Wissenssoziologie. Hubert Knoblauch

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Wissenssoziologie - Hubert Knoblauch

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bürgerliche Gesellschaft ihre Einheit. »Das Prinzip der modernen Staaten hat diese ungeheure Stärke und Tiefe, das Prinzip der Subjektivität sich zum selbstständigen Extreme der persönlichen Besonderheit vollenden zu lassen und zugleich es in die substantielle Einheit zurückzuführen und so in ihm selbst diese zu erhalten.«34 Hegel hat somit als einer der ersten den Unterschied zwischen Staat und Gesellschaft erkannt und zugleich den Staat auf eine Weise idealisiert, wie sie gerade für die deutsche Geschichte tragisch werden sollte.

      Die besondere geschichtsphilosophische Wendung Hegels besteht darin, dass er die Verwirklichung des Geistes als eine aufsteigende, fortschreitende Linie sieht. Zwar hat [38]jede historische Gesellschaft ihren eigenen »Zeitgeist«, der alle Wissensvorgänge leitet, die zu dieser Zeit ablaufen. Aus diesem Grunde ist auch jeder Gedanke zu seiner Zeit vernünftig, auch wenn er aus dem Blickwinkel einer späteren Zeit als unvernünftig erscheinen mag.35 Die Geschichte insgesamt aber stellt für ihn eine allmähliche Annäherung an die Vernunft dar. Sie lässt sich deswegen als Rationalisierung verstehen. Es ist »der ungeheure Überschritt des Innern in das Äußere, der Einbildung, der Vernunft in die Realität, woran die ganze Weltgeschichte gearbeitet und durch welche Arbeit die gebildete Menschheit die Wirklichkeit und das Bewusstsein des vernünftigen Daseins, der Staatseinrichtungen und der Gesetze gewonnen hat«.36

      Historisch hatte auch schon das Christentum dazu beigetragen. Eine revolutionäre Wende nimmt die Entwicklung des Geistes aber, wenn die Vernunft beginnt, sich in den Sozialgebilden zu offenbaren, wie dies in der französischen Revolution geschieht. Werte und Normen erscheinen dem Menschen nun nicht mehr als etwas religiös Begründetes oder Jenseitiges. Vielmehr ringen sich die Menschen dazu durch, die soziale Welt nach dem Muster der eigenen Vernunft gestalten zu wollen. Dieser Versuch führt nicht nur zur Freiheit, zur Emanzipation der Subjekte, also des subjektiven Geistes. Sie hat auch zur Folge, dass die Handlungen der Subjekte zufällig werden, da sie nur noch ihre eigenen partikularen Ziele verfolgen, ohne in ihren Handlungen jedoch das Allgemeine des menschlichen Geistes entdecken zu können. Dieses besondere Problem der Partikularität wird für Hegel erst mit dem Staat behoben: Hier findet die Weltgeschichte ihr Ziel, denn hier gelangt der kollektive Geist nicht nur zum Wissen, was er ist. Er macht dies auch gegenständlich in einem für alle Individuen als Orientierung und gemeinsame »Objektivierung« zugänglichen und als Handlungsziel leitenden Gemeingebilde.

      Hegels Geschichtsphilosophie ist eigentlich eher eine Vereinnahmung des Sozialen unter den Geist bzw. das Wissen, wird doch die Vernunft zum organisierenden Prinzip der Wirklichkeit. Aber genau dieser Gedanke zeichnet ja den Idealismus aus: dass das Wissen die sozialen Zusammenhänge leiten kann. Für die Entstehung der Wissenssoziologie ist dieser Gedanke von Bedeutung, weil er das Verhältnis von Gesellschaft und Wissen als etwas historisch Wandelbares fasst. Hegel treibt diesen Gedanken noch auf die Spitze, indem er das Soziale (wie etwa den Staat) zu einer Form des Geistigen erklärt: »Der Staat ist als die Wirklichkeit des substantiellen Willens, die er in dem zu seiner Allgemeinheit erhobenen besonderen Selbstbewusstsein hat, das an und für sich Vernünftige. Diese substantielle Einheit ist absoluter unbewegter Selbstzweck, in welchem die Freiheit zu ihrem höchsten Recht [39]kommt, sowie dieser Endzweck das höchste Recht gegen die Einzelnen hat, deren höchste Pflicht es ist, Mitglieder des Staats zu sein.«37

      Auch wenn damit die Vorstellung der Gestaltung des Sozialen durch das Denken kaum mehr überboten werden kann, sollten wir uns doch noch einem weiteren geschichtsphilosophischen Modell zuwenden, das für die Soziologie eine besondere Rolle spielt. Auguste Comte38 setzt an einem Modell an, das dem Hegels durchaus ähnelt. Auch er geht nämlich von der historischen Fortentwicklung nicht nur der Gesellschaften, sondern auch des Wissens in den Gesellschaften aus – und zwar in einer ähnlichen Richtung wie bei Hegel: Es gibt ein »Gesetz des notwendigen Kulturfortschrittes«. Diese Idee des Fortschritts verwirkliche sich in drei Perioden, die er in seinem berühmten Dreistadiengesetz formuliert.

