Schulverweigerung als Entwicklungschance?. Johanna Kiniger

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Schulverweigerung als Entwicklungschance? - Johanna Kiniger Verlag für systemische Forschung

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Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland 2018, o. S.) belegt, dass 20,2 % der unter 18-Jährigen zur Risikogruppe „psychische Auffälligkeiten“ gehört (vgl. Klipker/ Baumgarten et al. 2018, S. 37 ff.).

      Für Groeben haben dauerhafte Versagenserlebnisse schädigende Auswirkungen auf die kindliche bzw. jugendliche Psyche (negatives Selbstkonzept und negative schulische Einstellung) sowie auf die Motivation. Ihrer Meinung nach ist es heutzutage von Schulen zu erwarten, dass die Kinder und Jugendlichen bedarfsgerechte und differenzierte Unterstützungsangebote erhalten, sodass jene Fach-, Sozial- und Selbstkompetenzen ausgebildet werden, die für ein selbstbestimmtes Leben und eine partizipierende Daseinsentfaltung benötigt werden (vgl. Groeben 2011, S. 14 ff.).

      Voraussetzung hierfür ist die Passung als Leitziel. Bohnsack spricht von einer unzureichenden „[…] Passung von Institution und Klientel und der mangelhaften ‚Passung‘ von Lerngleichschritt und individuellen Lernmöglichkeiten, Interessen und Bedürfnissen“ (Bohnsack 2013, S. 35).

      Für Bohnsack stellt die Schule in ihrer jetzigen Form eine Gefahr für Versagen dar. Die Destabilisierung eines Kindes oder Jugendlichen durch Versagen gehört aufgrund der strukturellen Gegebenheiten zur Regelschule dazu (vgl. Bohnsack 2013, S. 238).

      Die Schule verliert durch fehlende Passung viele Schüler. Sie verlieren die Freude am schulischen Tun, sehen keinen Sinn im Lernen und im Erkennen die persönliche Bedeutung von Lernhandlungen nicht (vgl. Helmke 1993 S. 77 ff.).

       3.5 INTERDISZIPLINÄRER FORSCHUNGSZUGANG

      Die theoretische Verankerung des Themas Schulverweigerung ist in der Wissenschaft noch nicht geklärt (vgl. Wagner 2007, S. 239 ff.).

      Dies hängt mit der Komplexität des Phänomens zusammen. Die Thematik tangiert die Disziplinen Sozialpädagogik, Pädagogik, Psychologie, Soziologie sowie Politikwissenschaft. Darum können die Bearbeitung und Auseinandersetzung mit dem Phänomen nur interdisziplinär erfolgen (vgl. Fahrenholz 2015, S. 17).

       3.6 AKTUELLE STUDIEN

      Die Anzahl der Studien weist darauf hin, dass das Interesse am Thema ab der Mitte der Neunzigerjahre stark angestiegen ist. Das Phänomen Schulverweigerung wird sowohl in der Forschung als auch in der breiteren Öffentlichkeit zunehmend verstärkt analysiert und diskutiert. Aufgrund der unterschiedlichen Erhebungsmethoden können die Ergebnisse der Studien jedoch nur bedingt verglichen werden (vgl. Goethe 2015, S. 75).

       3.6.1 Studien über Mehrfachschwänzer*innen (2007–2012)

      Studien aus Deutschland und der Schweiz, die im Zeitraum von 2007 bis 2012 durchgeführt wurden, ergaben, dass durchschnittlich 5–20 % der befragten Schüler*innen

      Mehrfachschwänzer*innen, d. h. Schüler*innen die in einem Schulhalbjahr 5 Tage oder mehr schwänzen, sind (vgl. Speck 2017, S. 11).

