Tatort Bodensee. Eva-Maria Bast

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Tatort Bodensee - Eva-Maria Bast

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war anscheinend schon wieder gleichbedeutend mit einer Überdosis für das oft und mit Inbrunst zur Schwermut neigende Gemüt des Ulmer Kollegen.

      Horst versuchte es mit einem Köder, der normalerweise ziehen musste: »Also komm, jetzt tu nicht so und gib dir einen Ruck! Ich hab zwar nur Lemberger dabei, aber extra für dich könnte ich mir vorstellen, dass ich noch ein paar Flaschen Hefeweizen besorgen könnte. Ein richtig schön gekühltes Meckatzer Löwenbräu, na – wie wäre das?!« Horst wusste genau, allein beim Stichwort Hefeweizen und erst recht bei der Erwähnung von Protniks Weizenbier-Lieblingsmarke, die er zu seinem größten Bedauern nur am Bodensee und im Oberland, aber eben nicht in Ulm zu trinken bekam, würde dessen Widerstand schmelzen wie ein Schneemann im Backofen. Genauso war es.

      »Na ja – ich weiß nicht. Ich überleg’s mir mal. Okay.« Die Annäherung kam zögerlich, aber unaufhaltsam. »Also: vielleicht könnte ich es einrichten, sagen wir am Mittwoch. Also Mittwoch könnte eventuell klappen!«

      Blödmann! Als ob der an seinen freien Tagen so von Terminen zugedeckt wäre wie ein Börsenmakler! Aber gut, irgendwie versuchte halt jeder auf seine Weise, das Gesicht zu wahren. »Klasse, Protnik, also abgemacht! Ich ruf dich heute Abend noch mal an und erklär dir, wo du mich dann finden kannst. Toll! Also dann bis Mittwoch und grüß mir meine Lieblingsburg! Sag dem Herbergsvater übrigens einen schönen Gruß von mir, ich müsse unbedingt mal wieder vorbeigucken, ich habe schon regelrechte Entzugserscheinungen – vielleicht klappt’s ja sogar auf der Rückreise am Sonntag!«

      Das Wiedersehen mit der Burg Wildenstein lag in der Tat in greifbarer Nähe, und es sollte viel schneller stattfinden, als Horst es zu diesem Zeitpunkt ahnen konnte.

      Kaum war Horst wieder vom Parkplatz auf den Spätzleshighway eingebogen und hatte sein Fahrzeug beschleunigt, da klingelte das Handy von Neuem. »Scheiß­dinger!«, entfuhr es Horst, der mit der immer mehr um sich grei­fenden Handy-Manie und dem Überall-und-jederzeit-er­reich­bar-sein-können-und-müssen so seine Probleme hatte. »Nirgendwo hat man mehr seine Ruhe!« Missmutig drückte er die grüne Taste an seinem Mobiltelefon. »Meyer!« bellte er unwirsch ins Mikrofon.

      »Hallo, Horst, gut dass ich dich erreicht habe! Hier ist der Thomas!«

      »Ach, du bist es! Na dann ist alles halb so wild!« Horsts schlechte Laune war augenblicklich verflogen. »Ich dachte schon, irgend so ein Depp auf der Direktion meint wieder, er müsse unbedingt etwas wissen, das nicht bis nächste Woche Zeit hat, aber das natürlich auch noch in der übernächsten Woche zu klären wäre. Na gut: Also wenn ich richtig schätze, dann müsste ich in einer guten halben Stunde bei dir sein können. Ich bin nämlich grade schon hinter Geisingen auf der Höhe Hegaublick, und da vorne seh ich ein bisschen was vom See und sogar den Säntis. Meine Güte, ist das ein Panorama heute!« Die Sicht über die Hegauvulkane hinüber zum See und auf die Österreicher und Schweizer Alpen war tatsächlich atemberaubend schön! Das war es, so musste Urlaub im wahrsten Sinn des Wortes aussehen, so musste es sich auch anfühlen: strahlender Sonnenschein und eine wunderschöne Alpensicht, wie man sie nur an einer Handvoll Tagen im Jahr genießen konnte. In Horst machte sich eine euphorische Urlaubsstimmung breit, so wie fast immer, wenn er dem Ziel seiner langersehnten Ferien nahe kam. Die Frage, die sich danach stellte, war freilich immer wieder dieselbe: Hoffentlich hielten die nächsten Tage auch das, was die Ouvertüre in Aussicht gestellt hatte. Und eine solche Wetterlage mit Alpensicht bedeutete Föhn – oft genug schlug dann das Wetter in den kommenden 24 Stunden ins Gegenteil um – oft genug, aber doch sicher nicht diesesmal – oder?

      Doch schon kam der erste Dämpfer: »Du, schön, das freut mich für dich! Aber heute wird’s leider nichts mit unserem Treffen! Ich hab da grade einen saublöden Fall am Hals und ich seh keine Chance, da heute noch ein paar Stunden freimachen zu können!« Die Stimme am Handy klang nicht unbedingt verärgert, sondern eher ziemlich deprimiert. Eigentlich ganz und gar nicht die Art, wie er Thomas Grundler kannte.