      Die Entwicklung menschlicher Gesellschaften vollzieht sich nach einem dreigeteilten Muster, das sehr an die Stadien bei Vico erinnert. Comtes Fassung weist jedoch drei Unterschiede zu dem Modell Vicos auf: Zum einen vertritt er den Fortschrittsgedanken. Zum Zweiten ist es beachtenswert, dass es auch hier (ähnlich wie bei Hegel) das Denken ist, das sich verändert. Die Geschichte menschlicher Gesellschaften ist in diesem Sinne die Geschichte der menschlichen Wissensformen bzw. Denkweisen. Drittens schließlich identifiziert Comte andere Phasen von Denkweisen als Vico.

      Die Phasen der Denkweisen oder Wissensformen der drei Stadien bei Comte lassen sich grob umreißen: Im ersten Stadium erklärt der Mensch die Erscheinungen, indem er sie Wesen und Kräften zuschreibt, die dem Menschen ähneln. Im zweiten Stadium beruft er sich auf abstrakte Wesenheiten, wie etwa die Natur. Und im dritten Stadium beschränkt sich der Mensch darauf, die Erscheinungen zu beobachten und die Regeln festzustellen, die zwischen ihnen bestehen. Hatte die Phantasie in der theologischen und metaphysischen Phase noch das Übergewicht, so ist es nun die empirische Beobachtung. Jede dieser Phasen kann wieder in unterschiedliche Denkformen unterteilt werden. So setzt das theologische Stadium mit dem Fetischismus ein, der alle Dinge, die toten wie die lebenden, zu beleben sucht und auf eine dem Menschen ähnelnde anthropomorphe Weise fasst.39 Darauf folgt der Polytheismus, der in den Monotheismus übergeht und schließlich das Ende der theologischen Phase einläutet. Denn nun wird Natur nicht mehr als willkürlich angesehen, da ein Gott im Hintergrund steht, der Gesetzmäßigkeiten begründet. Das metaphysisch-abstrakte Stadium zeichnet sich dadurch aus, dass die bewegenden Ursachen nicht mehr der Transzendenz zugeschrieben werden, sondern als weltlich-abstrakte Prinzipien gelten, wie etwa die »Substanz« oder die »Vernunft«. Grundlage der Gesellschaft ist [40]nun der Rechtsvertrag. Es beginnen sich auch einzelne positive Wissenschaften auszubilden, wie etwa die Astronomie, die Physik oder die Biologie, doch wird das Soziale noch nicht als Gegenstand der Wissenschaft behandelt. Zu Comtes Lebzeiten nun ist es der Geist der positiven Wissenschaften, der sich mehr und mehr durchsetzt und sich durch die Methode der Beobachtung, das Aufstellen von Gesetzen und das Experiment auszeichnet. Immer mehr Gegenstände, die bislang der Theologie und Metaphysik vorbehalten waren, darunter auch das Soziale, geraten in den Griff dieser positiven Wissenschaften, die damit eine eigene historische Phase begründen.

      Ihre wissenssoziologische Relevanz gewinnt die Phasenbildung zum einen dadurch, dass Denken und Wissen, ja die Vernunft insgesamt als historisch variabel erscheinen. Es gibt keine durchgängige menschliche Vernunft. Vielmehr müssen verschiedene Zeiten und verschiedene Gesellschaften im Rahmen ihrer eigenen Rationalität verstanden werden. Wissenssoziologisch daran ist zum anderen, dass Comte die Entwicklung des Denkens auf soziale Kategorien und auf die in Frankreich schon seit längerem kursierende »Klassentheorie« bezieht.40 Der Kulturzustand entspricht in seinen Augen »notwendig de(m) Zustand der sozialen Organisation, sowohl der geistlichen wie der weltlichen«41, da er den Zweck der gesellschaftlichen Handlungen determiniert und die sozialen Kräfte schafft, entwickelt und entsprechend formt. Comtes Soziologie ist eine »Wissenschaft des Verstandes, weil die Art des Denkens und die geistige Tätigkeit stets eng mit dem sozialen Kontext verflochten sind. […] Der Geist ist sozial und historisch; der Geist jeder Epoche und jedes Denkens muss in einem sozialen Rahmen gesehen werden. Um verstehen zu können, wie der menschliche Geist funktioniert, muss man diesen Rahmen kennen«.42

      Das lässt sich an den einzelnen Phasen veranschaulichen: Als Muster für das theologische Zeitalter etwa schwebt Comte das Mittelalter vor, das er als theologisch und militärisch charakterisiert. Zur katholischen Denkauffassung gesellte sich die militärische Kunst, die bei den feudalen Kriegsherren ein hohes Ansehen genoss. Die zu Comtes Zeiten im Entstehen befindliche wissenschaftliche und industrielle Gesellschaft zeichnet sich dagegen nicht nur durch wissenschaftlich positives Denken und theoretisches Wissen aus. Als neue soziale Kategorie treten Wissenschaftler an die Stelle von Priestern und Theologen und erben deren geistige Macht. Dies gilt insbesondere für diejenigen, die über umfassendes positives Wissen verfügen. Das anbrechende Zeitalter setzt auf »Männer, welche, ohne ihr Leben der speziellen Pflege einer bestimmten Beobachtungswissenschaft zu widmen, über die Fähigkeit [41]wissenschaftlichen Denkens verfügen und der Gesamtheit der

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