Wissenssoziologie. Hubert Knoblauch

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Wissenssoziologie - Hubert Knoblauch

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Zusammenhang aber sehr schön illustrieren lässt: »Für eine Gesellschaft von Warenproduzenten, deren allgemein gesellschaftliches Produktionsverhältnis darin besteht, sich zu ihren Produkten als Waren, also als Werte zu verhalten, und in dieser sachlichen Form ihre Privatarbeiten aufeinander zu beziehen als gleiche menschliche Arbeit, ist das Christentum, mit seinem Kultus des abstrakten Menschen, namentlich in seiner bürgerlichen Entwicklung, dem Protestantismus, die entsprechendste Religionsform.«62 Hier geht es Marx keineswegs nur um Religionskritik. Die Religion des Christentums ist vielmehr lediglich ein Beispiel – denn [48]religiöse Vorstellungen als treibende Kräfte der Geschichte anzusehen, ist für Marx eine typisch deutsche Krankheit. Diese Krankheit, die auch die idealistischen Junghegelianer befallen habe, verhindere die Einsicht darin, dass gerade religiöse Ideen Ausdruck der materiellen Verhältnisse sind.

      Die Ideologie ist also mit der materiellen Lage der Menschen verknüpft, denn »die Gedanken der herrschenden Klasse sind in jeder Epoche die herrschenden Gedanken, d.h. die Klasse, welche die herrschende materielle Macht der Gesellschaft ist, ist zugleich ihre herrschende geistige Macht«. Es geht hier jedoch keineswegs um ausdrückliche oder absichtlich verhüllte Interessen, »denn die Klasse, die die Mittel der materiellen Produktion zu ihrer Verfügung hat, disponiert damit zugleich über die Mittel zu geistigen Produktion. […] Die herrschenden Gedanken sind weiter nichts als der ideelle Ausdruck der herrschenden materiellen Verhältnisse, die als Gedanken gefassten herrschenden materiellen Verhältnisse; also der Verhältnisse, die eben die eine Klasse zur herrschenden machen, also die Gedanken ihrer Herrschaft.«63 Ideologie ist nicht mit Absichten verknüpft, sie ist vielmehr strukturell bedingt: Sie ist abhängig von der ökonomischen Situation der sozialen Struktur. Diese Struktur verteilt nicht nur die Menschen auf unterschiedliche Klassen, sie prägt auch die Inhalte ihres Denkens. So erklärt sich zum Beispiel die »Abgehobenheit« von Ideologien, wie etwa dem Idealismus, aus der fortgeschrittenen Arbeitsteilung zwischen der geistigen und der materiellen Arbeit innerhalb der modernen Gesellschaft, »so dass innerhalb dieser Klasse der eine Teil als die Denker dieser Klasse auftritt […], während die andern sich zu diesen Gedanken und Illusionen mehr passiv und rezeptiv verhalten, weil sie in Wirklichkeit die aktiven Mitglieder dieser Klasse sind…«64

      Marx’ Begriff der Ideologie radikalisiert also damit die frühere Interessentheorie der Aufklärer. Diese vertraten die Auffassung, dass kirchliche und aristokratische Eliten mehr oder weniger strategisch und absichtlich den Aberglauben über Gott verbreiteten, um die wirkliche Situation der Beherrschten zu verdecken. Für Marx dagegen sind sowohl die Beherrschten wie die Herrscher einer Ideologie unterworfen. Ideologie dient also nicht zur Verschleierung nach Art einer Verschwörungstheorie, sondern wird systematisch durch die Struktur der sozialen Beziehungen erzeugt. Jede herrschende Klasse vertritt ihre Interessen nicht deswegen als Interessen aller, weil sie die anderen übergehen möchte. Sie glaubt tatsächlich an ihre Richtigkeit. Sofern sie die Vorstellungen, die ihren partikularen Interessen entspringen, für allgemeingültig hält, vertritt sie eine Ideologie. Wenn es ihr dann noch gelingt, diese Vorstellungen auch Menschen zu vermitteln, die eine andere soziale Lage einnehmen, dann reden wir von »falschem Bewusstsein«, also einem Bewusstsein, das nicht die soziale Lage der betroffenen Handelnden und Produzenten und ihr Wissen von der Welt reflektiert.

      Erst in einer kommunistischen Gesellschaft, die den Zielpunkt der gesellschaftlichen Entwicklung darstellt, würde das anders. Hier verschmölzen gesellschaftliche [49]Struktur und Wissen, denn in der kommunistischen Gesellschaft sei niemand mehr auf einen exklusiven Bereich des Handelns eingeschränkt und habe vielmehr Zugang zu allen Zweigen der Produktion. Hier werde auch die Teilung der Arbeit aufgehoben: Jeder kann sich in jedem beliebigen Kreis von Tätigkeiten ausbilden und »heute dies, morgen jenes […] tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden.«65 Die kommunistische Gesellschaft ist das von Marx und Engels erwartete Ziel der historischen Entwicklung, das sich aus der Dialektik der Klassenkämpfe früherer Epochen ergeben soll.

