"Ich schaffs!" in Aktion. Ben Furman

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      Die folgende Fallbeschreibung veranschaulicht sehr schön, wie sich die oben beschriebenen Schritte in der Praxis umsetzen lassen. Sie stammt von Christine Beuer, die in einem Ehe- und Familienberatungszentrum im bayrischen Donauwörth arbeitet. Sie ist vorrangig in der Paartherapie tätig, wo es natürlich häufig vorkommt, dass Eltern ihr von Problemen mit ihren Kindern erzählen. In solchen Fällen benutzt sie oft »Ich schaffs« – entweder, indem sie die Eltern anleitet, die Methode bei ihrem Kind zu Hause anzuwenden, oder indem sie wie in diesem Fall die Eltern bittet, das Kind zu ihr in die Beratung zu bringen.

      Carla kam mit unterschiedlichen Problemen in die Therapie. Aufgrund ihrer sehr kurzen Aufmerksamkeitsspanne und ihrer ausgeprägten Impulsivität hatte sie die Diagnose ADHS erhalten. Sie war übergewichtig und reagierte so empfindlich auf Kritik, dass sie ständig mit ihren Altersgenossen zankte, sich schließlich immer mehr zurückzog und sich einsam in ihre Gekränktheit verkroch. Zu Hause war sie häufig schlecht gelaunt und schlug immer wieder ihren behinderten kleinen Bruder. Der Schulpsychologe hatte sie in eine Spieltherapie geschickt. Aber nach einer Weile weigerte sie sich, diese fortzusetzen und sagte: »Ich will da nicht mehr hingehen; ich bin doch kein Baby mehr!«

      Ein Kinderpsychiater in der Familienberatung, der Carla getestet hatte, kam zu dem Schluss, dass ihre Konzentrationsprobleme und ihre Impulsivität zu einem derartig störenden Verhalten in der Schulklasse geführt hatten, dass eine medikamentöse Therapie unumgänglich war, wenn man ihr den Verbleib in einer normalen Klasse ermöglichen wollte. Dennoch hatten ihre Eltern die Medikation abgelehnt – mit dem Ergebnis, dass Carla auf einer Sonderschule für Kinder mit Verhaltensproblemen gelandet war. Dort hörten die Probleme natürlich nicht auf. Die Eltern, die immer noch nach einer nichtmedikamentösen Alternative suchten, vereinbarten einen Termin bei Christine, die ihnen die grundlegende Idee von »Ich schaffs« erklärte – also, dass man Probleme in Fähigkeiten verwandeln und den Kindern helfen kann, diese zu erlernen. Die Eltern wollten einen Versuch wagen.

      Als Carla in der kommenden Woche mit ihren Eltern zu ihr kam, merkte Christine, dass sie zu Hause schon einiges an Vorarbeit geleistet hatten. Die Mutter hatte Carla von »Ich schaffs« erzählt, und sie hatten gemeinsam eine Liste von neuen Fähigkeiten ausgearbeitet, die sie möglicherweise bräuchte, um ihre Probleme loszuwerden. Einige Punkte auf der Liste waren: »lernen, Erwachsene ausreden zu lassen, ohne sie zu unterbrechen«, »lernen, mich in der Schule zu melden, wenn ich etwas sagen will«, »lernen, nett zu meinem kleinen Bruder umzugehen«, »lernen, immer länger still zu sitzen« und »lernen, mich besser auf die Schulaufgaben zu konzentrieren«.

      Carla beteiligte sich engagiert an der Diskussion zwischen Christine und ihren Eltern. Sie einigten sich als Erstes auf die Fähigkeit, ihre Neigung zur Impulsivität in Gruppensituationen zu kontrollieren. Sie sollte insbesondere lernen abzuwarten, bis sie an der Reihe ist, bevor sie in Gespräche hereinplatzt oder anderweitig stört. »Ich bin einfach zu ungeduldig«, gab sie zu.

      Als sie sich mit dem Mädchen auf eine passende Fähigkeit geeinigt hatten, war die Basis für »Ich schaffs« gelegt. Aber damit Carla die Fähigkeit auch lernen kann, muss man dafür sorgen, dass sie sich die Fähigkeit zu eigen macht und auch motiviert ist, diese zu meistern.

      »Okay, jetzt haben wir also die Fähigkeit, die du lernen sollst. Was glaubst du, welche Vorteile werden für dich dabei herausspringen, wenn du die Fähigkeit besitzt?«, fragte Christine.

