Staatsrecht III. Hans-Georg Dederer

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S. 267 ff, 307). Damit hat das BVerfG versucht, dem EuGH – ähnlich wie bei der Grundrechtskontrolle – weit entgegenzukommen, um mögliche Konflikte zu vermeiden.

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      Im Ergebnis bedeutet dies, dass das BVerfG eine Handlung der EU dann als ultra vires erklären wird (was bislang noch nie der Fall war), wenn

      (1) ein hinreichend qualifizierter, dh offensichtlicher und hinsichtlich des Kompetenzgefüges zwischen Mitgliedstaaten und EU erheblich ins Gewicht fallender Verstoß vorliegt (also letztlich eine Kompetenzverschiebung hin zur EU und zulasten der Mitgliedstaaten stattgefunden hat) und

      (2) der EuGH vorab einen Kompetenzverstoß verneint hat.

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      Anders als die Grundrechtskontrolle (s. Rn 186) sah man die Ultra-vires-Kontrolle als durchaus reale Möglichkeit einer Kontrolle von EU-Rechtsakten an, rechnete aber kaum mehr mit einem konkreten Anlassfall, insbesondere nachdem das BVerfG im Honeywell-Beschluss (s. Rn 201) die von vielen erwartete Ultra-vires-Erklärung des vom EuGH festgestellten allgemeinen Rechtsgrundsatzes des Verbots der Altersdiskriminierung abgelehnt hatte. Umso überraschender war der OMT-Beschluss des BVerfG vom 14. Januar 2014, mit dem das BVerfG zum ersten Mal in seiner Geschichte den EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Art. 267 AEUV um die Auslegung von Unionsrecht ersuchte.

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      Das BVerfG war nämlich der Meinung, dass der Beschluss des Rates der Europäischen Zentralbank vom 6. September 2012 betreffend Outright Monetary Transactions (OMT) mit dem Unionsrecht (Art. 119, Art. 123 Abs. 1, Art. 127 Abs. 1 und Abs. 2 sowie Art. 17 ff der Satzung des ESZB) unvereinbar sei und wegen evidenter Kompetenzüberschreitungen einen Ultra-vires-Akt darstelle. In diesem Beschluss wurde der unbegrenzte Ankauf von Staatsanleihen finanziell notleidender Staaten der Eurozone auf dem Sekundärmarkt angekündigt (OMT-Programm). Dazu führte das BVerfG Folgendes aus (BVerfGE 134, S. 366 ff, Rz 36 ff):

      „Verstieße der OMT-Beschluss gegen das geld- und währungspolitische Mandat der Europäischen Zentralbank oder gegen das Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung, läge darin ein Ultra-vires-Akt im Sinne der … Honeywell-Entscheidung.

      a) Ein hinreichend qualifizierter Verstoß setzt voraus, dass das kompetenzwidrige Handeln der Unionsgewalt offensichtlich ist und der angegriffene Akt im Kompetenzgefüge zu einer strukturell bedeutsamen Verschiebung zulasten der Mitgliedstaaten führt (vgl BVerfGE 126, 286 [304 f] m.w.N.). Strukturell bedeutsam sind Kompetenzüberschreitungen insbesondere dann, aber nicht nur, wenn sie sich auf Sachbereiche erstrecken, die zur durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützten verfassungsrechtlichen Identität der Bundesrepublik Deutschland rechnen oder besonders vom demokratisch diskursiven Prozess in den Mitgliedstaaten abhängen (siehe BVerfGE 126, 286 [307]).

      b) Ein Handeln der Europäischen Zentralbank außerhalb ihres geld- und währungspolitischen Mandats … oder ein Verstoß gegen das Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung durch das OMT-Programm … würde eine offensichtliche und strukturell bedeutsame Kompetenzüberschreitung bedeuten.“

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      Der OMT-Beschluss wurde vielfach kritisiert. So wurde darauf hingewiesen, dass das BVerfG eine unionsrechtskonforme Interpretation aufgezeigt habe, was bei einer angenommenen „offensichtlichen“ Kompetenzüberschreitung schwer möglich sei. Auch das Vorliegen von Sondervoten einzelner Richter spricht dagegen. Ferner wurde gefragt, ob selbst bei der Annahme eines Ultra-vires-Akts überhaupt eine Entscheidungserheblichkeit iSv Art. 267 AEUV (s. Rn 988) gegeben sei, was bei einer Verneinung zur Unzulässigkeit der Vorlage führen würde.

