Staatsrecht III. Hans-Georg Dederer

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rel="nofollow" href="#ulink_61465be2-6c32-5718-9010-866c67185046">Rn 186) – besteht hinsichtlich der Vorrangschranke sog. „ausbrechender“ bzw. „ultra vires“ ergangener Rechtsakte.

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      Da die EU Kompetenzen nur im Rahmen des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung (Rn 617 ff), übertragen bekommen hat und daher auch keine Kompetenz-Kompetenz besitzt (Rn 126), stellt sich bei Handlungen der EU jeweils die Frage nach der Einhaltung des Prinzips und damit der Kompetenzverteilung zwischen EU und Mitgliedstaaten. Sollte es sich um eine kompetenzwidrige Handlung, etwa in Form eines Rechtsakts handeln, so wäre dieser „ultra vires“ als sog. „ausbrechender“ Rechtsakt ergangen.

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      Für derartige Fälle hat das BVerfG im Maastricht-Urteil entschieden, dass solche Rechtsakte nicht mehr vom deutschen Zustimmungsgesetz gedeckt sind. Das gilt insbesondere auch für Rechtsakte der EU, die auf einer wesentlichen Änderung des im EUV angelegten Integrationsprogramms basieren, weil sie die Grenzen der Vertragsauslegung überschreiten und deshalb eigentlich eine Vertragsänderung voraussetzen. Sie entfalten als Ultra-vires-Akte gleichfalls keine Bindungswirkung für die Bundesrepublik und dürfen von deutschen Staatsorganen nicht angewendet werden (BVerfGE 89, S. 155 ff, 188, 195, 210). Bei solchen Akten liege sowohl eine Verletzung des Rechtsstaatsprinzips (fehlende Kompetenzgrundlage, auch unter Berücksichtigung des Subsidiaritätsprinzips, s. Rn 197) als auch des Demokratieprinzips (fehlende parlamentarische Zustimmung) vor. Letzteres könne unter dem Aspekt des Art. 38 Abs. 1 GG mit der Verfassungsbeschwerde und anderen Verfahren (s. BVerfGE 123, S. 267 ff, 353 f) vor dem BVerfG geltend gemacht werden.

      197

      Das BVerfG nennt dabei auch ausdrücklich das Subsidiaritätsprinzip, das in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 EUV verankert ist. Über die Ultra-vires-Kontrolle prüft das BVerfG somit nicht nur, ob die Unionsorgane ihre Kompetenzen also solche eingehalten haben, sondern auch, ob etwaige Schranken für die Kompetenzausübung, namentlich das Subsidiaritätsprinzip, beachtet wurden.

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      Dieses Prinzip wird im Protokoll Nr 2 zum EUV, zum AEUV und zum EAGV über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit (Subsidiaritätsprotokoll, ABl. 2016, C. 204, S. 1 ff, 206 ff [konsolidierte Fassung]) verfahrensrechtlich abgesichert. Nach diesem Prinzip wird die EU im Rahmen ihrer nicht-ausschließlichen Zuständigkeiten (s. Rn 623 ff) nur tätig, sofern und soweit die Ziele der geplanten Maßnahmen nicht ausreichend von den Mitgliedstaaten auf ihrer zentralen, regionalen oder lokalen Ebene (Negativkriterium), sondern vielmehr wegen ihres Umfangs und ihrer Wirkungen besser auf Unionsebene (Positivkriterium) verwirklicht werden können. Es handelt sich also um ein kompetenzbeschränkendes Prinzip, da die Ausübung einer an sich der EU zustehenden Kompetenz nur unter bestimmten Voraussetzungen von dieser auch tatsächlich ausgeübt werden darf.

