; vgl. dazu Frederick F. Schmitt (Hg.), Socializing Epistemology. The Social Dimensions of Knowledge, Boston u. London 1994

      3 Werner Stark, The Sociology of Knowledge. An Essay in Aid of a Deeper Understanding of the History of Ideas, London 1958, S. 19f

      4 Randall Collins, The Sociology of Philosophies. A Global Theory of Intellectual Change, Cambridge 1998

      5 Paul Ludwig Landsberg, Wesen und Bedeutung der platonischen Akademie. Eine erkenntnissoziologische Untersuchung, Bonn 1923

      6 Wolfgang Wieland, Platon und die Formen des Wissens, Göttingen 1982

      7 Vgl. dazu James T. Borkeh und Richard F. Curtis, A Sociology of Belief, New York 1975

      8 Die Schwierigkeiten, die eine solche »korrelationistische« Wissenssoziologie aufwirft, hat Geertz auf eine etwas polemische Weise auf den Punkt gebracht: »The sociology of knowledge […] is not a matter of matching varieties of consciousness to types of social organization and then running causal arrows from somewhere in the recesses of the second in the general direction of the first – rationalists wearing square hats sitting in square rooms thinking square thoughts, they should try sombreros[…]« Clifford Geertz, The way we think now: Ethnography of modern thought, in: Local Knowledge, New York 1983, S. 153

      9 Diese Meinung wird auch vertreten von McCarthy, op. cit., S. 12, die eine der wenigen jüngeren Übersichten zur Wissenssoziologie verfasst hat.

      10 Sehr plausibel erschien mir die Skizze der wissenssoziologischen Entwicklung von Michael Meuser und Reinhold Sackmann, Zur Einführung: Deutungsmusteransatz und empirische Soziologie, in: dies. (Hg.), Analyse sozialer Deutungsmuster. Beiträge zur empirischen Wissenssoziologie, Pfaffenweiler 1992, S. 9-37.

      [21]I

      Die Ausbildung

       der Wissenssoziologie

[22][23]AVorläufer
1Aufklärung, »philosophes« und »Ideologen«

      Die wissenssoziologische Frage nach dem Zusammenhang zwischen Denken und Denkenden, zwischen Wissen und Wissenden, zwischen Wahrheit und denen, für die die Wahrheit gilt, ist zweifellos keine Neuerfindung der Moderne. In der Geschichte des menschlichen Denkens finden wir sie immer wieder. Insbesondere die Philosophie entfaltet in verschiedenen Fassungen die Grundgedanken dessen, was später als Wissenssoziologie institutionalisiert werden wird. Schon vor dem berühmten Höhlengleichnis des Platon, das die Perspektivität menschlichen Denkens insgesamt auf ein Bild bringt – Platon vergleicht die Menschen mit Wesen, die in Höhlen wohnen und statt der eigentlichen Dinge lediglich die Schatten der Phänomene sehen, die das äußeren Licht an die Höhlenwand wirft, – werden Vorstellungen formuliert, die später bei der Vorbereitung der Wissenssoziologie aufgenommen werden. So deutet sich bereits in der Religionskritik des im 5. Jahrhundert vor Christus schreibenden Eleaten Xenophanes eine Vorstellung an, die Gottesbilder als Ausdruck ethnischer Merkmale versteht: »Die Äthioper behaupten, ihre Götter seien stumpfnasig und schwarz, die Thraker, blauäugig und rothaarig.«1 Einen bekannten Ausdruck findet diese Vorstellung auch in Pascals berühmtem Diktum, dass die Wahrheit auf der einen Seite der Pyrenäen der Irrtum auf der anderen sei. Der Renaissance-Philosoph Michel de Montaigne wäre sicherlich ebenso ein guter Kronzeuge, mit dem wir die Wissenssoziologie beginnen lassen könnten, betont er doch den sozialen Ursprung des menschlichen Wissens: Unser Wissen erstehe aus unseren Gewohnheiten.2 In seiner Geschichte des Ideologiebegriffes hebt der berühmte Wissenssoziologe Karl Mannheim den Philosophen Niccolò Machiavelli als denjenigen hervor, der die Unterschiedlichkeit des Denkens sehr klar auf soziologische Faktoren zurückführe. Die Unterschiede der Meinungen der Menschen ließen sich demnach auf Unterschiede ihrer Interessen beziehen, die wiederum mit ihrer jeweiligen sozialen Stellung und vor allem ihrer Macht zusammenhingen. Als einen weiteren Meilenstein bezeichnet Mannheim die berühmt gewordene Idolenlehre des FRANCIS BACON, in der er »eine Vorahnung der modernen Ideologiekonzeption« ausmacht.3 In der Tat werden die Vorstellungen von Bacon in der Folgezeit tragend, [24]prägen sie doch nicht nur die einsetzende Entwicklung der neuzeitlichen Wissenschaft. Bacon zählt zu jenen Autoren, die durch ihre Rezeption einen maßgeblichen Einfluss auf das aufklärerische Denken und die Ausbildung des Ideologiebegriffes nahmen. Unter Seglern, Navigatoren, Abenteurern und aufkommenden Wissenschaftlern lebend, wollte er darauf drängen, die scholastischen Debatten aufzugeben und sich – in diesem Sinne ganz Brite – der empirischen Erforschung der Dinge zu widmen. In seinem wissenschaftlichen Werk wandte er sich gegen deduktive Methoden und forderte eine rational geplante Empirie, die dazu dienen sollte, die Natur zu beherrschen und die Bedürfnisse der Menschen auf eine wissenschaftliche Weise zu befriedigen – eine Wissenschaft, die den sich in Großbritannien bald entwickelnden Industrialismus stützen sollte.