      Carla listete ganz bereitwillig eine Reihe von Vorzügen auf. »Meine Freunde würden mich mehr respektieren, und sie würden wieder lieber mit mir spielen. Vielleicht würde ich sogar ein paar neue Freunde finden«, sagte sie. »Und meine Lehrer müssten mich nicht mehr dauernd ermahnen und mich so oft in die Ecke stellen, und ich könnte besser darauf hören, was sie sagen. Und beim Tanzunterricht würde ich die anderen nicht mehr so oft stören.«

      »Klingt gut. Und wenn du deiner Fähigkeit einen Namen geben solltest, wie würdest du sie nennen?«, fragte Christine. Interessanterweise tun Erwachsene sich oft schwer, wenn sie sich einen Namen für eine Fähigkeit ausdenken sollen, aber für Kinder ist es in der Regel ziemlich leicht.

      »Sie soll ›Wartemelodie‹ heißen«, sagte Carla vergnügt und erklärte, wenn man beim Telefonieren in der Warteschleife lande, würde häufig entspannende Musik abgespielt, damit man sich beim Warten auf das Annehmen des Gesprächs ruhiger fühle.

      Als Christine sie bat, sich eine Kraft-Figur als Erinnerung an ihre Fähigkeit auszusuchen, wählte sie sofort ihr Pferd Cindy, das für seine Geduld bekannt war.

      Carla strahlte, als sie erfuhr, dass man ihre neue Fähigkeit feiern könne. Sie wollte ein Gartenfest haben, zu dem sie ihre Tanzgruppe, ihre Lehrer, Eltern und beide Großmütter einladen wollte. Die Party sollte genau so sein wie die Abendeinladungen, die ihre Eltern für Freunde veranstalteten, mit Drinks und Barbecue. Carlas Eltern versprachen, ihr bei der Organisation einer solchen Party zu helfen, sobald sie ihre Fähigkeit erlernt habe.

      »Du wirst einige Helfer benötigen, um die Wartemelodie-Fähigkeit zu erlernen«, sagte Christine, »wer soll dir also dabei helfen?« Carla wählte Christine, ihre Eltern, beide Großmütter, zwei ihrer Freundinnen, ihre Klassenlehrerin und ihre Tanzlehrerin. In der nächsten Woche fragte sie all diese Personen, ob sie ihr helfen wollten, und sie hat sich sehr gefreut, dass alle gerne dazu bereit waren.

      Zum nächsten Termin lud man Carlas Klassenlehrerin ein. Christine ergriff die Gelegenheit, Carlas Zuversicht zu stärken. Sie bat die Lehrerin, Carla zu sagen, ob sie die Wartemelodie-Fähigkeit ihrer Meinung nach erlernen könne.

      »Natürlich kann sie das lernen«, sagte die Lehrerin. »Es ist noch gar nicht lange her, dass Carla eine ziemlich gute Note in der Mathearbeit geschrieben hat, obwohl Mathe ihr immer so schwergefallen ist.«

      Christine wandte sich an Carlas Eltern: »Wie steht es mit Ihnen? Glauben Sie auch, dass sie es schaffen kann?«

      »Wir glauben, dass du das schaffen kannst«, sagten die Eltern zu Carla, »weil du unsere Tochter bist, und weil wir wissen, dass du ein starkes Mädchen bist.« Carla strahlte vor Freude.

      Nach dieser Vorarbeit half Christine Carla dabei, einen Plan zu schmieden, wie sie die Fähigkeit mit der Unterstützung ihrer Helfer üben kann. Achten Sie darauf, wie Christine sich beim Erarbeiten des Plans einbringt. Es geht darum, dass er nur funktionieren kann, wenn die Ideen, auf denen er aufbaut, überwiegend vom Kind kommen.

      »Sag mir also bitte, wie du die Fähigkeit üben möchtest, abzuwarten, bis du dran bist«, bat Christine. »Was kannst du tun, um in Situationen, in denen du richtig ungeduldig wirst, ruhig abzuwarten?«

      »Ich steck mir ein Bild von Cindy in die Tasche, und ich gucke darauf, wenn ich auf etwas warten muss, und dann stecke ich es erst wieder in die Tasche zurück, wenn ich dran bin«, sagte Carla.

      »Das ist eine tolle Idee, aber wie kannst du daran denken, das zu tun?«, fragte Christine weiter.

      Carla dachte eine Weile nach und sagte dann: »Ich werde daran denken, indem ich zu mir selbst einfach ›Stopp‹ sage.«

      Sie arbeiteten einen Plan aus, nach dem Carla ihr Training in der Schule mit kleinen Schritten beginnen sollte. Sie willigte ein, dass ihre Lehrerin die Klassenkameraden über den Plan informieren würde, damit auch sie sie unterstützen konnten. Sie war auch einverstanden damit, dass die Lehrerin auf ihrem Pult eine Art Tagebuch liegen hatte, in das sie beide Notizen über Carlas Fortschritte eintragen konnten. Auch ihre Mitschüler konnten dort kommentieren, wie Carla zurechtkam.

      »Es gibt noch eine Sache, die wir bedenken müssen, Carla«, sagte Christine, »und zwar: Wie sollen andere dich daran

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