Küsse am Meer. Rosita Hoppe

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Küsse am Meer - Rosita Hoppe

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kannte sie ihn kaum. Eigentlich gar nicht. Obwohl sie ihn schon von der ersten Begegnung an attraktiv gefunden hatte. Nervös drehte sie das Sektglas in ihrer Hand, nahm einen Schluck und drehte es weiter. Sie spürte Pauls Blick, der auf ihr ruhte und der sie völlig durcheinanderbrachte.

      „Bist du schon länger auf der Insel?“, fragte Paul nach einer Weile. „Von hier scheinst du nicht zu stammen.“

      „Wie kommst du darauf?“

      „Du sprichst reines Hochdeutsch.“

      „Ich besuche eine Freundin und bin zum dritten Mal hier. Ganz besonders mag ich Nebel. Hach, diese Reetdachhäuser sind einfach hinreißend. Der Ort hat ein ganz besonderes Flair. Trotz der Touristen. Ich hab nirgendwo einen schöneren Strand gesehen. Ich liebe diese Unendlichkeit, die der Kniepsand ausstrahlt. Außerdem wandere ich gern über die Bohlenwege durch die Dünen.“

      Paul lachte. „Deine Begeisterung für die Insel kann ich dir an der Nasenspitze ansehen. Du solltest in die Werbung gehen oder dich von der Touristeninformation anstellen lassen.“ Er beugte sich interessiert vor. „Oder bist du in der Werbebranche?“

      „Ähm, nee.“ Stimmte ja auch. Was gewesen ist, zählt nicht mehr.

      „Wie lange wirst du bleiben?“

      Pauline zuckte mit den Schultern. „Das weiß ich noch nicht. Es hängt von gewissen Dingen ab.“ Glücklicherweise fragte Paul nicht weiter. Er trank sein Glas leer und Pauline ebenfalls. Sie seufzte leise. „Ich muss dann auch weiter. Meine Freundin wartet sicher schon. Ich habe versprochen, bald zurück zu sein.“

      „Schade. Ich wäre gern noch ein bisschen länger mit dir hier geblieben.“ Pauls Gesicht drückte Enttäuschung aus.

      „Vielleicht … vielleicht laufen wir uns noch einmal über den Weg. Ich komme bestimmt bald wieder nach Nebel.“ Pauline erhob sich, Paul ebenfalls. „Ich werde hier auf dich warten“, versprach er. „Jeden Tag.“

      Pauline wagte nicht, ihn zu fragen, ob er das ernst meinte. Wenn das Schicksal es wollte, würde es dafür sorgen, dass sie sich wieder über den Weg liefen. Wo auch immer das sein würde. „Vielen Dank für die Einladung, das Eis, den Sekt …“

      „Den Kuss?“

      „Ja. Auch den.“ Meine Güte, war der direkt. Ehe sich Pauline versah, zog Paul sie in seine Arme. Der intensive Blick aus seinen graublauen Augen bescherte ihr eine Gänsehaut. Sie entdeckte ein paar winzige grüne Punkte in seiner Iris. Welch ungewöhnliche Kombination. Schon spürte sie Pauls Lippen auf ihren. Die Berührung war kurz und fest, und viel zu schnell vorüber.

      „Für den danke ich dir“, raunte Paul an ihrem Ohr und ließ sie so plötzlich los, dass sie beinahe ins Schwanken geraten wäre. Er wandte sich von ihr ab und winkte die Bedienung heran. „Zahlen bitte“, rief er. Kurze Zeit später hatte er die Rechnung beglichen.

      „Wo steht dein Fahrrad?“, fragte Paul, als sie auf der Straße standen.

      „Gleich in der Nähe. Also dann. Machs gut, Paul.“

      „Machs gut, Pauline. Wir sehen uns.“ Er zwinkerte ihr zu.

      „Ganz bestimmt.“ Er schob die Hände in die Taschen seiner Jeans und schlenderte davon. Pauline blickte ihm nachdenklich hinterher. Würden sie sich noch einmal über den Weg laufen? War sein Versprechen, täglich im Café auf sie zu warten, ernst gemeint? Vermutlich nicht. Sie wusste nichts über ihn, außer dass er eine Schwester hatte, die Liebesromane las. Er hatte ihr nicht einmal erzählt, ob und wie lange er auf Urlaub hier war. Vermutlich würde er ihre Begegnung in die Kategorie „flüchtige Urlaubsbekanntschaft“ stecken. Was war mit ihr? Worunter würde sie dieses kurze, intensive Intermezzo ablegen? Darüber sollte sie besser mit ein bisschen Abstand – vielleicht am Abend im Bett – nachdenken. Inzwischen war Paul nicht mehr zu sehen. Dummerweise war sie so in Gedanken versunken gewesen, dass sie gar nicht darauf geachtet hatte, wohin er verschwunden war.

