Öffentliches Wirtschaftsrecht. Stefan Storr
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Wirtschaftsregulierung in diesem Sinne überschneidet sich mit dem Begriff der Wirtschaftslenkung[78], soll sich aber insbesondere dadurch auszeichnen, dass „neuartige Aufgaben der Regulierung … mit zum Teil neuartigen“[79] und vor allem marktkonformen[80] Instrumenten bewältigt werden. Andererseits sei „der Begriff der Regulierung wie dessen Stellung im System des allgemeinen Verwaltungsrechts alles andere als klar“[81] bzw eine abschließende Definition nicht möglich[82]. Die weit verbreitete Charakterisierung als Privatisierungsfolgenrecht[83] war allenfalls für das deutsche Telekommunikationsrecht zutreffend, da es sich erst nach dem Abbau des staatlichen Monopols entwickelt hat. Diese Entwicklung fand aber etwa im Bereich der Energiewirtschaft so nie statt, so dass Regulierungsrecht keinesfalls notwendigerweise die Folge einer Privatisierung sein muss[84]. Erst recht ist es kein Übergangsrecht, das sich mit dem Herstellen von Wettbewerb sozusagen selbst überflüssig macht. Ganz im Gegenteil, je besser Wettbewerb funktioniert oder erkennbar wird, dass er – wie im Energiewirtschaftsrecht – ohne staatlichen Eingriff gerade nicht funktioniert, desto mehr treten die „klassischen“ Funktionen der Wirtschaftsaufsicht in den Vordergrund[85]. Auch die Charakterisierung als sektorspezifisches Wettbewerbs- bzw Kartellrecht greift zu kurz, da trotz teilweise gleicher Ziele (Schaffung von Wettbewerb) das Instrumentarium erheblich divergiert[86]: Auf kartellrechtlicher Grundlage können Markteingriffe außer in der Fusionskontrolle nur nachträglich und bei nachgewiesenen Verstößen gegen bestimmte Verhaltenspflichten erfolgen, während das Wirtschaftsverwaltungsrecht primär der präventiven Kontrolle dient. Damit handelt es sich letztlich nicht so sehr um einen klar konturierten Rechtsbegriff als aus Sicht der modernen Verwaltungsrechtswissenschaft um einen „Kompass für die dogmatische Systembildung und Analyse“[87]. Aus historischem Blickwinkel zeigen sich erstaunliche Parallelen zur Entwicklung Anfang des 20. Jahrhunderts. Zwar systematisierend, aber eben außerhalb des herkömmlichen Systems der Unterscheidung von öffentlichem und Zivilrecht entwickelte Lehmann sein „Industrierecht“, was verschiedenartige Rechtsmaterien unter diesem Oberbegriff zusammenfasst. Die meisten Zeitgenossen sahen es jedoch als temporäres und (als Antwort auf die Industrialisierung) zeitbedingtes Phänomen[88] an. Staatliche Eingriffe in die Wirtschaft konzentrierten sich aber von Anfang an auf die hier unter dem Begriff des Regulierungsrechts zusammengefassten Materien. Auch die Deutung des Regulierungsrechts als „Instrument politisch-gestaltender Wirtschaftslenkung“[89] wiederholt allerdings nur die genauso wenig ergiebige kartellrechtliche Diskussion der 1960er-Jahre[90] und letztlich die Diskussion um die „Wirtschaftsverfassung des GG“ (s. bereits Rn 3 ff).
