Staatsrecht III. Hans-Georg Dederer

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Integration (Art. 23 GG) festgelegt. Das Grundgesetz hat den allgemeinen Regeln des Völkerrechts Vorrang vor dem einfachen Gesetzesrecht eingeräumt (Art. 25 Satz 2 GG) und das Völkervertragsrecht durch Art. 59 Abs. 2 GG in das System der Gewaltenteilung eingeordnet. Es hat zudem die Möglichkeit der Einfügung in Systeme gegenseitiger kollektiver Sicherheit eröffnet (Art. 24 Abs. 2 GG), den Auftrag zur friedlichen Beilegung zwischenstaatlicher Streitigkeiten im Wege der Schiedsgerichtsbarkeit erteilt (Art. 24 Abs. 3 GG) und die Friedensstörung, insbesondere den Angriffskrieg, für verfassungswidrig erklärt (Art. 26 GG). Mit diesem Normenkomplex zielt die deutsche Verfassung, auch ausweislich ihrer Präambel, darauf, die Bundesrepublik Deutschland als friedliches und gleichberechtigtes Glied in eine dem Frieden dienende Völkerrechtsordnung der Staatengemeinschaft einzufügen.“

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      Oberstes Ziel dieser Einordnung in die europäische und internationale Rechts- und Staatengemeinschaft ist die Friedenssicherung. Dieses Friedensbekenntnis des GG findet seinen weiteren Ausdruck in Art. 26 GG, insbesondere im Aggressionsverbot des Art. 26 Abs. 1 GG (s. Rn 1321 f).

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      Die Offenheit deutscher Staatlichkeit besteht aber nicht nur nach außen gegenüber Europa und der Welt. Sie ist vielmehr auch nach innen gewendet im Sinne einer Absicherung der rechtlichen Wirkungen des Völker- und Europarechts im innerstaatlichen Bereich. Ausdruck des verfassungsrechtlichen Willens, dem Völker- und Europarecht auch innerstaatlich praktische Wirksamkeit zu verschaffen, sind Art. 1 Abs. 2, Art. 9 Abs. 2, Art. 16 Abs. 2 Satz 2, Art. 23 Abs. 1, Art. 24, Art. 25, Art. 26 Abs. 1, Art. 59 Abs. 2 GG.

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      „Offene Staatlichkeit“ ist daher unter dem GG gerade auch dadurch gekennzeichnet, dass einem elementaren Grundsatz des Rechtsstaatsprinzips Geltung verschafft wird, der Herrschaft des Rechts (rule of law) über alle staatliche Gewalt. Dieser Grundsatz wird durch die vorbezeichneten Normen um die europäische und internationale Dimension erweitert: Die deutsche Staatsgewalt wird danach auch innerstaatlich unter die Herrschaft des Völker- und Europarechts gestellt. Für das Völkerrecht hat das BVerfG diesen Gedanken so formuliert (BVerfGE 112, S. 1 ff, 24 f):

      „Die deutschen Staatsorgane sind gemäß Art. 20 Abs. 3 GG an das Völkerrecht gebunden, das als Völkervertragsrecht nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG und mit seinen allgemeinen Regeln insbesondere als Völkergewohnheitsrecht nach Art. 25 Satz 1 GG innerstaatlich Geltung beansprucht. Das Grundgesetz ordnet den von ihm verfassten Staat in eine freiheits- und friedenswahrende Völkerrechtsordnung ein, weil es einen Gleichklang der eigenen freiheitlichen Friedensordnung mit einem Völkerrecht sucht, das nicht nur die Koexistenz der Staaten betrifft, sondern Grundlage der Legitimität jeder staatlichen Ordnung sein will (vgl Tomuschat, Der Verfassungsstaat im Geflecht der internationalen Beziehungen, VVDStRL 36 [1978], S. 7 [50 f]). Die Verfassung hebt bestimmte Einrichtungen und Rechtsquellen der internationalen Zusammenarbeit und des Völkerrechts hervor (Art. 23 Abs. 1, Art. 24, Art. 25, Art. 26 und Art. 59 Abs. 2 GG). Insoweit erleichtert das Grundgesetz die Entstehung von Völkerrecht unter Beteiligung des Bundes und sichert dem entstandenen Völkerrecht Effektivität. Das Grundgesetz stellt die Staatsorgane mittelbar in den Dienst der Durchsetzung des Völkerrechts und vermindert dadurch das Risiko der Nichtbefolgung internationalen Rechts … “

      Wegen seiner fundamentalen Bedeutung für die moderne Völkerrechtsordnung befasst sich die VN-Generalversammlung regelmäßig mit dem rule of law-Grundsatz (s. etwa Resolution 73/207 vom 20. Dezember 2018). Die sog. Venedig-Kommission (Europäische Kommission für Demokratie durch Recht) des Europarates hat 2016 eine „Rule of Law Checklist“ entwickelt, die es ermöglichen soll, das Maß an rule of law in einem bestimmten Staat zu bewerten.