      Für einen kurzen Moment stieg in Horst Enttäuschung auf – man sollte den Tag nun mal nicht vor dem Abend loben! »Schade – ich hatte mich schon gefreut, dich mal wieder in der PD zu besuchen, aber was nicht ist, können wir im Lauf der Woche ja vielleicht noch hinbekommen. Also gut, dann fahr ich eben erst mal nach Nußdorf und bring den Wohnwagen auf Vordermann.« Vielleicht auch kein Fehler, erst mal in Ruhe das Terrain zu sondieren, einzukaufen und sich zu entspannen: einfach so in der Sonne zu liegen, mal schnell mit dem Fahrrad (in Frieders Wohnwagen wurde zum Glück eines aufbewahrt) nach Überlingen ins Ostbad zu fahren und es sich dort gut gehen zu lassen. Und morgen war dann ja auch noch ein Tag – zum Tauchen … »Aber das mit dem Tauchen morgen klappt doch, oder? Ich hab extra meine Flasche dabei – die hab ich gestern noch füllen lassen: mit eins a Heilbronner Luft, da werde ich tauchen wie ein Weltmeister!«

      Die Antwort kam zögerlich: »Na ja, ich hoffe schon, dass das klappt! Ich ruf dich heute Abend noch mal an, okay?«

      Das war aber alles andere als beruhigend! »Okay – Dienst ist schließlich Dienst, was soll man da machen? Mach dir keine Gedanken, ist alles halb so wild!« So ein Mist! Da war alles so wunderschön geplant gewesen und jetzt zerplatzte die ganze Geschichte womöglich wie eine Seifenblase!

      Offenbar war ihm die Enttäuschung durch das Handy hindurch anzuhören gewesen. »Glaub bloß nicht, dass mir das recht ist, Horst! Aber ich hab da grade eine elende Geschichte auf dem Schreibtisch, ich sag’s dir, da vergeht einem allmählich das Lachen! Ich kann jetzt am Handy nicht darüber reden, aber ich hoffe, ich bin morgen dann wesentlich weiter und kann endlich einen Knopf an die Chose machen. Also, wie gesagt – ich ruf dich heute Abend an. Tschüss!« Und schon hatte Thomas aufgelegt.

      Verwundert starrte Horst einen Moment lang sein Handy an: So knapp und gehetzt hatte er seinen Kollegen noch nie erlebt! Weder privat noch bei dem einen oder anderen Fall, in dem sie schon zusammengearbeitet hatten, er – Horst – von der Heilbronner Mordkommission aus und Thomas Grundler als Hauptkommissar beim Wirtschaftskontroll­dienst der Polizeidirektion Konstanz.

      Vor lauter Grübeln wäre Horst nun beinahe an der Abzweigung in Richtung Überlingen vorbeigefahren. Mit einem ärgerlichen Fluch lenkte er sein Auto im letzten Moment nach rechts, begleitet von wütendem Hupen des nachfolgenden Wagens, der gerade Gas gegeben hatte und nun durch Horsts überstürztes Lenkmanöver zu einem heftigen Tritt auf die Bremse genötigt wurde. Doch der Kriminalkommissar aus Heilbronn machte keine Anstalten, in eines der berühmt-berüchtigten bundesdeutschen Autobahnduelle mithilfe eindeutig-zweideutiger Zeichensprache einzusteigen; dafür war er im Augenblick viel zu sehr mit dem gerade beendeten Telefongespräch und Thomas Grundlers deprimiertem Tonfall beschäftigt.

      Der Tag im Strandbad Ost von Überlingen war traumhaft schön verlaufen. Urlaub, wie er idealer fast nicht sein konnte, nur – ganz ehrlich – zu zweit, also mit Claudia, wäre alles doch noch viel schöner gewesen. Das gestand sich Horst ehrlicherweise ein, wie er da alleine auf dem Rasen liegend dem bunten Treiben um sich herum im Ostbad zuschaute. Vor allem die Pärchen oder die Familien mit Kindern erinnerten ihn nachdrücklich immer wieder daran, dass er zum Single halt doch nicht geschaffen, sondern in Wirklichkeit – aller ärgerlichen Beteuerungen dann und wann zum Trotz – ein ausgesprochener Familienmensch war, dem allein zu Hause oder im Urlaub recht schnell die Decke selbst da auf den Kopf fiel, wo – wie im Strandbad – gar keine Decke vorhanden war.

      Dennoch, bei solch schönem Wetter am See, auf dem penibel kurz gemähten saftig-grünen Rasen seines Lieb­lings­bades in Überlingen war sich Horst wieder mal bombensicher: Nirgendwo konnte Urlaub schöner sein als am Bodensee – sofern natürlich das Wetter mitmachte. Kein unangenehm schmeckendes Salzwasser im Mund, kein lästiger Sand, der sich in alle Poren setzte, eine picobello gepflegte Anlage mit Süßwasserdusche, Rasen, ein schönes Baderestaurant mit Currywürstchen,

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