Öffentliches Wirtschaftsrecht. Stefan Storr
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b) Liberalismus und Gewerbefreiheit
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Abgelöst wurden diese feudal-ständisch geprägten merkantilistischen Vorstellungen durch die bürgerliche ökonomische Liberalität. Der Liberalismus basierte auf einer strikten Dichotomie von Gesellschaft und Staat und führte zu den Reformen des 19. Jahrhunderts[25], insbesondere der Einführung der Gewerbefreiheit, als deren Gegenpol das Zunftwesen angesehen wurde. Der Idee der Freiheit von (staatlichem) Zwang entsprach im wirtschaftlichen Kontext das Prinzip des Laissez-faire. Die klassische Nationalökonomie (Adam Smith, David Ricardo) forderte das freie Spiel der Kräfte, das am besten in der Lage sei, die ökonomischen Probleme optimal zu lösen und bildete damit den Gegenpol zum merkantilistischen Ideal einer „allsorgenden bürokratischen Wirtschaftspolizei“[26]. Nach Smith lenkt in einer harmonischen, von der menschlichen Arbeitsteilung bestimmten Ordnung eine invisible hand die Individuen kraft ihrer natürlichen Eigeninteressen in die richtige Richtung. Der Staat sollte in wirtschaftlicher Hinsicht weitgehende Enthaltsamkeit üben, wirtschaftliche Ordnung sollte gerade durch Freiheit entstehen, nicht durch Recht. Rechtliche Konsequenz war die (einfachgesetzliche) Einführung der Gewerbefreiheit, die in dieser Phase weit effektiver war als die verfassungsrechtliche Garantie der Berufs- und Eigentumsfreiheit[27].
Gewerbefreiheit bedeutete zunächst Gewerbezugangsfreiheit als Gegenmodell zum Zunftwesen. Seit dem 15. Jahrhundert beschränkten die Zünfte als kartellartige Organisationen den Marktzutritt und verhinderten weitergehenden Wettbewerb, indem alle nicht einer Zunft angehörenden Handwerker als „Pfuscher“ verfolgt wurden. Nach dem Dreißigjährigen Krieg erwies sich das Zunftwesen ungeachtet seiner hehren Ziele allerdings eher als Hemmschuh für die weitere Entwicklung. Beispielhaft zeigte der Kampf gegen die Bandmühle die Rückständigkeit der Zünfte. Mit Hilfe dieser Maschine konnte eine ungelernte Arbeitskraft ebenso viel produzieren wie 16 gelernte Handwerker. 1676 forderten die für textiles Knüpf- und Flechtwerk zuständigen Posamentierzünfte des Deutschen Reichs das Verbot dieser Maschinen, das 1685 durch kaiserlichen Erlass ausgesprochen und 1719 erneuert wurde. Deshalb wanderte die fortschrittliche Technik nach Basel und ins Bergische Land ab. 1749 hob Friedrich der Große das Verbot der Bandmühle für Preußen mit folgender Begründung auf: „Wir halten es für einen dem gemeinen Wesen schädlichen Handwerksmissbrauch, diejenigen Mittel, die zur Erlangung eines wohlfeilen Preises der Ware gereichen, nicht zur Hand zu nehmen“. Entscheidende Fortschritte waren in den deutschen Ländern im Gefolge der Französischen Revolution zu verzeichnen[28]. Die Entwicklung begann in den französisch beherrschten Territorien bereits in den 90er Jahren des 18. Jahrhunderts. 1808 folgten das Königreich Westfalen und 1809 das Großherzogtum Berg. In Preußen, das nach der Niederlage gegen Frankreich im Tilsiter Frieden von 1807 auf über die Hälfte seines Territoriums verzichten musste, verfügte das Oktoberedikt zur Bauernbefreiung des gleichen Jahres die Gewerbefreiheit im Grundsatz, nachdem die Aufhebung einzelner Zünfte bereits 1806 begonnen hatte. Das Gewerbesteueredikt von 1810 (PrGS 1810, S. 79) band die Ausübung eines Gewerbes nur noch an den Erwerb eines Gewerbescheins, wurde allerdings umgehend um das Gewerbepolizeigesetz von 1811 ergänzt[29]. Mit der allgemeinen preußischen Gewerbeordnung vom 17. Januar 1845 (PrGS 1845, S. 41) wurde das Gewerberecht in Preußen vereinheitlicht und die Gewerbefreiheit für das gesamte Staatsgebiet eingeführt[30]. Andere Länder folgten, so etwa Sachsen, Baden, Württemberg und Bayern in den 60er-Jahren des 19. Jahrhunderts.
