Staatsrecht III. Hans-Georg Dederer

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Staatsrecht III - Hans-Georg Dederer Schwerpunkte Pflichtfach

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ist dagegen die gerichtliche Kontrollintensität noch offen. Allerdings zeichnen sich insoweit Annäherungen an die Ultra-vires-Kontrolle ab. So hat das BVerfG auch für die Identitätskontrolle angenommen, dass zunächst der EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens (Art. 267 AEUV) einzuschalten ist (BVerfGE 134, S. 366 ff, 385; 140, S. 317 ff, 339: „[s]oweit erforderlich“).

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      Dogmatisch lassen sich die drei Kontrollinstrumente (Grundrechts-, Ultra-vires- und Identitätskontrolle) einheitlich auf den Schutz der Verfassungsidentität (Art. 79 Abs. 3 GG) zurückführen. Grundrechtskontrolle- und Ultra-vires-Kontrolle sind somit nichts anderes als Konkretisierungen der Identitätskontrolle. Die Grundrechtskontrolle hat das BVerfG bereits im Solange I-Beschluss aus der „Identität der geltenden Verfassung“ heraus beansprucht. „(U)naufgebbares, zur Verfassungsstruktur des Grundgesetzes gehörendes Essentiale“ sei der „Grundrechtsteil des Grundgesetzes“ (BVerfGE 37, S. 271 ff, 279 f), jedenfalls (so im Solange II-Beschluss) die jenem GG-Abschnitt zugrunde liegenden „Rechtsprinzipien“ (BVerfGE 73, S. 339 ff, 375 f). Zur Verfassungsidentität gehört aber auch die „souveräne Staatlichkeit Deutschlands“ (BVerfGE 123, S. 267 ff, 343). Diese „souveräne Verfassungsstaatlichkeit“ muss dabei „nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung … gewahrt bleib(en)“ (BVerfGE 123, S. 267 ff, 347). Das BVerfG habe die Pflicht, „im Rahmen seiner Zuständigkeit“ zu prüfen, ob dieses Prinzip eingehalten wird (BVerfGE 123, S. 267 ff, 350). Dem dient die Ultra-vires-Kontrolle (BVerfGE 123, S. 267 ff, 353 f). Die gemeinsame Herleitung aller drei Kontrollinstrumente aus dem Schutz der Verfassungsidentität spricht für eine Vereinheitlichung der Prüfungsmaßstäbe (s. Dederer, JZ 2014, S. 313 ff, 316 ff).

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      Zum Grundsatz der „Europarechtsfreundlichkeit“ des GG s. Rn 251 ff.

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      Lösung Fall 4 (Rn 108):

      I. Zulässigkeit (Art. 100 Abs. 1 GG, § 13 Nr 11, §§ 80 ff BVerfGG)

       1. Vorlagegegenstand

      Vorlagegegenstand im Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG ist nach hL und ständiger Rechtsprechung des BVerfG grundsätzlich nur ein förmliches, nachkonstitutionelles deutsches Gesetz. Im Falle von Verordnungen lässt das BVerfG davon eine Ausnahme zu (s. Rn 172). Demzufolge handelt es sich um einen zulässigen Vorlagegegenstand.

       2. Vorlageberechtigung

      Es muss sich bei dem vorlegenden Gericht um ein Gericht iSv Art. 92 GG handeln. Dies ist bei einem Verwaltungsgericht der Fall.

      3. Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit

      Das vorlegende Gericht muss von der Verfassungswidrigkeit der vorgelegten Norm überzeugt sein. Zweifel genügen nicht. Laut Sachverhalt kann man davon ausgehen, dass das Verwaltungsgericht, da es die Ansicht der Klägerin teilt, von der Verfassungswidrigkeit der Verordnung überzeugt ist.

      4. Entscheidungserheblichkeit

      Die Vorlage ist nur zulässig, wenn die vorgelegte Norm entscheidungserheblich ist, wenn daher die Entscheidung des vorlegenden Gerichts bei Nichtigkeit der vorgelegten Norm anders ausfallen würde als bei deren Gültigkeit. Die Verordnung ist für das Verwaltungsgericht entscheidungserheblich. Bei deren Nichtigkeit müsste es der Klage stattgeben, bei deren Gültigkeit müsste es die Klage abweisen.

       5. Form

      Die Form der Vorlage richtet sich nach § 80 Abs. 2, § 23 Abs. 1 BVerfGG. Laut Sachverhalt erfolgte die Vorlage formgerecht.

