Nachhaltigkeit interdisziplinär. Группа авторов

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Nachhaltigkeit interdisziplinär - Группа авторов

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Astronauten wurden zugeschaltet. Sie begrüßten die Zuschauer und anschließend kommentierte William Anders live aus dem All:

      Wir nähern uns nun dem lunaren Sonnenaufgang. Und für alle Menschen unten auf der Erde hat die Besatzung der Apollo 8 eine Botschaft, die wir euch senden möchten: Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe. Der Geist Gottes schwebte über dem Wasser, und Gott sprach: Es werde Licht. Und es ward Licht. […] Und von der Besatzung der Apollo 8: wir schließen mit einem Gute Nacht, Viel Glück, fröhliche Weihnachten und Gott segne euch alle – euch alle auf der guten Erde.33

      Wenn man sich die Begleitumstände dieses Bildes anschaut, dann ist vor allem klar, dass die Apollo-Mission eine Reaktion auf den Sputnik-Schock von 1957 darstellte und den Kontext also noch der Weltraum-Wettlauf mit der Sowjetunion bildete (1969 fand die erste bemannte Mondlandung statt). Es ging also um politisches Prestige und die Konkurrenz in hochtechnologischen Entwicklungen.

      Die Bedingungen, unter denen das Foto entstanden ist, stehen in deutlichem Kontrast zu der Wirkung, die ihm zugesprochen wird. Steward Brand, der das Vorgängerbild34 auf das Cover seines „Whole Earth Catalog” nimmt, kommentiert den Effekt des Bildes folgendermaßen: „Bucky [Buckminster Fuller] led me to this notion. He said people still think the earth is flat because they act as if its resources are infinite. But that photograph showed otherwise […]. This is all we’ve got and we’ve got to make it work. There’s no backup.“ Das nennt Frank White später den „Overview-Effekt“.35

      Weil man die Erde als ganze sehen kann, wird zugleich deren Begrenzung deutlich – dass sie keine unendliche Fläche darstellt. Das ähnelt der Endlichkeits-Einsicht, wie sie schon von Carlowitz formuliert hatte. Hatte dieser die begrenzten Holzvorräte des Landes Sachsen thematisiert, wird hier der Blick auf die größtmögliche Bezugseinheit gelenkt: den Planeten Erde. Bei Meadows et al. spielte das Motiv der Begrenzung der Ressourcen ebenfalls eine wichtige Rolle: Die Grenzen des Wachstums formuliert die zentrale Erkenntnis bereits im Titel.36 Auch darin werden globale Zusammenhänge thematisiert (die fotografischen Aufnahmen der Erde existierten zu dieser Zeit bereits, es wird auf sie aber nicht direkt Bezug genommen). Allerdings macht es für die Darstellung der Einheit, auf die sich das Nachhaltigkeitsverständnis bezieht, einen Unterschied, ob sie aus sich wechselseitig bedingenden Variablen innerhalb eines Weltsystems dargestellt wird oder als von außen als ganzer erfassbarer Planet Erde. Im ersten Fall werden vor allem die Wechselwirkungen, die wechselseitige Abhängigkeit der einzelnen Systemelemente voneinander thematisiert; in der zweiten Darstellung wird die Einheit, aber vor allem auch die Begrenzung der ‚einen, kleinen Erde‘ im All sichtbar.

      Wie der Anfang des Buches bereits zeigt, wird mit diesem Blick aus dem All eine quasi göttliche Perspektive eingenommen – die ihren Widerhall auch im Rezitieren der biblischen Schöpfungsgeschichte durch die Astronauten findet. Aber die Schöpfung wird dadurch eine menschliche Aufgabe. „Mit dem Leitbild ist eine Gestaltungsaufgabe in einer Komplexität verbunden, die einmalig in der Menschheitsgeschichte ist: Die Menschheit bzw. Weltgesellschaft ‚als Ganzes‘ wird zum Objekt von bewusster Gestaltung“ (Grunwald/Kopfmüller 2012: 15). Stewart Brand schreibt in seinem Whole Earth Catalogue gleich zu Anfang „We are as gods“ (1968: 2). Im Weiteren führt das Erringen der gottähnlichen Außenperspektive zum „Verlust des Außen“37. Mit der planetarischen Positionierung und der Entgrenzung der Referenz auf die größtmögliche Einheit der Erde geht zugleich der geschilderte Eindruck der Begrenzung einher. Man fühlt sich zur Begrenzung des eigenen Wirkens aufgefordert und beansprucht zugleich die Gestaltung des Ganzen. Auch die Haltung zu Technik, Fortschritt und Wissenschaft ist ambivalent, weil sie einerseits zu der Zerstörung beigetragen hätten, andererseits lägen die hochtechnologischen Bedingungen der Raumfahrt dieser Ansicht der Erde und der damit einhergehenden Einsicht zugrunde (vgl. Heise 2008: 23 f.).

      Das Bild der blue marble dominiert noch heute die Visualisierungen von Nachhaltigkeit, was man schnell sehen kann, wenn man Nachhaltigkeit in der Bildersuche bei Google eingibt. Meist findet man Darstellungen des Blauen Planeten – oft noch mit zwei Händen, die ihn schützen oder halten.

