Systemtheorie III: Steuerungstheorie. Helmut Willke

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Systemtheorie III: Steuerungstheorie - Helmut Willke

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wonach jede noch so idiosynkratische Gruppe der Mehrheit die umfassende Berücksichtigung ihrer Besonderheiten aufzwingen kann – jedenfalls semantisch. In der Organisation komplexer Systeme sind viele Details der konkreteren Ebenen auf generalisierteren Stufen der Interaktion irrelevant, oder jedenfalls nicht unabdingbar wichtig. Der Aufbau organisierter Komplexität ist nur möglich, wenn die Dynamik und Varianz der konkreteren Ebenen durch Restriktionen der Relevanzgesichtspunkte kontrolliert und in vereinfachte Formen der Interaktion von Subsystemen gezwungen wird. In der naturwissenschaftlichen Theorie der Komplexität wird dies als Prinzip des »optimum loss of detail« bezeichnet:

      »The principle states that hierarchical control appears in collections of elements within which there is some optimum loss of the effects of detail. Many hierarchical structures will arise from the detailed dynamics of the elements, as in the formation of chemical bonds, but the optimum degree of constraint for hierarchical control is not determined by the detailed dynamics of the elements. … hierarchical controls arise from a degree of[27] internal constraint that forces the elements into a collective, simplified behavior that is independent of selected details of the dynamical behavior of its elements« (Pattee 1973, S. 93).

      Mit der Unterscheidung von direkter, symbolischer und systemischer Interaktion bietet Etzioni ein leicht nachvollziehbares Konzept für die Erklärung der nach wie vor höchst umstrittenen Frage, wie nicht individuelles, kollektives oder systemisches Kommunizieren und Handeln vorstellbar sein soll. Er zeigt auf, dass das Handeln von Systemen über die Figur der Repräsentativität nicht nur möglich und normal, sondern eben für komplexe Gesellschaften und ihre Makrodynamik besonders bedeutsam ist.

      Diese frühen Hypothesen Etzionis sind in der nachfolgenden langjährigen Diskussion um die Theorie des Neokorporatismus eindrucksvoll bestätigt worden (Schmitter 1983; Willke 1983, Kap. 4). In korporatistischen Verhandlungssystemen, wie z. B. konzertierten Aktionen, kommunizieren die Vertreter von korporativen Systemen mit Wirkung für ihre Systeme und mit sozietalen Wirkungen, eben weil sie nicht als individuelle Personen, sondern als Repräsentanten von Systemen agieren. An diesen Fällen lassen sich auch einige der Konsequenzen systemischer Kommunikation gut beobachten: Entgegen naiven Vorstellungen von Kommunikation und Handeln kommt es für die Inhalte der systemischen Interaktion nicht nur – und heute vielleicht nicht einmal mehr vorrangig – auf die Intentionen oder Interessen der beteiligten Individuen an, sondern auch auf die Gesetzmäßigkeiten der Operationsweise der betroffenen handlungsfähigen und interessierten Sozialsysteme (siehe auch Systemtheorie II, Kap. 4.2).

      Dass die systemische Interaktion korporativer Akteure zum Normalfall gesellschaftlich relevanter Kommunikationen geworden ist, bedeutet allerdings nicht, dass die beteiligten Organisationen sich automatisch an einem übergeordneten Systeminteresse, etwa am öffentlichen Interesse oder am Gemeinwohl orientieren. Vielmehr ergibt sich, wie Renate Mayntz betont (1993, S. 52), eine Mehrebenenstruktur der Kommunikation, in welcher mehr oder weniger bornierte Partialinteressen und aufgeklärte, reflexive (und in diesem Sinne gemeinwohlorientierte) Interessen durcheinanderlaufen. Häufig kommt es in Großorganisationen, seien dies Unternehmen, Gewerkschaften oder Parteien, zu einem Konflikt zwischen eng und kurzfristig definierten Maximierungsinteressen einerseits und stärker fachlich und professionell orientierten mittelfristigen Optimierungsinteressen andererseits. Letztere ermöglichen eher Koalitionsbildungen, Verhandlungen, Kooperationen, Allianzen etc. Sie sind deshalb steuerungstheoretisch und -praktisch besonders interessant.

      [28]Ein dritter zentraler Aspekt des Steuerungsmodells der aktiven Gesellschaft ist die Fähigkeit zur Selbsttransformation sozialer Systeme, die über Homöostase und Ultrastabilität hinausgeht, indem sie Selbstthematisierung und Selbstbeschreibung (ausführlicher zu diesen Begriffen Systemtheorie I, Kap. 5.1) einschließt.

      »A societal unit has transformability if it also is able to set – in response to external challenges, in anticipation of them, or as a result of internal developments – a new self-image which includes a new kind and level of homeostasis and ultra-stability, and is able to change its parts and their combination as well as its boundaries to create a new unit. This is … an ability to design and move toward a new system even if the old one has not become unstable.« (Etzioni 1971, S. 121, Hervorhebungen im Text).