      6. Auflösend bedingte Unzulässigkeit der Vorlage von Verordnungen

      Das BVerfG hat die Vorlage von Verordnungen der Europäischen Gemeinschaft (jetzt auf Verordnungen der EU übertragbar) im Solange II-Beschluss jedoch deswegen für unzulässig erklärt, weil (und solange) der durch die EU gewährte Grundrechtsschutz dem vom Grundgesetz gebotenen Grundrechtsschutz im Wesentlichen gleichzuachten ist. Diese durch den „Solange-Vorbehalt“ auflösend bedingte „Zulässigkeitsvoraussetzung“ ist nur durch die Eigenheit der Materie bzw die dazu ergangene Rechtsprechung des BVerfG zu erklären, sodass das „herkömmliche“ Prüfungsschema für Vorlagen nach Art. 100 Abs. 1 GG diesen Punkt nicht vorsieht. Genau betrachtet handelt es sich auch nicht um eine Frage der Zulässigkeit, sondern um eine Art Begründetheitsprüfung auf der Zulässigkeitsebene, die am ehesten mit der Nichtannahme einer Verfassungsbeschwerde bei mangelnder Erfolgsaussicht oder offensichtlicher Unbegründetheit vergleichbar ist. Jedenfalls ist der Grundrechtsschutz durch die EU zurzeit noch „im wesentlichen gleichzuachten“. Dies ergibt sich aus der Rechtsprechung des EuGH zu den Grundrechten der Berufsfreiheit und des Eigentums sowie aus den Artikeln 15 und 17 der Charta der Grundrechte (s. Rn 593 ff). Die Vorlage ist daher unzulässig.

      II. Begründetheit (entfällt)

      Ergebnis: Das BVerfG wird die Vorlage für unzulässig erklären.

      § 2 Völkerrecht, Europarecht und nationales Recht › B. Europarecht und nationales Recht › IV. Literatur

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      S. Rn 614; Bäcker, Solange IIa oder Basta I? – Das Vorratsdaten-Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus europarechtlicher Sicht, EuR 2011, S. 103 ff; Beljin, Wann muss ein Verstoß gegen die Grundfreiheiten beseitigt werden?, NVwZ 2008, S. 156 ff; Berger, Anwendungsvorrang und nationale Verfassungsgerichte, 2015; Brodowski, Die drohende Verletzung von Menschenrechten bei der Anerkennung Europäischer Haftbefehle auf dem Prüfstand: Die zweifelhafte Aktivierung der Verfassungsidentität durch das BVerfG und eine Kurskorrektur in der Rechtsprechung der EuGH, JR 2016, S. 415 ff; Burchardt, Die Rangfrage im europäischen Normenverbund. Theoretische Grundlagen und dogmatische Grundzüge des Verhältnisses von Unionsrecht und nationalem Recht, Tübingen 2015; dies., Kehrtwende in der Grundrechts- und Vorrangrechtsprechung des EuGH? Anmerkung zum Urteil des EuGH vom 5.12.2017 in der Rechtssache M.A.S. und M.B. (C-42/17, Taricco II“) EuR 2018, S. 248 ff; Calliess, Die europarechtliche Ultra-Vires-Kontrolle des Bundesverfassungsgerichts – Stumpfes Schwert oder Gefahr für die Autorität des Unionsrechts?, in: FS Stein, S. 446 ff; ders./Ruffert (Hrsg.), Verfassung der Europäischen Union – Kommentar der Grundlagenbestimmungen, 5. Aufl., München 2016; Classen, Europäische Rechtsgemeinschaft à lʼallemande? Anmerkung zum Urteil des BVerfG vom 21.6.2016, 2 BvR 2728/13 ua, EuR 2016, S. 529 ff; ders., Zuviel des Guten? Unionsrechtliche Neuakzentuierungen beim Grundrechtsschutz, JZ 2019, S. 1057 ff; ders., Innere oder äußere Souveränität? – Zum Verständnis der Übertragung von Hoheitsrechten, DÖV 2018, S. 253 ff; von Danwitz, Subsidiaritätskontrolle in der Europäischen Union, in: FS Sellner, S. 3 ff; Dederer, Die Grenzen des Vorrangs des Unionsrechts – Zur Vereinheitlichung von Grundrechts-, Ultra-vires- und Identitätskontrolle, JZ 2014, S. 313 ff; Dietz, Die europarechtsfreundliche Verfassungsidentität in der Kontrolle

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