Wissenssoziologie. Hubert Knoblauch

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Wissenssoziologie - Hubert Knoblauch

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Zusammen mit Friedrich Engels52, einem anderen Junghegelianer, formulierte Marx in mehreren Arbeiten seinen Ansatz selbst wiederum als Kritik an Hegel und den Junghegelianern. Ihr erstes gemeinsames Produkt stellt die »Deutsche Ideologie« dar, die als zentrales Werk der Wissenssoziologie von Marx angesehen werden muss.53

      Die »Deutsche Ideologie« setzt mit den schon erwähnten berühmten Thesen zu Feuerbach ein, in denen Marx und Engels die bisherigen Vorstellungen des Materialismus einer Kritik unterziehen: »Der Hauptmangel alles bisherigen Materialismus (den Feuerbachschen mit eingerechnet) ist, dass der Gegenstand, die Wirklichkeit, Sinnlichkeit nur unter der Form des Objekts oder der Anschauung gefasst wird; nicht aber als sinnlich menschliche Tätigkeit, Praxis […].« »Feuerbach«, so kritisieren sie weiter, »löst das religiöse Wesen in das menschliche Wesen auf. Aber das menschliche Wesen ist kein dem einzelnen Individuum innewohnendes Abstraktum. In seiner Wirklichkeit ist es das ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse.«54

      [45]Der einzelne Mensch als Schöpfer, den Feuerbach hinter der Religion gesehen hatte, ist keineswegs alleiniger Grund für die Wirklichkeit. Es ist vielmehr die menschliche Praxis, die – und das ist der wissenssoziologische Kern der These von Marx und Engels – nicht von einzelnen Individuen, sondern in einem gesellschaftlichen Zusammenhang realisiert wird. Durch diese Hervorhebung der sozialen Grundlage des Wissens könnte man auch behaupten, dass die Wissenssoziologie in einem engeren Verstande mit Marx und Engels einsetzt. Soziologisch ist diese Vorstellung in dem Sinne, dass die Gesellschaft nicht mehr wie eine Beziehung zwischen abstrakten Ideen (wie von Hegel) oder als menschliches Bewusstsein (wie bei den Junghegelianern) gefasst wird, sondern als eine historisch determinierte Struktur sozialer Beziehungen zwischen Menschen. Marx und Engels sind also nicht materialistisch in dem Sinne wie Feuerbach, der nur das Wahrnehmbare als Grundlage der Erkenntnis ansieht. Denken und Sein bilden für sie keine zwei getrennten Bereiche, sondern sind Elemente einer und derselben Wirklichkeit, die sich weder nur dem Materiellen noch dem Geistigen unterordnen kann. Dabei akzeptierte Marx durchaus die Vorstellung, dass die Natur das Primäre, das Denken hingegen das Sekundäre sei. »Nicht das Bewusstsein bestimmt das Leben, sondern das Leben bestimmt das Bewusstsein.« So sehr hier eine Bestimmungsrichtung betont wird, sollte man das Verhältnis doch nicht so einseitig sehen, da »die Umstände ebenso sehr die Menschen, wie die Menschen die Umstände machen«.55 Die daraus resultierende Zwiespältigkeit von Marx’ und Engels’ Aussagen zum Verhältnis zwischen Materiellem und Wirklichkeit lassen sich auf zwei unterschiedliche und keineswegs miteinander verträgliche Grundprinzipien zurückführen, die ihr Werk durchziehen: Eine deterministische Vorstellung des Verhältnisses, die von einer Bestimmung des Geistigen durch das Materielle ausgeht, und eine dialektische Vorstellung, die beides in einer Wechselwirkung sieht. Man darf durchaus sagen, dass Marx und Engels die deterministische Fassung dann bevorzugen, wenn es ihnen um die rhetorische Wirkung und die politische Überzeugung geht, während sie in »wissenschaftlicheren« Erörterungen die dialektische Fassung hervorheben. Einige Autoren sind deswegen der Auffassung, man müsse den wissenschaftlichen Teil ihrer Theorie von den politisch-agitatorischen Teilen trennen.

      Was nun ist der materielle Teil dieser Determination oder Wechselwirkung? Das Materielle tritt in verschiedenen Bedeutungen auf, man kann auch sagen: Es umfasst unterschiedliche Aspekte. Einmal ist es gleichbedeutend mit dem »Ökonomischen« bzw. dem ökonomischen Reproduktionsprozess. In diesem Fall bezeichnet es die Produktivkräfte, also handfeste empirische Größen, wie die Produktionsmittel Werkzeuge, Maschinen, Boden oder Kapital. Die andere Bedeutung setzt das Materielle mit der Befriedigung elementarer natürlicher Bedürfnisse gleich, die mit den äußeren körperlichen Existenzbedingungen verknüpft sind. Eine dritte Bedeutung des Materiellen verweist auf die Zwangsverhältnisse zwischen den Menschen oder soziale Prozesse im Allgemeinen.56