      199

      

      Die Auslegung von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 EUV ist umstritten. Insbesondere ist unklar, ob die EU erst zuständig sein soll, wenn ihr Handeln erforderlich ist, oder schon dann, wenn sie effizienter handeln könnte, als die Mitgliedstaaten. Die bisherige Rechtsprechung des EuGH ist diesbezüglich nicht besonders aussagekräftig. Das könnte sich in Zukunft ändern, da es wegen der durch den Vertrag von Lissabon eingeführten Möglichkeiten der Subsidiaritätsrüge und der Subsidiaritätsklage (Art. 5 Abs. 3 Unterabs. 2 Satz 2 EUV, Art. 6 und Art. 7 bzw Art. 8 Abs. 1 des Subsidiaritätsprotokolls, s. Rn 630 ff) vermehrt zur Überprüfung der Einhaltung des Prinzips insbesondere durch den EuGH kommen kann. Freilich ist zu bedenken, dass das Subsidiaritätsprinzip einen nur begrenzt justiziablen Prüfungsmaßstab abgibt, was dafür sprechen könnte, dass der EuGH seine Kontrolldichte bei der Prüfung eines Verstoßes gegen das Subsidiaritätsprinzip tendenziell eher zurücknehmen dürfte (s. Rn 637). Gleiches dürfte für das BVerfG gelten, wenn es im Rahmen einer Ultra-vires-Kontrolle das Subsidiaritätsprinzip tatsächlich einmal heranziehen sollte.

      200

      

      Im Lissabon-Urteil vom 30. Juni 2006 hat das BVerfG bestimmt, dass für die verbindliche Feststellung des Vorliegens eines Ultra-vires-Falles innerhalb der deutschen Staatsorganisation nur es selbst und allein zuständig sei, und dass es daher das Kontrollmonpol habe (BVerfGE 123, S. 267 ff, 354). Das BVerfG beansprucht dieses Kontrollmonopol zum Schutz der Funktionsfähigkeit der Unionsordnung und stützt sich hierzu auf die Europarechtsfreundlichkeit des GG (s. dazu Rn 251 ff).

      201

      Über die Europarechtsfreundlichkeit begründet sich sodann auch die Zurückhaltung des BVerfG bei der Ausübung der Ultra-vires-Kontrolle. So hat es im Lissabon-Urteil bereits festgestellt, dass eine Ultra-vires-Kontrolle nur dann in Betracht komme, wenn es sich um „ersichtliche Grenzüberschreitungen bei Inanspruchnahme von Zuständigkeiten durch die Europäische Union“ handle (BVerfGE 123, S. 267 ff, 353). Was damit gemeint ist, hat das BVerfG im Honeywell-Beschluss vom 6. Juli 2010, in dem es um Altersdiskriminierung im deutschen Arbeitsrecht ging, konkretisiert und Folgendes ausgeführt (BVerfGE 126, S. 286 ff, 304):

      „Das bedeutet für die vorliegend in Rede stehende Ultra-vires-Kontrolle, dass das Bundesverfassungsgericht die Entscheidungen des Gerichtshofs grundsätzlich als verbindliche Auslegung des Unionsrechts zu beachten hat. Vor der Annahme eines Ultra-vires-Akts der europäischen Organe und Einrichtungen ist deshalb dem Gerichtshof im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV die Gelegenheit zur Vertragsauslegung sowie zur Entscheidung über die Gültigkeit und die Auslegung der fraglichen Rechtsakte zu geben. Solange der Gerichtshof keine Gelegenheit hatte, über die aufgeworfenen unionsrechtlichen Fragen zu entscheiden, darf das Bundesverfassungsgericht für Deutschland keine Unanwendbarkeit des Unionsrechts feststellen …

      Eine Ultra-vires-Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht kommt darüber hinaus nur in Betracht, wenn ersichtlich ist, dass Handlungen der europäischen Organe und Einrichtungen außerhalb der übertragenen Kompetenzen ergangen sind … Ersichtlich ist ein Verstoß gegen das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung nur dann, wenn die europäischen Organe und Einrichtungen die Grenzen ihrer Kompetenzen in einer das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung spezifisch verletzenden Art überschritten haben (Art. 23 Abs. 1 GG), der Kompetenzverstoß mit anderen Worten hinreichend qualifiziert ist … Dies bedeutet, dass das kompetenzwidrige Handeln der Unionsgewalt offensichtlich ist und der angegriffene Akt im Kompetenzgefüge zwischen Mitgliedstaaten und Union im Hinblick auf das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung und die rechtsstaatliche Gesetzesbindung erheblich ins Gewicht fällt …“

      202

      

      Außerdem weist das BVerfG ausdrücklich darauf hin, dass eine Ultra-vires-Kontrolle, „soll das supranationale Integrationsprinzip nicht Schaden nehmen“, zurückhaltend

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