      Pauline gab sich einen Ruck und machte sich auf den Weg zum Öömrang Hüs. Die Besichtigung des Hauses ließ sie sausen, ihre Gedanken kreisten immer noch um Paul. Sie schwang sich auf ihren Drahtesel. Für ihren Rückweg nach Norddorf schlug sie einen anderen Weg ein. Erst außerhalb des Ortes bemerkte sie, wo der Weg sie entlangführte. Sie bremste scharf ab, als sie das Areal rechter Hand erkannte, und kam ein wenig ins Schlingern. Rasch stieg sie vom Rad und stellte es an einem Baum ab. Auch wenn sie den ganzen Tag nicht daran gedacht hatte, gab es für sie nur einen Weg. Nach wenigen Minuten hatte sie die gesuchte Stelle gefunden.

      „Hallo, Jan-Erik.“ Ein einfaches Holzkreuz nur mit dem Namen und ohne Daten zeigte Besuchern, wer hier begraben war. Auf dem Grab blühten die verschiedensten Blumen, die sicher Jule auf liebevolle Weise gepflanzt hatte. Eine Weile blieb sie stehen und dachte an die wenigen Augenblicke, die sie vor Jahren zu dritt verbracht hatten. So richtig hatte sie Jan-Erik damals nicht kennenlernen können, er war viel beschäftigt gewesen. Nun war es zu spät. Im Stillen versprach Pauline, beim nächsten Besuch einen Blumenstrauß mitzubringen. Sie wandte sich ab und eilte zum Ausgang.

      Während sie zurück nach Norddorf radelte, hatte Pauline wieder Pauls Antlitz vor dem inneren Auge. Sein Lächeln, beim Essen der Torte und wie er sich über sie beugte. Plötzlich riss sie das wilde Hupen eines Autos aus ihren Gedanken. Bremsen quietschten. Erschrocken starrte Pauline auf das schwarze Auto, das kurz vor ihr zum Stehen kam. Der Fahrer fuchtelte wild mit den Armen. Mit klopfendem Herzen stieg sie vom Rad. Mannomann, das war knapp gewesen. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie, ohne nach rechts und links zu sehen, auf die Hauptstraße gefahren war. Ihre Knie schlotterten, als sie das Rad auf den gegenüberliegenden Bürgersteig schob.

      „Sind Sie lebensmüde?“, rief der Fahrer aus dem geöffneten Seitenfenster.

      „Entschuldigung! Ich war in Gedanken.“

      „Das habe ich gemerkt. In Zukunft sollten Sie die Augen offen halten!“ Kopfschüttelnd fuhr er weiter.

      Das wäre wirklich besser. Pauline atmete tief durch. Sie hatte gerade verdammt viel Glück gehabt.

      Als Pauline ihr Fahrrad ausrollen ließ, herrschte vor der Pension reges Treiben. Jule dirigierte gerade einen grünen Kleinwagen in eine enge Parklücke. Ein älterer Herr schleppte zwei Reisetaschen in Richtung Haustür. Aus dem Haus kamen Sarah mit Lilli auf dem Arm und Andy, der einen Buggy schob. Pauline winkte ihnen zu, stieg vom Rad und schob es eilig zum Schuppen. Anschließend gesellte sie sich zu Jule. Die junge Familie spazierte inzwischen die Straße in Richtung Ortskern entlang.

      „Hallo, Jule.“

      „Da bist du ja schon wieder. War’s schön?“

      Pauline nickte. Zu mehr blieb keine Zeit, denn der Herr, der eben die Taschen ins Haus getragen hatte, tauchte neben ihnen auf. „Haben Sie uns das gewünschte Zimmer fertig gemacht?“

      „Natürlich, Herr Krämer.“ Jule lächelte ihren Gast an.

      „Das Gleiche wie im vergangenen Jahr.“

      „Dann ist es ja gut.“ Er wandte sich seiner Partnerin zu, die sich eben durch den schmalen Türspalt zwängte.

      „Trude, pass auf, dass du die Tür nicht ans Nachbarauto rammst. Wieso parkst du ausgerechnet in so einer schmalen Lücke?“

      Trude quittierte die Bemerkungen lediglich mit einem Augenrollen und kam schnellen Schrittes auf Pauline und

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