Öffentliches Wirtschaftsrecht. Stefan Storr
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3. Wirtschaftslenkung und Marktteilnahme
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Staatliche Marktteilnahme wird traditionell als Ausfluss der Daseinsvorsorge[106] verstanden. Diese motiviert sich weniger aus der Gewinnerzielungsabsicht als aus dem Bestreben, bestimmte Leistungen „allen Bürgern gleichmäßig und zu gleichen, billigen Bedingungen zuteil werden“ zu lassen[107]. Der Übergang zur fiskalischen Tätigkeit ist freilich eher fließend[108]. Die Teilnahme öffentlicher Unternehmen am Wirtschaftsverkehr (§ 8) unterliegt bestimmten Schranken, insbesondere des Haushalts- und kommunalen Wirtschaftsrechts (s. Rn 702 ff), deren gerichtliche Kontrolle freilich eher rudimentär geblieben ist. Der zentrale Stellenwert von Daseinsvorsorge auch im Unionsrecht wird deutlich (Art. 14 AEUV). Danach sind Union und Mitgliedstaaten zur Gewährleistung funktionierender Grundstrukturen der Daseinsvorsorge verpflichtet[109]. Dieser Bereich betrifft vor allem „Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse“ (s. dazu Rn 735 ff), „die in den Augen des Staates auch dann erbracht werden müssen, wenn der Markt unter Umständen nicht genügend Anreize dafür gibt“[110], also Konstellationen außerökonomischen Marktversagens[111]. Allerdings müssen solche Dienstleistungen gerade nicht zwangsläufig vom Staat erbracht werden. Damit verschiebt sich die Abgrenzung zur Wirtschaftsaufsicht, nachdem infolge der Privatisierung beispielsweise der Telekommunikation aus staatlicher Leistungserbringung eine Gewährleistungsverantwortung (s. Rn 23) und Wirtschaftsaufsicht wurde[112].
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Gleichzeitig erweisen sich staatliche Leistungen durchaus als Eingriff „in den Wettbewerb“ oder werden sogar bewusst als Lenkungsmittel eingesetzt werden. Dies gilt für Subventionen (§ 9), öffentliche Aufträge (§ 10). Als derartige „janusköpfige“ Materien lassen sich das Subventionsrecht aber beispielsweise auch das Recht der Auftragsvergabe verstehen, das außer seinem Hauptzweck des „günstigen Einkaufs“ für den Staat zunehmend dem Schutz von Wirtschaftsteilnehmern[113] dient und sich unter bestimmten Voraussetzungen auch zur Durchführung von Sekundärzwecken, etwa der Mittelstandsförderung, einsetzen lässt (s. dazu ausf Rn 1071 ff). Dadurch formt es einen wichtigen Teilbereich des privatrechtsförmigen Handelns um und ergänzt gleichzeitig das Spektrum der klassischen Verwaltungsverfahren[114].
4. Öffentliches und privates Wirtschaftsrecht als komplimentäre Rechtsdurchsetzungsregime
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Das öffentliche Wirtschaftsrecht steht – jedenfalls auf der Grundlage der spezifisch deutschen Differenzierung von Zivil- und Öffentlichem Recht – selbstständig neben dem privaten Wirtschaftsrecht. Wenn deswegen auch in der juristischen Ausbildung „Wirtschaftsrecht“ kein einheitliches Prüfungsfach mehr ist, bedeutet dies deswegen keinen Rückfall „hinter den Stand am Anfang der Weimarer“ Zeit[115], sondern ist Ausdruck einer Arbeitsteilung, die im deutschen Recht über den Rechtsweg entscheidet, aber vor allem dadurch begründet ist, dass das öffentliche Recht über eigene Organisations- und Handlungsformen verfügt und insbesondere mit den Grundrechten auch verfassungsrechtlichen Bindungen unterliegt, die für Private nicht in der gleichen Weise gelten. Zur Abgrenzung von öffentlichem und privatem Wirtschaftsrecht kann die sog. modifizierte Subjektstheorie herangezogen werden. Danach kommt es darauf an, ob die anzuwendenden Normen den Staat einseitig berechtigen oder verpflichten[116]. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn Behörden zur Überwachung der Einhaltung der Normen und deren Durchsetzung eingesetzt sind.