      Wenn wir bei Marx und Engels von der sozialen Lage oder von sozialen Strukturen sprechen, so stehen bei ihnen die sozialen Klassen – als soziale Entsprechungen verschiedener Formen des Bewusstseins – im Vordergrund. Als soziale Klassen bezeichnet Marx große gesellschaftliche Gruppen. Sie unterscheiden sich voneinander dadurch, ob (und in welchem Ausmaß) sie über die Mittel zur Produktion verfügen und folglich auch durch ihren Anteil am gesellschaftlichen Reichtum. Sie unterscheiden sich schließlich durch ihre Rolle in der gesellschaftlichen Organisation der Arbeit. Soziale Klassen stehen zueinander im Verhältnis des Konfliktes, wobei vor allem zwei tragende Klassen jeweils in einem stark antagonistischen Verhältnis stehen. Die menschliche Geschichte wird in den Augen von Marx und Engels im Wesentlichen durch Klassenkonflikte zwischen den zwei tragenden Klassen vorangetrieben. In einem dialektischen Prozess führt der Konflikt zweier Klassen zu neuen gesellschaftlichen und ökonomischen Verhältnissen auf einer jeweils »höheren« Stufe. (Die höchste Stufe bildet der Kommunismus.)

      Auf eine sehr vereinfachte Weise, wie sie vor allem für die Propaganda der kommunistischen Partei genutzt wurde, lassen sich folgende Phasen der Entwicklung der Klassenstruktur unterscheiden: Auf eine Phase, in der die Menschen in Stämmen organisiert sind, die als Besitzer von Eigentum auftreten, und in der die Arbeitsteilung auf der Grundlage des Verwandtschaftssystems geregelt wird, folgen die antiken Gemeinde- und Staatsbesitzverhältnisse der frühen Stadtstaaten, die auf einer Arbeitsteilung zwischen den Besitzern und den Sklaven, ihrem wichtigsten Besitz, beruhen. Darauf folgt die feudale Phase einer vorwiegend landwirtschaftlichen Gesellschaftsformation, die aus Landbesitzern und einer Dienstklasse besteht. Die zeitgenössische Phase zu Marx Lebzeiten ist der Kapitalismus. Hier geht es im Wesentlichen um die industrielle Produktion von Waren. Weil dadurch auch die Arbeitskraft zu einer Ware wird, treffen hier zwei Klassen aufeinander, die sich kategorisch voneinander unterscheiden: die Arbeiter, die über nichts weiter verfügen als ihre Arbeitskraft, die sie als eine freie Ware offerieren, und die Kapitalisten, die über die Produktionsmittel verfügen und die Arbeitskraft kaufen. Durch den Mehrwert, den die Arbeiter produzieren und den die Kapitalisten ihnen vorenthalten, häufen sie Kapital [50]an. Diese beiden Klassen prägen in immer deutlicherer Weise die Struktur der industriellen Gesellschaft, und sie sind ihrerseits von der Art ihrer Arbeit geprägt.

      Diese vereinfachte marxistische Vorstellung der Klassen ist offenkundig dichotomisch angelegt. Kapitalisten und Proletariat gelten für Marx als die wichtigsten Triebkräfte der kapitalistischen Gesellschaft. In seinen eigenen historischen Betrachtungen jedoch zeigt sich, dass die sozialen Verhältnisse weitaus verzwickter sind, als es das simple Schema des Klassenkonflikts vermuten lässt. Das zeigte sich etwa an den zeitgenössischen Entwicklungen in Frankreich. 1848 hatte sich dort – wie ja auch in manchen Gebieten Deutschlands – eine revolutionäre Situation ergeben. Wider Erwarten hatte sich jedoch weder die Arbeiterschaft noch das Bürgertum, sondern das autokratische Regiment Napoleons des Dritten durchgesetzt. Marx versucht diesen seiner Geschichtsphilosophie widersprechenden Sieg einer in seinem Entwicklungskonzept »rückschrittlichen« Entwicklung nun durch eine erweiterte Klassenanalyse zu erklären. Neben dem Proletariat und den Kapitalisten treten also auch andere Klassen auf: das Lumpenproletariat, die Grundbesitzer, die Rentiers, die Kleinbauern usw., die Marx jedoch feinsäuberlich unterscheidet. Definitorisch für die Klassen ist indessen die Art des Einkommens, das sie beziehen. Die tragenden Gruppen des Napoleonischen Staatsstreiches seien kleine Bauern und das städtische Lumpenproletariat, die nun sein Klassenspektrum erweitern. Seit der Einführung des Wahlrechtes stellten die Gruppen der voneinander isolierten Parzellenbauern die Mehrheit des Wahlvolkes. Aus ihrem Klassencharakter erklärt sich auch ihre Begeisterung für einen Politiker, dessen unumschränkte Regierungsgewalt sie vor anderen Klassen schützen konnte. In den Städten sei diese Gruppe durch Vagabunden, entlassene Soldaten, Gauner, Lumpensammler und Bordellhalter unterstützt worden, so dass Bonaparte letztlich »Chef des Lumpenproletariats« wurde.66

      Die Klassenverhältnisse lassen sich also keineswegs auf ein dichotomisches Schema reduzieren. Nur wenn man ein dichotomisches Schema anlegt (wie Marx es für agitatorische Zwecke tut), dann nimmt

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