      Bacon erläuterte seine Methode des Erwerbs von Wissen in seinem Novum Organum, das 1620 erstmals veröffentlicht wurde. Mit diesem Titel spielt er auf Aristoteles’ logische Werke an, die als Organon bezeichnet wurden. Bacon wollte damit das Ende des Aristotelischen Einflusses andeuten. Der Mensch ist nach Bacon darauf angewiesen, die Natur und ihre Gesetze zu entdecken. Dies könne jedoch nicht deduktiv geschehen. Der Mensch müsse die Welt vielmehr mit seinen Sinnen betrachten, um induktiv daraus Erkenntnis abzuleiten. Bei dieser Betrachtung stellten sich dem Menschen jedoch zahlreiche Hindernisse in den Weg, die seinen Blick trübten – und genau diese Hindernisse bilden die »Idole« (Gestalt, Bild, Trugbild, Götzenbild), die Gegenstand Bacons wissenssoziologischen Überlegungen sind.

      Idole oder »Vorurteile des Geistes« (»idola mentis«) sind die »Vorurtheilsgötzen, die falschen Begriffe«4, von denen sich die Menschen leiten lassen. Entgegen der vermeintlichen Gleichheit des menschlichen Geistes sind sie Folge der individuellen Vorurteile, dem begrenzten menschlichen sinnlichen Vermögen und dem Einfluss der Leidenschaften auf das Erkennen. Idole sind jene Hindernisse, die das Erkennen behindern oder entstellen.5 Berühmt geworden ist Bacons Unterscheidung verschiedener menschlicher »Idole« oder »Götzen-« oder »Trugbilder«:

      Idola tribus sind die Trugbilder »des Stammes«. Damit meint er die Täuschungen, die in der Natur des Menschen verankert sind. Sie werden verstärkt durch den falschen Anspruch, der Mensch sei das Maß aller Dinge. In Wirklichkeit leidet der Mensch an geistigen Mängeln, die damit verbunden sind, dass er dazu neigt, das zu glauben, was ihm gefällt, und das was ihm nicht gefällt, nicht zu glauben.6

      [25]Die idola specus, die Trugbilder der Höhle sind nicht in der Gattung Mensch begründet, sondern liegen im Individuum selbst: seine Vorurteile und geistigen Versäumnisse. Die Irrtümer treten auf, weil wir alle Grenzen der Erfahrung und des Wissens haben. Wir wohnen alle sozusagen in einer kleinen Höhle, haben alle eine besondere Perspektive. Unsere Gedanken sind von unserer jeweiligen Lebenssituation abhängig. Idole der Höhle liegen begründet in unserer Erziehung und

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