      Etzioni sieht klar, dass die Fähigkeit zur Selbsttransformation mehr voraussetzt als bloße Anpassung an Umweltbedingungen oder -veränderungen. Die Ausbildung einer alternativen systemischen Identität ist ein intern ausgelöster Prozess, der auf interne Bedingungen des Systems antwortet. Also muss die betreffende soziale Einheit in der Lage sein, als System ihre internen Bedingungen zur Kenntnis zu nehmen und mit Blick auf alternative Realitäten Veränderungsprozesse abzuwägen und in Gang zu setzen.

      Auf der anderen Seite verändert die Fähigkeit sozialer Systeme zur Selbsttransformation grundlegend die Bedingungen, unter denen das politische System einer Gesellschaft arbeitet. Denn Selbsttransformation setzt die operative Autonomie des Systems voraus. Systemtheoretische Überlegungen haben sehr viel genauer spezifiziert, was unter operativer Autonomie eines Sozialsystems zu verstehen ist. Ein System erreicht Autonomie, wenn es auf der Grundlage einer selbstreferenziellen Operationsweise sich selbst steuert und spezifische, durch seinen Kommunikationscode und seinen Operationsmodus vorgezeichnete Umweltbeziehungen unterhält. Es ist dann autonom in dem Sinne, dass es nach Maßgabe seines eigenen Codes operiert und in dieser Tiefenstruktur seiner Selbststeuerung von seiner Umwelt unabhängig ist (siehe Systemtheorie I, Kap. 3 und Systemtheorie II, Kap. 4.1).

      Für hochdifferenzierte, komplexe Gesellschaften ist festzuhalten, dass Teilsysteme wie Politik, Ökonomie, Wissenschaft, Erziehung, Gesundheitswesen, Unterhaltungs- und Pop-Kultur, Recht, Sport etc. jeweils inzwischen hochkomplexe, selbstreferenzielle Systeme geworden sind. Ihre Operationsweise als soziale Systeme, d. h. die Strukturregeln und -muster der in ihnen ablaufenden Kommunikationen, richtet sich primär an internen Konditionalitäten aus und erst darauf aufbauend und nachrangig an externen Bedingungen. Die Operationsweise eines spezialisierten Systems gehorcht in erster Linie der Logik dieses Systems selbst; es kommt zu einer zirkulären Vernetzung seiner[29] Operationen, zu einer »basalen Zirkularität« (Maturana), nach welcher das System auf sich selbst reagiert, sich selbst Probleme schafft und nur nach Maßgabe der Logik seiner Selbststeuerung aus externen »Ereignissen« Informationen ableiten kann. So reagiert etwa das ökonomische System sensibel auf Schwankungen der Geldmenge oder der Inflationsrate, nicht aber auf eine Millionenzahl von Arbeitslosen, weil Letztere kein relevantes wirtschaftliches Datum darstellen. So reagiert das politische System sehr genau auf spezifisch politische Daten wie etwa Wahltermine, Wählerwanderungen oder neue korporative Akteure, aber nur sehr träge auf »objektiv« drängende Problemlagen wie etwa Überrüstung, Umweltzerstörung oder technologische »Restrisiken«, da diese nicht unmittelbar politische Relevanzkriterien ansprechen.

      Entgegen dieser zu beobachtenden Selbstreferenz und Selbstbeschränkung funktional spezialisierter Teilsysteme gehen gegenwärtige Theorien des Staates, des Rechts und der Politik immer noch von einem expansiven Politikverständnis aus. Dieses weist der Politik die hierarchische Spitze und mithin den Steuerungsprimat in der Gesellschaft zu. Die Politik als Teil ist für das Ganze der Gesellschaft verantwortlich und soll deshalb in der Lage sein, gesellschaftliche Teilbereiche in direktem Zugriff zu steuern. Eine entsprechende Auffassung des gegenwärtigen Wohlfahrts- und Interventionsstaates betont aus diesem Grund die Fähigkeit von Staat und Recht, von außen her innerhalb der jeweiligen Bereiche bestimmte Wirkungen zu erzielen.

      Nimmt man dagegen den Primat funktional differenzierter Teilsysteme in modernen Gesellschaften ernst und interpretiert ihn in diesem Sinne als die Ausbildung selbstreferenzieller Funktionssysteme für Teilaspekte des gesellschaftlichen Kommunikationszusammenhangs, dann lassen sich mit einer präziseren Fassung der Voraussetzungen und Folgen funktionaler Differenzierung und operativer Autonomie auch die Idee der aktiven Gesellschaft und ihr Steuerungsproblem präzisieren.

      Wenn Veränderungen, Reformen, Strukturwandel etc. in erster Linie innere Angelegenheiten der

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