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      In seinem Urteil vom 16. Juni 2015 hat der EuGH jedenfalls die Zulässigkeit bejaht und keinen Kompetenzverstoß durch den Rat der Europäischen Zentralbank gesehen (EuGH, Rs. C-62/14, Gauweiler/Deutscher Bundestag, ECLI:EU:C:2015:400). Hingegen ist er auf die Frage, ob die Ultra-vires-Rechtsprechung des BVerfG mit dem Unionsrecht vereinbar sei, nicht näher eingegangen. Vielmehr hat er nur auf seine Rechtsprechung zur Bindungswirkung von Vorabentscheidungen hingewiesen. Damit aber hat er wohl eine Zurückweisung der Rechtsprechung des BVerfG zum Ausdruck gebracht, denn diese, sollte sie jemals zur Anwendung kommen, verneint ja eben diese Bindungswirkung.

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      Das BVerfG hat dem Urteil des EuGH entsprochen, in seinem Urteil vom 21. Juni 2016 aber genaue Kriterien für eine Beteiligung der Bundesrepublik an der Durchführung des OMT-Programms aufgestellt (BVerfGE 142, S. 123 ff, Tenor):

      „4. Die Deutsche Bundesbank darf sich an einer künftigen Durchführung des OMT-Programms nur beteiligen, wenn und soweit die vom Gerichtshof der Europäischen Union aufgestellten Maßgaben erfüllt sind, das heißt wenn

das Volumen der Ankäufe im Voraus begrenzt ist,
zwischen der Emission eines Schuldtitels und seinem Ankauf durch das ESZB eine im Voraus festgelegte Mindestfrist liegt, die verhindert, dass die Emissionsbedingungen verfälscht werden,
nur Schuldtitel von Mitgliedstaaten erworben werden, die einen ihre Finanzierung ermöglichenden Zugang zum Anleihemarkt haben,
die erworbenen Schuldtitel nur ausnahmsweise bis zur Endfälligkeit gehalten werden und
die Ankäufe begrenzt oder eingestellt werden und erworbene Schuldtitel wieder dem Markt zugeführt werden, wenn eine Fortsetzung der Intervention nicht erforderlich ist.“

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      Eine zweite, wieder das Handeln der EZB betreffende Vorlage beschloss das BVerfG am 18. Juli 2017 (BVerfGE 146, S. 216 ff). Der umfangreiche Fragenkatalog zu einer möglichen Mandatsüberschreitung der EZB betraf den seit Januar 2015 unter der Bezeichnung „Public Sector Purchase Programme“ (PSPP) laufenden Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB. Den Erlass einer ua auf Untersagung von Anleihekäufen durch die Bundesbank im Rahmen des PSPP gerichteten einstweiligen Anordnung lehnte das BVerfG wegen unzulässiger Vorwegnahme der Hauptsache ab. Dabei hielt das BVerfG (durchaus im Geiste der Europarechtsfreundlichkeit) fest, dass der Grundsatz der Organtreue die Bundesregierung nicht verpflichte, sich die „Zweifel“ des Gerichts an der „Vertragskonformität einer Maßnahme von … Stellen der EU vor Abschluss des Verfahrens zu eigen zu machen“ (BVerfGE 147, S. 39 ff, 49). Der EuGH hat zwischenzeitlich ein Ultra-vires-Handeln der EZB verneint (EuGH, Rs. C-493/17, Weiss ua, ECLI:EU:C:2018:1000).

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      Mit der

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