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      Abb. 3: Ausgewählte Zahlen zum Schulabsentismus (nach Speck 2017, S. 11)

       3.6.2 Explorative Pilotstudie (2016) Häufigkeit und Begründungen für Fehlzeiten

      In einer explorativen Pilotstudie (Juni 2016) wurde die Auftrittshäufigkeit von Schulschwänzen, der angstbedingten Schulverweigerung und der Zurückhaltung durch Eltern untersucht. An der schriftlichen Fragebogenerhebung beteiligten sich 872 Schüler*innen aus drei niedersächsischen Sekundarschulen. 75 % der Befragten räumten ein, unautorisierte Fehlzeiten im Laufe des vergangenen Schulhalbjahres aufzuweisen. 66 % sprachen von unautorisierten Fehlzeiten, die in die Kategorie Schulschwänzen fallen. Jeder Dritte gab an, gelegentlich aus Angst (Prüfungsangst, Angst vor Schülern und Lehrpersonen u. a.), die Schule zu verweigern. 40 % der Befragten bestätigten, manchmal den Unterricht zu versäumen, weil sie in der Familie eine pflegende Tätigkeit übernehmen oder die Eltern das Kind oder den Jugendlichen zurückhalten (vgl. Rogge/Koglin 2018, S. 49).

      Von den 788 Befragten gab nur jeder Vierte an, einzig aus Krankheitsgründen im vergangenen Schuljahr gefehlt zu haben. 55 % der Kinder und Jugendlichen bestätigten, manchmal nicht krankheitsbedingt gefehlt zu haben. 3,2 % der Befragten gaben an, dass ihre Abwesenheit im Unterricht nie gesundheitliche Ursachen hatte. Als Gründe für die Abwesenheit im Unterricht nannten diejenigen, die zu den Verhaltensmustern der Schulschwänzer zählen, folgendes: Müdigkeit (31 %), Schulunlust (38,3 %), der Unterricht ist langweilig (34,2 %), eine Abneigung gegen Unterrichtsfächer (28,3 %), Hobbys nachgehen (18,8 %), schlechter Unterricht (18,6 %), zu geringe Beachtung von den Lehrpersonen (17,7%), häufiges Fehlen der Lehrpersonen (16,8 %), der Unterrichtsbesuch ist sinnlos (13,6 %) (vgl. Rogge/Koglin 2018, S. 55 ff.).

       3.6.3 Pisa Studie (Programme for International Student Assessment) 2012: Vergleich der Studienergebnisse Europäischer Staaten

      Das Wirtschaftsprogramm der Europäischen Union – Europa 2020 – beinhaltet das Ziel, den Schulabsentismus zu reduzieren. Deshalb sind alle Mitgliedstaaten dazu aufgerufen, Präventions- und Interventionsmaßnahmen sowie Kompensationsprogramme zu initiieren und umzusetzen. Seit 2010 werden nationale Konzepte und Umsetzungsstrategien entwickelt, um das vorgegebene Ziel zu erreichen (vgl. Sälzer 2016, S. 3).

      Die jüngsten Ergebnisse der Pisa-Studie 2012 belegen, dass das Phänomen Schulabsentismus in allen OECD-Staaten auftritt. Vergleicht man jedoch die Studien-Ergebnisse der einzelnen Staaten, so fällt auf, dass besonders in jenen Mitgliedsstaaten, deren durchschnittliches Kompetenzniveau niedrig ist, besonders massiv geschwänzt wird. Die Differenzierung des Ausmaßes (Schwänzen einzelner Unterrichtsstunden, Zu-spät-Kommen oder ganzer Tage schwänzen) ist wichtig, weil die Studienergebnisse hierzu unterschiedlich ausfallen. Nachfolgend ein Überblick über ausgewählte europäische Staaten zum Bereich „ganze Tage schwänzen“: 28% der Schüler*innen schwänzen in Spanien ganze Schultage, in Finnland sind es 10,4% in Österreich 8%, in Schweden 7,2%, in Deutschland 5,2% und in der Schweiz 5,0% (vgl. Sälzer 2016, S. 6 ff.).

      Schulabsentismus in Europa: Zu spät kommen

Staat Prozentuale Häufigkeit
Österreich. 20,9%
Deutschland 22,7%
Schweiz 24,3%
Spanien 35,3%
Finnland 43,0%
Schweden 45,6%

      Abb. 4: Ergebnisse Pisa-Studie 2012 (nach Sälzer 2018, S. 14)

      Schulabsentismus in Europa: Einzelne Stunden schwänzen

Staat

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