Küsse am Meer. Rosita Hoppe

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Küsse am Meer - Rosita Hoppe

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passen. Hab noch dringende Büroarbeiten zu erledigen.“

      „Schade. Kannst du das nicht verschieben?“

      Jule zuckte mit den Schultern, stand auf und räumte das Geschirr auf das Tablett. „Leider nicht. Weil ich Frau Sörens Arbeit mit übernehmen musste, habe ich den Bürokram bis zu deiner Ankunft aufgeschoben. Ich muss ran, bevor sich noch mehr anhäuft. Wir holen den Spaziergang nach, versprochen.“

      „Ich nehme dich beim Wort.“ Pauline streckte ihre Glieder und erhob sich ebenfalls. „Sehen wir uns später noch?“

      „Na klar, wir essen natürlich zusammen.“ Gemeinsam verließen die Freundinnen den Wintergarten. Jule verschwand mit dem Tablett in der Küche.

      Pauline holte ihre Windjacke und die Sonnenbrille aus ihrem Zimmer. Kurz darauf verließ sie das Haus. Vor dem Grundstück blieb sie stehen, unschlüssig, welchen Weg sie einschlagen sollte. Zum Strand! Der Ort konnte warten, entschied sie. Gleich am Ende des Dünemwai begann einer der Wege, die durch die Dünen hinunter zum weiten Strand führten. Pauline fühlte sich, als würde der Strand sie wie ein Magnet anziehen. Sie schob ihre Sonnenbrille auf die Nase, fuhr sich durch die Haare und hielt überrascht inne. Mit einem Mal war die Erinnerung an die vergangenen Tage wieder real und damit auch der Schmerz. Sie hätte wissen müssen, dass sie mit einem Haarschnitt und einem Ortswechsel nicht automatisch alles vergessen würde. Pauline kniff ihre Augen zusammen, atmete tief durch und versuchte mit all ihrer Kraft, die Gedanken an Ralf beiseitezuschieben. Das war jedoch nicht so einfach. Immer wieder schlich sich Ralf in ihre Gedanken. Wann würde das endlich aufhören?

      Sie konzentrierte sich auf die Umgebung, auf die Dünen aus feinstem Sand, übersät mit Büscheln von Strandhafer. Dieses Naturwunder hatte sie schon bei ihrem ersten Amrumbesuch bestaunt. Auf einmal war sie voller Vorfreude auf den unendlichen Strand und beeilte sich, ihr Ziel zu erreichen. Die Spaziergänger und Radfahrer, die sie auf dem Weg traf, nahm sie kaum wahr. Sie passierte das Naturzentrum, zwei Restaurants und erreichte einen Holzsteg, an dessen Ende eine Treppe zum Strand hinunterführte. Diesen Strandzugang kannte Pauline nicht, er war vermutlich erst nach ihrem vergangenen Aufenthalt gebaut worden. Damals führte ein einfacher Pfad auf den Strand. Auch an die Strandbar, an der sie eben vorbeigegangen war, konnte sie sich nicht erinnern.

      Am Ende des Stegs blieb Pauline stehen und schob die Sonnenbrille auf die Stirn. Endlich! Sie ließ den Blick über den in der Sonne gleißenden Sand streifen. Möwen zogen ihre Kreise über dem Strand oder stritten sich mit Austernfischern um appetitliche Happen. Wie bunte Farbkleckse nahm Pauline Strandkörbe, andere Strandbesucher und im Sand buddelnde Kinder wahr. Zwischen Himmel und Strand glitzerte die Nordsee. Segelboote kreuzten am Horizont. Eine Aussicht wie auf Postkarten und viel schöner, als sie es in Erinnerung hatte. Hastig zog sie Schuhe und Strümpfe von den Füßen und krempelte sich die Jeans bis zu den Knien hoch. Sie eilte die Stufen hinunter und stand endlich im Sand. Sie wackelte mit den Zehen und spürte dieses leichte Kitzeln, wenn Sand zwischen den Zehen emporquillt. Hach, das hatte sie vermisst. Nach einem tiefen Atemzug schnappte sich Pauline die Strümpfe und stopfte sie in die Schuhe. Die Schnürbänder knotete sie an der Gürtelschlaufe ihrer Hose fest und rannte laut lachend und mit ausgebreiteten Armen dem Meer entgegen. Erst, als sie bis zu den Waden im Wasser stand, blieb sie stehen. Huch, war das kalt. Dennoch planschte sie mit den Füßen gut gelaunt im Wasser umher. Jules Vorschlag war eindeutig das Beste, was ihr in vergangener Zeit passiert war und Pauline war froh, dass sie sich hatte überreden lassen, hierher zu kommen. Es war einfach traumhaft hier. Langsam watete sie durch die leichte Brandung und allmählich gewöhnten sich ihre Füße an die Wassertemperatur. Ab und an hob sie eine besonders schöne Muschel auf und legte sie in die Schuhe. Es dauerte nicht lange, da quollen die Schuhe fast über mit Herz- und Miesmuscheln. Sogar eine Austernschale hatte sie gefunden. Halt! Schon am ersten Tag war sie prompt ihrer Sammelleidenschaft verfallen. Wenn sie so weitermachte, würde sie für ihre Heimreise ein zusätzliches Gepäckstück für gesammeltes Strandgut einplanen müssen.

