Öffentliches Wirtschaftsrecht. Stefan Storr
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Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ist in Deutschland die Zeit der sozialen Marktwirtschaft[38]. Die Koordination der arbeitsteilig aufeinander bezogenen Wirtschaftssubjekte vollzieht sich nach den Regeln des Marktes. Vertragsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit sind notwendige rechtliche Voraussetzungen, die Aufgabe der Rechtsordnung besteht aber auch in der Unterbindung des Missbrauchs von Marktmacht. Dementsprechend wird das öffentliche Wirtschaftsrecht auch unter dem GG von dem skizzierten Dualismus von staatlicher Intervention und wirtschaftlicher Freiheit geprägt. Besonders deutlich zeigt sich dies an denjenigen Bereichen des öffentlichen Wirtschaftsrechts, die sich als Folge der Privatisierung vormals staatlicher Leistungserbringung (s. Rn 23) entwickelten.
d) Die Schaffung eines europäischen Binnenmarktes
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In seiner ersten Phase trug das Europarecht stark zu einer Liberalisierung des nationalen Wirtschaftsrechts bei, indem die nationalen wirtschaftsrechtlichen Vorschriften häufig als unverhältnismäßige Behinderung des Binnenmarktes eingestuft wurden[39]. Zunehmend gestaltete die EU aber auch aktiv ganze Sektoren um und öffnete sie für den Binnenmarkt. Erst unter dem Einfluss Brüsseler Vorgaben kam es zur Privatisierung vormals staatlicher Monopole im Bereich der Daseinsvorsorge, beginnend mit der Telekommunikation (s. Rn 498). Nicht immer wurde dies in Deutschland aber wahrgenommen. Die Liberalisierung der Kapitalmärkte und des Bankenwesens beispielsweise hatte in anderen Mitgliedstaaten erhebliche Auswirkungen; in Deutschland blieben die anfänglichen Entwicklungen zunächst praktisch unbemerkt, weil die ersten Richtlinien auf entsprechend freie Märkte trafen.
Auch die Vollendung des Binnenmarktes lässt sich nicht nur mit dem politischen Ziel der Einigung Europas, sondern ebenfalls mit gängigen ökonomischen Theorien und Vorstellungen begründen. Der Gedanke, dass das grenzüberschreitend arbeitsteilige Wirtschaften für alle Beteiligten wirtschaftlich vorteilhaft ist, geht bereits auf Adam Smith und David Ricardo zurück[40]. Gerade für den europäischen Kapitalmarkt haben aktuelle ökonomische Studien[41], die erheblichen Einfluss auf die Konzepte der Kommission haben, die Integration der nationalen Märkte als Wachstumsfaktor betont, nicht zuletzt als Voraussetzung für die Positionierung der europäischen Wirtschaft angesichts der Herausforderungen der Globalisierung. Bei näherer Betrachtung zeigt sich aber, dass auch die Auslegung von Marktfreiheiten und europäischem Wettbewerbsrecht stark von ökonomischen Vorstellungen geprägt ist, in denen sich letztlich das Ringen um den Ausgleich von wirtschaftlicher Freiheit des Einzelnen und staatlicher bzw europäischer Kontrolle wiederholt. Innovationsanreize lassen sich allerdings – auch nach Ansicht von Wirtschaftswissenschaftlern – nicht nur durch Regulierungsfreistellung, sondern durch zusätzliche, aber an ökonomischen Grundsätzen orientierte Regulierung schaffen. Beschränkt sich aber auch das Unionsrecht insgesamt nicht auf eine („reine“) Marktwirtschaft, so relativiert sich auch die Frage einer europarechtlichen Überformung der deutschen „Wirtschaftsverfassung“[42].