      [46]Wie immer das Materielle und dann auch das Verhältnis des Materiellen zum Geistigen näher bestimmt wird, so besteht doch in jedem Fall ein enger Zusammenhang zwischen beidem. Für Marx gibt es keine Zweifel, dass die materiellen Grundlagen die Erzeugungen des Geistes beeinflussen. Marx zeigt das in seinen historischen Rekonstruktionen dieses Verhältnisses auf, die er in einer Analyse der Gegenwart seiner Zeit, dem modernen Kapitalismus, münden lässt: In den frühen Phasen der menschlichen Geschichte, der Urgeschichte, war die Produktion von Ideen direkt mit der materiellen Aktivität und dem Zusammenleben der Menschen im wirklichen Leben verknüpft. Die Menschen sind deswegen die ausschließlichen Erzeuger ihres Bewusstseins. Das Bewusstsein kann sich ändern, wenn sich die Verhältnisse, also Produktionsverhältnisse und die daran geknüpften Sozialbeziehungen, ändern. Daran erkennen wir, dass die Lebensform des Individuums abhängig ist von der Produktionsweise, und diese determiniert auch die sozialen Beziehungen. Auch wenn er immer wieder die materiellen und ökonomischen Aspekte betont, so ist doch soziologisch vor allem relevant, dass die menschliche Lebensform für ihn wesentlich gesellschaftlich ist »in dem Sinne, als hierunter das Zusammenwirken mehrerer Individuen, gleichviel unter welchen Bedingungen, auf welche Weise und zu welchem Zwecke« verstanden wird.57

      Die Verbindung zwischen dem Sozialen und dem Ökonomischen (als zentralen Aspekten des Materiellen) ist keineswegs beliebig. Denn das »Zusammenwirken der Menschen« ist selbst eine Produktivkraft und sie steht mit den ökonomischen Produktivkräften in einem engen Zusammenhang.58 Dies liegt darin begründet, dass die wirtschaftliche Arbeitsteilung eine Form der sozialen Kooperation darstellt, die ihrerseits von der gesellschaftlichen Arbeitsteilung und den Produktionsverhältnissen abhängt. (Dabei spielen die Eigentumsverhältnisse eine entscheidende Rolle.) Die Kooperation verschiedener Individuen führt nicht nur zur Sprache, sie ist auch der Grund für das Bewusstsein. Und dies wiederum bildet das Denken: »Das Bewusstsein ist also von vornherein schon ein gesellschaftliches Produkt und bleibt es, solange überhaupt Menschen existieren.«59

      Folgen wir der historischen Rekonstruktion des Verhältnisses von Wissen und Gesellschaft weiter, dann verändert die Fortentwicklung der Produktion die Arbeitsteilung auf eine grundlegende Weise. Schon in der urgesellschaftlichen Produktionsweise entwickelt sich eine erste Form von Eigentum, die sich auf einfache Erfindungen [47]bezieht. Auf der nächsten geschichtlichen Stufe, der Sklavenhalterordnung, bezieht sich das Eigentum auf die Produzierenden selbst: Es stellt sich eine Teilung zwischen Sklaven und Sklavenhalter ein. Die Sklavenhalter bilden einen Überbau aus: Es entsteht ein staatlicher Apparat, ein Rechtssystem. Im Feudalismus werden die Sklavenhalter zu Feudalherren, die vor allem über Grund und Boden verfügen. Die Ungleichheit und Unterdrückung wird durch Religion und Recht legitimiert. Damit wird auch die Trennung von Stadt und Land, von Handel und Industriearbeit und von materieller und geistiger Arbeit ausgebaut. Diese ist wissenssoziologisch natürlich sehr folgenreich, denn nur dadurch »kann sich das Bewusstsein wirklich einbilden, etwas andres als das Bewusstsein der bestehenden Praxis zu sein, wirklich etwas vorzustellen, ohne etwas Wirkliches vorzustellen«60 – erst jetzt ist also reine Theorie und damit auch ›falsches Bewusstsein‹ (auf das wir noch zu sprechen kommen werden) möglich. Nun können die Produktionskraft, der gesellschaftliche Zustand und das Bewusstsein in Widerspruch geraten. Die Intellektuellen, die aus der Teilung von geistiger und materieller Arbeit hervorgehen, neigen generell dazu, die Interessen ihrer Klasse in einer allgemeinen Form in Begriffe zu kleiden. Im Kapitalismus schließlich wird dies zu einem Klassensystem, weil erst hier das Verhältnis der einzelnen zu den Produktionsmitteln zum entscheidenden Ordnungskriterium der Gesellschaft wird. Mit der Klassenherrschaft der Bürger ändert sich auch die Ideologie. So kommt es, dass »während der Zeit, in der die Aristokratie herrschte, die Begriffe Ehre, Treue etc., während der Herrschaft der Bourgeoisie die Begriffe Freiheit, Gleichheit etc. herrschten«.61

      Vor diesem Hintergrund ist denn auch der Marxsche Begriff der Ideologie zu verstehen: Jede Ideologie (wie etwa die ›deutsche Ideologie‹) ist der Versuch einer Klasse, ihre Vorstellungen als die allgemeingültige auszugeben, obwohl sie ausschließlich von den Interessen ihrer eigenen Klasse geleitet ist. Am besten gelingt dies natürlich derjenigen Klasse, die über die gesellschaftliche Macht verfügt. Deswegen entscheidet die Machtstruktur einer Gesellschaft (Macht im Sinne von Kontrolle, Besitz der materialen Produktionsmittel) auch darüber, welche

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