      Ein paar Hundert Meter weiter ließ sie sich im Sand nieder. Kaum zu glauben, dass sie heute erst angekommen war. Die Anreise schien ewig her zu sein. Dazu der Wetterumschwung. Während es auf der Fähre noch reichlich kühl gewesen war und die Sonne nur ab und an zwischen den Wolken hervorgelugt hatte, hatte sich der Nachmittag zu einem herrlichen Sonnentag entwickelt. Pauline zog die Windjacke aus, breitete sie auf dem Sand aus und legte sich darauf. Sie schloss die Augen und genoss die warmen Sonnenstrahlen. Nach einer Weile spürte sie, wie ihre Haut heißer wurde und ihr fiel ein, dass sie keine Sonnencreme benutzt hatte. Daran würde sie in Zukunft denken müssen. Um die Haut nicht unnötig zu strapazieren, entschied sich Pauline schweren Herzens, zurückzugehen. Aber sie würde jeden Tag, wenigstens für einen kurzen Moment, den Strand aufsuchen, nahm sie sich vor. Vor dem Strand setzte sie sich auf eine Bank. Die Muscheln füllte Pauline vorsichtig in die Socken, rieb sich den Sand von den Füßen und schlüpfte barfuß in die Schuhe. Der Spaziergang hatte ihr gutgetan und sie fühlte sich fast wie im Urlaub. Was sich in den nächsten Tagen allerdings ändern würde, wie sie vermutete. Denn schließlich war sie nicht zum Faulenzen hergekommen.

      Spontan entschied sich Pauline für einen kurzen Bummel durch den Ort. Ein Eis wäre genau das Richtige. Während sie den Strunwai entlang der Ortsmitte zustrebte, kam auch die Erinnerung an ihre vorherigen Aufenthalte zurück. Sie passierte das Kurmittelhaus und die Kurheime, erste Geschäfte und Lokalitäten. Durch die Geschäfte wollte sie ein anderes Mal schlendern und hielt nur am nächstgelegenen Eiscafé an. Genüsslich die Eiskugeln schleckend machte sie sich auf den Weg zu Jule. Die würde sicher schon warten.

      3. Kapitel

      Pauline wachte am frühen Morgen vom Gekreisch der Möwen auf. Erst halb sechs, stellte sie nach einem Blick auf ihren Wecker fest. Sie konnte also durchaus noch ein paar Minuten liegen bleiben. Jule hatte gesagt, dass sie beim Frühstück vorbereiten nicht helfen brauchte, da an diesem Morgen nur ein Ehepaar im Hause wäre. Allerdings würde sich das in den nächsten Tagen ändern, wenn die Pension für einige Wochen voll belegt war. Pauline lauschte dem Lärm der Möwen. Da kam ihr eine Idee. Eine supergute Idee. Sie stand auf und öffnete beide Fensterflügel ganz weit. Kühle Luft wehte ihr entgegen. Aber das machte nichts. Schnell putzte sie ihre Zähne, zog sich eine Sporthose und ein Sweatshirt an und schlüpfte in Socken und Sportschuhe. Eine Runde zu joggen vor dem Frühstück, das wäre doch mal ein sportlicher Start in den Tag, der außerdem ihrer Figur guttun würde. Bevor sie das Haus verließ, warf sie noch einen Blick in die Küche. Niemand zu sehen. Auch gut. Die Gäste standen vermutlich nicht so früh auf.

      Erstaunt registrierte Pauline, dass sie nicht die Einzige war, die so früh schon ihre Runde drehte. Mit einem mürrischem „Moin“ grüßte ein älterer Mann, der ihr schweißüberströmt auf dem Dünenweg entgegenkam. Fröhlich erwiderte Pauline den Gruß. Sie konnte sich nicht erklären, weshalb sie um diese Uhrzeit, zu der sie sich sonst noch einmal umdrehte und eine Runde weiterschlief, so blendender Laune war. Ob es an der Luftveränderung lag?

      Eine halbe Stunde später schleppte sich Pauline verschwitzt und nach Luft schnappend in die Küche und schreckte damit Jule auf, die gerade Kaffeepulver in die Maschine häufte.

      „Huch, hast du mich erschreckt! Wer hat dich denn so früh aus dem Bett geschmissen?“ Jule musterte Pauline und zog mit erstauntem Blick eine Augenbraue empor.

      „Du joggst?“

      „Kann ich … was trinken?“ Pauline japste immer noch.

      „Ein Wasser vielleicht?“

      „Klar, nimm dir ein Glas aus dem Schrank über der Spüle. Das Mineralwasser steht neben dem Kühlschrank.“ Erst, nachdem sie zwei Gläser auf ex geleert hatte, konnte Pauline Jule Rede und Antwort stehen. „Es war das erste Mal seit Jahren, dass ich meine Sportschuhe ihrer ursprünglichen Bestimmung zugeführt habe.“ Sie verzog das Gesicht und wischte sich mit

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