Öffentliches Wirtschaftsrecht. Stefan Storr
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Selbst „klassische“ Materien des öffentlichen Wirtschaftsrechts sehen sich gezwungen, auf technische Veränderungen zu reagieren. Die Verbreitung des Internet verschärft viele traditionelle Probleme bis hinein in den Bereich des Datenschutzes. Die Gewerbetätigkeit mittels Internet, der „Electronic Commerce“, wirft nicht nur die Frage nach der Anwendung wirtschaftsverwaltungsrechtlicher Normen zB auf Internetversteigerungen, Internetglücksspiel etc. auf[149], sondern erweist sich zunehmend als dogmatische Herausforderung für das traditionell vom territorialen Denken geprägte öffentliche Recht. So bedarf es der Begründung, warum eine niederländische Internetapotheke an die deutschen Vorschriften über den Arzneimittelhandel gebunden sein soll. Diese Fragen setzen sich fort im Bereich der internationalen Wirtschaftsaufsicht, wo sich im Kapitalmarktrecht unter dem Einfluss des Europarechts ein „transnationales Verwaltungsrecht“ entwickelt hat (s. Rn 500) und sich insbesondere im Telekommunikationsrecht Strukturen eines Kooperationsverwaltungsrechts herausbilden (s. Rn 182). Neben dem Umweltrecht ist damit das öffentliche Wirtschaftsrecht auch das wichtigste Referenzgebiet für die Europäisierung des Verwaltungsrechts. Es illustriert ferner die zunehmende Bedeutung der Rechtsvergleichung (s. Rn 18).
2. Das allgemeine Verwaltungsrecht als Schlüssel zur Strukturierung des öffentlichen Wirtschaftsrechts
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Der Einfluss des Wirtschaftsrechts auf das allgemeine Verwaltungsrecht ist allerdings keineswegs eine Einbahnstraße. So können die Strukturen des allgemeinen Verwaltungsrechts auch umgekehrt herangezogen werden, um neue rechtliche Herausforderungen auf dem Gebiet des öffentlichen Wirtschaftsrechts zu bewältigen. Dies gilt nicht nur für die Grundsätze des Verwaltungsverfahrens, sondern vor allem für die verwaltungsrechtliche Handlungsformenlehre, die gerade auch im öffentlichen Wirtschaftsrecht den Rahmen für die rechtliche Beurteilung eines Sachverhalts abgibt[150].
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Diese ordnungsstiftende Funktion greift weit über das traditionelle Wirtschaftsverwaltungsrecht und das sog. Regulierungsrecht (s. Rn 23 ff) hinaus. Die materielle Publifizierung[151] erfasst nicht nur die traditionell dem fiskalischen Handeln zugeordnete Auftragsvergabe[152], sondern auch das Kartellrecht, dessen (partielle) Zugehörigkeit zum öffentlichen Recht dadurch stärker ins Bewusstsein tritt[153].
Anmerkungen
Maurer, AVerwR, § 2 Rn 2.
Zur „konstitutionellen Homogenität von Staatsverfassung und Wirtschaftsverfassung“ s. Karpen, Jura 1985, 188, 189 f; Schmidt-Preuß, DVBl 1993, 236, 240.
S. auch Papier, FS Selmer (2004), 459 ff.
Dieser These liegt ein formaler Verfassungsbegriff zugrunde (in Deutschland GG und ungeschriebenes Verfassungsrecht, für die EU das primäre Unionsrecht), s. zum Unionsrecht auch Ruthig, in: Beckmann/Dieringer/Hufeld, Eine Verfassung für Europa, 2. Aufl. 2005, S. 452, 454 f. Ausf zum Streit um den Begriff der Wirtschaftsverfassung Rittner/Dreher, § 2 Rn 9 ff.
So die einprägsame Formulierung von Papier, Grundgesetz und Wirtschaftsverfassung, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1994, S. 800. Ausf Hecker, Marktoptimierende Wirtschaftsaufsicht, 2007, S. 132 ff; zur Leistungsfähigkeit einer Wirtschaftsverfassung Ruffert, AöR 134 (2009), 197 ff.
BVerfGE 4, 7. Bestätigt wurde diese Auffassung 1976 im Mitbestimmungsurteil, BVerfGE 50, 290. S. zum Folgenden auch Frotscher/Kramer, Rn 30 ff; Schliesky, S. 18 ff. Eine eindeutige Aussage fand sich lediglich in Art. 1 Abs. 3 des Vertrages über die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion mit der ehemaligen DDR vom 18. Mai 1990, in dem die soziale Marktwirtschaft als Grundlage der Wirtschaftsordnung des wiedervereinigten Deutschlands gesetzlich statuiert wird, s. unten Rn 700; Schmidt-Preuß, DVBl 1993, 236.
Grundlegend Nipperdey, Die soziale Marktwirtschaft in der Verfassung der Bundesrepublik, 1954; ders., Soziale Marktwirtschaft und GG, 2. Aufl. 1961. In abgeschwächter Form auch Rupp, GG und „Wirtschaftsverfassung“, 1974, S. 20 f; aus jüngerer Zeit Bleckmann, JuS 1991, 536, 539. Sodan, DÖV 2000, 361 will dem GG wenigstens in einer Gesamtschau einen „Vorrang der Privatheit“ entnehmen.
BVerfGE 4, 7, 17 f.
BVerfGE 4, 7, 17 f; ähnlich BVerfGE 7, 377, 400; 50, 290, 338. Zum Begriff der wirtschaftspolitischen Neutralität ausf Badura, FS Stern (1997), 409, 415.
Friauf, DÖV 1976, 624.
Anders nur Abendroth, Das Grundgesetz, 6. Aufl. 1976, S. 69, der die Möglichkeit einer Umgestaltung im Sinne sozialistischer Planwirtschaft sogar zum Bestandteil des Art. 79 Abs. 3 GG erklären wollte.
S. auch Frotscher/Kramer, Rn 32.
Dazu Hecker, Marktoptimierende Wirtschaftsaufsicht, 2007, S. 140 f. Offen ausgesprochen wird dies in BVerfGE 7, 377, 400: Ein Gesetz dürfe nicht beanstandet werden, „weil es mit einer bestimmten … volkswirtschaftlichen Lehrmeinung nicht in Einklang steht“.
BVerfGE 50, 290.
Vgl Rittner/Dreher, § 2 Rn 48 ff; Ziekow,