Die jedenfalls für das deutsche Recht dogmatisch bedeutsame Trennung zwischen privatem und öffentlichem Wirtschaftsrecht wird in einzelnen Gesetzen verwischt. So enthalten vor allem die kapitalmarktrechtlichen Gesetze sowohl öffentlichrechtliche wie zivilrechtliche Vorschriften[117]; ebenfalls zivilrechtlich sind die Verbraucherschutzvorschriften des TKG. Strukturbildend und entscheidend für die Qualifikation des Telekommunikationsrechts als öffentliches Recht sind die staatlichen Aufsichtsbehörden und ihr – öffentlichrechtliches – Handlungsinstrumentarium. Geschuldet ist diese zunehmende Verzahnung dem europäischen Konzept, das zwischen „Rechtssetzung“, der Begründung von Verhaltenspflichten durch Gesetz und Behörden, und der „Rechtsdurchsetzung“ differenziert, als Durchsetzungsmechanismen aber neben dem öffentlichen Recht auch das Zivil- und nicht zuletzt das Ordnungswidrigkeiten- und Strafrecht heranzieht. Ausprägung eines „private enforcement“ sind aber auch die Verbandsklagebefugnisse[118] und die voraussetzungslosen Informationsansprüche in den Informationsfreiheitsgesetzen und ihren bereichsspezifischen Parallelvorschriften (zum Verbraucherinformations- und Lebensmittelrecht Rn 131).
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Die Bedeutung des öffentlichen Rechts nimmt dabei stetig zu. Gerade wenn man sich die regulierten Wirtschaftszweige in ihrer Gesamtheit betrachtet, lässt sich ein häufig als „Re-Regulierung“ bezeichnetes Phänomen beobachten: Das Vertrauen in die Selbstregulierung des Marktes ist ein allenfalls temporäres. Ein plastisches Beispiel liefert die Netzregulierung: Sofern nicht – wie im Telekommunikationsrecht – von Anfang an eine staatliche Regulierungsbehörde eingeschaltet wird, erfolgt dieser Schritt jedenfalls aufgrund der Erfahrungen mit kooperativen Strukturen und kartellrechtlicher Kontrolle (s. zum Energiewirtschaftsrecht Rn 498). Dabei ist Regulierungsrecht auch, „aber doch nicht nur eine Rückkehr zur Gefahrenabwehr und dem alten Modell der Gewerbeordnung“[119].
Diese im öffentlichrechtlichen Schrifttum wohl einhellige Qualifikation des Regulierungsrechts als Teil des öffentlichen Wirtschaftsrechts wird von den Wettbewerbsrechtlern nicht uneingeschränkt geteilt. So werden von Säcker[120] die „privatrechtlichen Grundlagen der Netzinfrastrukturregulierung“ betont, ohne dass allerdings aus diesem Ansatz Konsequenzen gezogen werden: An der Dominanz öffentlicher Strukturen scheitert letztlich auch der Versuch einen „Allgemeinen Teil des Besonderen Wirtschaftsrechts“ zu entwickeln und diesen dem allgemeinen Wirtschaftsrecht gegenüber zu stellen[121]. Zumindest missverständlich war die Bezeichnung der telekommunikationsrechtlichen Vorschriften als „sektorspezifische Regelungen als Ergänzung zum allgemeinen Wettbewerbsrecht“[122].
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Zu einer Verzahnung zwischen dem öffentlichen und privaten Wirtschaftsrecht kommt es nicht nur dort, wo an die Verletzung von Verhaltenspflichten (auch) zivilrechtliche Schadensersatzansprüche geknüpft werden, sondern insbesondere auch dadurch, dass der Verstoß eines Privaten gegen öffentlichrechtliche Vorschriften zugleich einen