e) Die europäische Ordnung des Binnenmarktes
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Seit den 1980er Jahren begann aber auf europäischer Ebene ein Prozess, der Liberalisierung durch die Beseitigung national unterschiedlicher Regulierung mit europäischer Harmonisierung von Standards verband, sobald etwa im Umweltbereich die entsprechenden europäischen Kompetenzen geschaffen waren. Erstmals zu einer politischen Langzeitstrategie wurde dies mit der sog. Lissabon-Strategie (2000-2010). Der Europäische Rat hatte sich 2000 in Lissabon das ehrgeizige Ziel gesetzt, Europa innerhalb eines Jahrzehnts zur wettbewerbsstärksten und dynamischsten Wirtschaftsregion der Welt zu machen[43]. Es folgte die Strategie Europa 2020, aus der zB mit der digitalen Agenda bindende Leitinitiativen abgeleitet, aber auch unter dem Eindruck der Finanzkrise die haushaltspolitische Überwachung der Mitgliedstaaten und Stabilitätsmechanismen implementiert wurden. Die Befugnis zu einer Koordination der Wirtschaftspolitik folgt aus Art. 5 AEUV[44]. Aus den Strategien werden aber auch sehr konkrete Regelungsaufträge abgeleitet. Das bürgerliche Recht und erst recht das IPR sind genauso europäisiertes Recht wie seit langem das öffentliche Wirtschaftsrecht. Der europäische Datenschutz erfasst auch das öffentliche Wirtschaftsrecht. Leitthemen der neuen Kommission sind Künstliche Intelligenz und Nachhaltigkeit.
3. Einflüsse von Wirtschaftswissenschaften und Rechtsvergleichung
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Die Europäisierung des öffentlichen Wirtschaftsrechts und die Notwendigkeit einer Auseinandersetzung mit der Globalisierung öffnete die juristische Diskussion für Einflüsse aus anderen Rechtsordnungen, vor allem auch dem US-amerikanischen Recht. Dies gilt seit langem im Kartell- und Finanzmarktrecht, wurde besonders augenscheinlich an der Entwicklung des Telekommunikationsrechts, gilt aber auch für die Diskussion um neue Steuerungsmodelle und die Ökonomisierung des Verwaltungsrechts[45].
Diese Entwicklung war kein Zufall. Die USA nahmen zum einen über die WTO[46], zum anderen aber auch direkt auf die europäische Normsetzung Einfluss. Im Ergebnis lassen deswegen das deutsche und das US-amerikanische Telekommunikationsrecht „Übereinstimmungen in einem Umfang erkennen, den man auf den ersten Blick wohl nicht erwartet hätte“[47]. Gerade in den USA ist die Diskussion um das „Regulierungsrecht“ aber eingebettet in das allgemeine Verwaltungsrecht, so dass nicht nur das Konzept der „independent regulatory agency“ die europäische Entwicklung beeinflusste. Vor allem aber steht das Verwaltungsrecht von Anfang an unter starkem allgemeinen Rechtfertigungsdruck, so dass praktisch alle Lehrbücher zum allgemeinen Verwaltungsrecht mit der Frage nach der Rechtfertigung staatlicher „regulation“ beginnen, genauso wie die Diskussion um das Regulierungsrecht in Deutschland. In der Sache wird die Diskussion dabei stark von wirtschaftstheoretischen Ansätzen geprägt. Am Beginn der neueren Entwicklung stand die Chicago School of Economics[48]. Diese ist gekennzeichnet durch ein Vertrauen in die – staatlicher Intervention grundsätzlich überlegenen – marktwirtschaftlichen Steuerungskräfte und prägte maßgeblich die Reaganomics, die wiederum auch die deutsche Deregulierungsdiskussion der 1980er und 1990er Jahre beeinflusste. Die damit beginnende Ausrichtung gerade auch des Verwaltungsrechts an ökonomischen Grundsätzen führte zum Entstehen von law and economics, der Hauptströmung des modernen US-amerikanischen Verwaltungsrechts, die mit der „ökonomischen Analyse des Rechts“ in Deutschland nur sehr bedingt zu vergleichen ist und sich in der Zwischenzeit durch die Einbeziehung sozialwissenschaftlicher Ansätze erheblich weiterentwickelt hat[49]. Aus dem homo oeconomicus wurde vor allem unter dem Einfluss der sog. Spieltheorie ein gerade nicht in allen Fällen rational handelnder und auf Effizienz bedachter Akteur. Vor allem aber muss man sich hüten, diese Bewegung auf eine „Ökonomisierung“ des Rechts oder gar einen „Terror der Ökonomie“[50] zu reduzieren. Im Kontext des Wirtschaftsrechts ist aber zu beachten, dass ungeachtet dieser vor allem deutschen Kritik der Einfluss der law and economics-Bewegung auf europäischer Ebene systemprägend ist[51].
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Während die traditionelle Wohlfahrtsökonomik die Rechtfertigung staatlicher Eingriffe in den Markt insbesondere bei Monopolen bzw bei Oligopolen als Reaktion auf Marktversagen legitimierte[52],