      § 2 Völkerrecht, Europarecht und nationales Recht › C. „Offene Staatlichkeit“ › II. Völkerrechtsfreundlichkeit des GG

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      Das BVerfG hat schon früh die „Völkerrechtsfreundlichkeit“ des GG herausgestellt (BVerfGE 6, S. 309 ff, 362 f). Dieser Grundsatz ist nirgendwo im GG explizit normiert, sondern lässt sich dem GG nur aus einer Gesamtschau mit Blick auf Satz 1 der Präambel sowie Art. 1 Abs. 2, Art. 9 Abs. 2 und Art. 24 bis Art. 26 GG entnehmen.

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      Aus dem Prinzip der Völkerrechtsfreundlichkeit hat das BVerfG durchaus weitreichende Folgerungen gezogen. Zunächst gilt das Gebot völkerrechtskonformer Auslegung und Anwendung des einfachen (Gesetzes-)Rechts. Hintergrund hierfür ist eine auf der Völkerrechtsfreundlichkeit des GG beruhende Vermutung. Das BVerfG hat diese Vermutung folgendermaßen formuliert (BVerfGE 74, S. 358 ff, 370):

      „(E)s ist nicht anzunehmen, daß der Gesetzgeber, sofern er dies nicht klar bekundet hat, von völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland abweichen oder die Verletzung solcher Verpflichtungen ermöglichen will.“

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      Sind auslegungsmethodisch mehrere Interpretationen eines Gesetzes möglich, dann ist derjenigen Auslegung der Vorzug zu geben, welche dieser Vermutung Rechnung trägt, also den Einklang des Gesetzes und seiner Anwendung mit dem Völkerrecht und den daraus für die Bundesrepublik folgenden Verpflichtungen wahrt. In diesem Sinne handelt es sich beim Gebot völkerrechtskonformer Auslegung um eine „Konfliktvermeidungsregel“ (Rojahn, in: von Münch/Kunig, Art. 24, Rz 3).

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      Das Gebot völkerrechtskonformer Auslegung gilt sinngemäß für die Ausfüllung von Ermessens- und Beurteilungsspielräumen. Wie Auslegungsspielräume sind auch Ermessens- und Beurteilungsspielräume dergestalt wahrzunehmen, dass ein Verstoß gegen die völkerrechtlichen Bindungen Deutschlands vermieden wird.

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      Das Verfassungsgebot völkerrechtskonformer Auslegung hat allerdings auch Grenzen. Verwirklichen lässt es sich nur, solange „im Rahmen geltender methodischer Standards Auslegungs- und Abwägungsspielräume eröffnet sind“ (BVerfGE 111, S. 307 ff, 329). Anders gewendet endet die völkerrechtskonforme Auslegung dort, „wo diese nach den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung und Verfassungsinterpretation nicht mehr vertretbar erscheint“ (BVerfGE 128, S. 326 ff, 371).

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      Gemäß der Vermutung, dass der Gesetzgeber sich in den Grenzen der völkerrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands halten will, ist ein später erlassenes Gesetz im Einklang mit einem früheren völkerrechtlichen Vertrag auszulegen (BVerfGE 74, S. 358 ff, 370). Weitergehend wird aus dieser Vermutung aber auch der Schluss zu ziehen sein, dass im Fall einer Normkollision, die sich durch völkerrechtskonforme Auslegung zB mangels entsprechenden Auslegungsspielraums nicht a priori vermeiden lässt, zwischen späterem Gesetz und älterem Vertrag die lex posterior-Regel nicht gilt (ähnlich Sauer, S. 106 f). Vielmehr stellt der frühere völkerrechtliche Vertrag gewissermaßen eine lex specialis gegenüber dem späteren Gesetz dar, welches den früheren Vertrag nach dem zu vermutenden

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