      Die Analysen der drei Grundlagentexte der Nachhaltigkeitsdebatte haben gezeigt, dass sich anhand der fünf Kernaspekte (Anlass, Ressource, Bezugseinheit, Wissen und Akteure) das jeweilige Verständnis von Nachhaltigkeit klarer konturieren lässt und die unterschiedlichen Wissensformationen dadurch vergleichbar werden. Ein Vergleich kann die genannten Anlässe und die Weise, wie mit ihnen ein bestimmtes Handeln plausibilisiert wird, nebeneinanderstellen. Interessant wäre auch, wie sich die Bezugseinheit, mit der die Erhaltung der Ressourcen berechnet wird, vergrößert: Hatte von Carlowitz noch den Holzvorrat im Land Sachsen als Referenz, weitet sich der Bezug über das Weltsystem bis zum planetarischen Blick auf die Erde als ganze aus. Auch im Hinblick auf die Frage, wer aus welcher Position für welche anderen spricht, geben die drei Texte unterschiedliche Antworten, deren Ähnlichkeiten und Differenzen man noch genauer herausarbeiten könnte.

      Es wurde außerdem deutlich, dass es bei den verschiedenen Nachhaltigkeitsverständnissen nicht nur um Ideen oder begriffliche Definitionen geht. Vielmehr formiert sich das Wissen in unterschiedlichen medialen Artikulationen (Buch mit Druckgrafiken, computergenerierte Graphen) wie auch technischen und sozialen Settings (Oberbergamt, MIT mit Großcomputer), die in ihrem Zusammenspiel komplexe historische Dispositive im Sinne Michel Foucaults (vgl. 1978) bilden. Exemplarisch wurde an der Grafik im Meadows-Buch gezeigt, welche impliziten Ansprüche wie Wissenschaftlichkeit (und implizite Abwertung anderer ‚Wahrheitsformen‘) und globale Gültigkeit (‚wir haben als einzige die wesentlichen Dynamiken der ganzen Welt im Blick‘) mit den spezifischen Möglichkeiten bestimmter Medien transportiert werden können. Gleichzeitig wurde auf die widersprüchlichen Bedeutungen hingewiesen, die im Zustandekommen und der Rezeption des blue-marble-Fotos liegen.

      Die einzelnen Wissensformationen lagern sich im Laufe der Zeit ab. Sie bilden in der Folge Bedeutungsschichten, die aufgegriffen und aktualisiert werden können, wenn Nachhaltigkeit zur Sprache kommt. Das, was im frühen 18. Jahrhundert als forstwissenschaftliches Wissen entwickelt worden ist, stellt dreihundert Jahre später eine wichtige Referenz dar. Immer wieder findet sich in Formulierungen zur Nachhaltigkeit eine Bedeutungsschicht, in der es um den Erhalt einer Ressource geht, um ihr Wachstum, darum, nicht mehr zu verbrauchen, als nachwächst. Der Holzvorrat im Wald fungiert dabei als metaphorischer Bildspender, um das, was Nachhaltigkeit bedeutet, zu veranschaulichen und zu plausibilisieren. Die Überlagerung der verschiedenen Bedeutungsschichten, durch die der Nachhaltigkeitsdiskurs heute gekennzeichnet ist, erklärt einerseits dessen Vieldeutigkeit und Komplexität und stellt andererseits einen Grund für dessen hegemoniale Stellung dar. Die Unschärfe kann, wie oben bereits ausgeführt, der kommunikativen Anschlussfähigkeit dienen. Daraus kann sich aber auch das Bedürfnis ergeben, die verschiedenen semantischen Schichten bzw. die unterschiedlichen Verständnisse von Nachhaltigkeit mit ihrer historisch-sozialen Herkunft und ihren medialen Prägungen voneinander zu unterscheiden – die Heuristik der fünf Kernaspekte soll dazu als Analyseinstrument fungieren.

      Durch die unterschiedlichen Sinnformationen und ihr Zusammenspiel wird der Nachhaltigkeitsdiskurs und damit ein wichtiger Teil des sozialen Imaginären der Gegenwart bestimmt. Wenn die Systemtheoretiker des MIT ihr Weltmodell aufstellen, dann formulieren sie mit diesen Mitteln ein Verständnis von Nachhaltigkeit und ein entsprechendes Wissen darüber, welches es ohne die Simulation nicht gegeben hätte. Sie wählen fünf Grundgrößen, die aus ihrer Sicht die entscheidenden Faktoren darstellen (und beanspruchen, sämtliche Aspekte der Welt zu repräsentieren). Diese stehen miteinander in systemischer Wechselwirkung und lassen sich technisch berechnen. Auch das Foto der Erde aus dem All ist kein bloßes Foto, sondern wird durch Geschichten gerahmt – ganz neue, hochtechnologische der Raumfahrt und ganz alte mit dem Anfang der Genesis – und auf diese Weise mit Bedeutung aufgeladen.

      Auch

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