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Die zentrale Rolle bei der Vereinheitlichung der Wirtschafts- und Sozialpolitik spielte der Norddeutsche Bund. Am 21. Juni 1869 schufen die Länder des Norddeutschen Bundes in Anlehnung an das preußische Vorbild aus dem Jahre 1845 eine einheitliche Gewerbeordnung. Sie wurde 1871/72 als Reichsgewerbeordnung für das Deutsche Reich übernommen und führte in allen Bundesstaaten die Gewerbefreiheit ein, die bis heute in § 1 GewO enthalten ist. Der Zunftzwang und die Abhängigkeit des Gewerbetreibenden von behördlicher Konzession wurden aufgehoben und es setzte sich im rechtsstaatlichen Denken des 19. Jahrhunderts die Beschränkung des (Gewerbe-)Polizeirechts auf die Abwehr von Gefahren durch. Die GewO wurde als „Sonderpolizeirecht“ die bis heute in ihren Grundlinien unveränderte[31] Basis des Wirtschaftsaufsichtsrechts[32]. Gleichzeitig löste sich die Rechtswissenschaft von der ökonomisch dominierten Verwaltungslehre (Polizeiwissenschaft). Dies markierte zugleich den Beginn des modernen Verwaltungsrechts[33].
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Dennoch widmete sich der Staat weiterhin solchen Wirtschaftszweigen in besonderer Weise, die er als lebenswichtig für das Funktionieren von Staat und Gesellschaft erachtete. Anders als im Bereich des sogenannten „Regulierungsrechts“ (s. unten Rn 23, 495 ff) erbrachte der Staat allerdings die Leistungen in eigener Trägerschaft. Aus dem Modell der Staatsregale entwickelte sich das staatliche Monopol.
Dies galt nicht nur für die Verkehrsinfrastruktur (Straßen bzw Wasserstraßen), es passte sich dynamisch der technischen Entwicklung an. In Deutschland wurde neben den Eisenbahnen auch das Fernmeldewesen in staatlicher Trägerschaft errichtet. Das Fernmeldemonopol ging zurück auf § 1 des Gesetzes über das Telegraphenwesen des Deutschen Reiches[34], in dem das Fernmeldewesen seine erste grundlegende Kodifikation fand. Dort hieß es: „Das Recht, Telegraphenanlagen für die Vermittlung von Nachrichten zu errichten und zu betreiben, steht ausschließlich dem Reich zu. Unter Telegraphenanlagen sind die Fernsprechanlagen mit begriffen.“ Dieses Fernmeldemonopol wurde in § 1 des Gesetzes über Fernmeldeanlagen (FAG) übernommen, das in der Bundesrepublik Deutschland zusammen mit dem Telegraphenwegegesetz (TWG) den traditionellen Rechtsrahmen für Telephonie und Telegraphie bildete. Auch Wasser und Elektrizität wurden in Deutschland dem Bürger als staatliche Leistungen zur Verfügung gestellt, diese freilich regelmäßig in kommunaler Trägerschaft. Dass sich der Staat auch heute dieser Aufgabe nicht völlig entziehen kann, folgt entweder aus konkreten Verfassungsaufträgen wie in Art. 87f GG für die Telekommunikation oder letztlich aus dem Sozialstaatsprinzip. Nach dem BVerfG ist „das Interesse an der Stromversorgung … heute so allgemein wie das Interesse am täglichen Brot“[35].
c) Vom Interventionismus zur sozialen Marktwirtschaft
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Die Ausrichtung der Wirtschaft an den Ideen des Liberalismus ermöglichte zwar eine enorme Leistungssteigerung, sie führte aber auch – vor allem in Krisenzeiten – zu sozialen Problemen. Seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts spielte deswegen der sog. Interventionismus eine große Rolle. Auch darunter versteht man weniger eine wirtschaftswissenschaftliche Theorie als ein Bündel wirtschaftspolitischer Maßnahmen zur Beeinflussung volkswirtschaftlicher