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Für die Rechtsdogmatik blieb die Diskussion um ein einheitliches Regulierungsrecht eher unergiebig. Die von Masing auf dem 66. DJT erhobene Forderung nach einem Netzregulierungsgesetz des Bundes stieß auf Ablehnung[91]. Umso dringlicher ist daher die genuine Aufgabe der Rechtswissenschaft, gemeinsame Strukturen dieser sektorenspezifischen Regulierung herauszuarbeiten und in das System von Wirtschaftsaufsichts- und allgemeinem Verwaltungsrecht zu integrieren, ohne die bereichsspezifischen Besonderheiten zu ignorieren. Die Wurzeln der aktuellen Regulierungsdiskussion liegen im US-amerikanischen Verwaltungsrecht[92] und dem dortigen, vor allem in den 1960er Jahren entwickelten Konzept der „regulated industries“, das zunächst das Telekommunikationsrecht beeinflusste[93]. Von dort stammt insbesondere das für das europäisierte Regulierungsrecht typische[94] Grundmodell der unabhängigen Regulierungsbehörde (independent agency)[95]. Gerade die Rechtsvergleichung kann helfen, den „Mythos Regulierungsrecht“ zu entzaubern[96]. Nach amerikanischem Verständnis bedeutet regulation schlichtweg Regelung, ist also nicht mit der (vermeintlichen) Dichotomie von Regelung und Regulierung verbunden, wie sie im deutschen Verständnis teilweise behauptet wird[97]. Die weitreichende Autonomie der Verwaltungsbehörden genauso wie die besondere Betonung des Verwaltungsverfahrens sind kein Spezifikum der „regulated industries“, sondern Grundentscheidungen des amerikanischen (allgemeinen) Verwaltungsrechts, als dessen Referenzgebiet insbesondere das Telekommunikationsrecht denn auch verstanden wird[98].
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Gleichwohl herrscht weitgehend Einigkeit über den Gegenstand des Regulierungsrechts. Zusammengefasst werden unter diesem Begriff mindestens die Bereiche, für die die Bundesnetzagentur zuständig ist, dh neben dem Telekommunikationsrecht, an dem man den juristischen Begriff des Regulierungsrechts zunächst zu entwickeln versuchte, auch das Energiewirtschafts- und das Eisenbahn- und Postrecht[99]. Aus diesem Blickwinkel scheint naheliegend, von Netzregulierung zu sprechen[100]. Zunehmend wird aber dieses Verständnis als zu eng erachtet. Aus ökonomischer Sicht, aber auch von denjenigen Autoren, die von Wirtschaftslenkung sprechen, wird die Aufsicht über Finanzdienstleistungen einbezogen[101]; auch das Börsenrecht spricht seit 2007 vom „regulierten Markt“. Angesichts der Lissabon-Strategie (s. bereits Rn 17) ist es daher auch kein Zufall, dass es sich gleichermaßen um die zentralen Bereiche des europäisierten Wirtschaftsrechts handelt. Was die wirkliche Bedeutung eines Regulierungsrechts ausmacht, wird sich nicht am Begriff, sondern erst anhand der Strukturen ermitteln lassen (s. näher Rn 495 ff).
Die Regelungsmuster lassen die gewerberechtlichen Wurzeln erkennen, auch die eingesetzten Handlungsformen sind nicht neu, gilt doch als typisches Instrument des Regulierungsrechts insbesondere der Verwaltungsakt. Allerdings macht das Regulierungsrecht deutlich, dass die Intensität der Wirtschaftsaufsicht bzw -überwachung variiert. Sie reicht von der mehr punktuellen gewerberechtlichen Überwachung bis hin zur Ausbildung von „Dauerrechtsverhältnissen“, etwa in der Kapitalmarktaufsicht, von der bloßen Pflicht zur Anzeige eines Gewerbes bis zu unterschiedlichen Formen der Genehmigungspflicht, von einer Zuverlässigkeitsprüfung (s. zum Grundmodell der GewO Rn 250 ff) bis hin zu Sachkunde- und Solvabilitätsnachweisen (s. Rn 123, 263, 305). Aus diesem Blickwinkel könnte man die eher punktuelle Wirtschaftsüberwachung und die intensivere, dauerhaft angelegte Regulierungsüberwachung zu unterscheiden versuchen[102] bzw von Wirtschaftsaufsicht mit zusätzlichem Gestaltungsauftrag[103] sprechen. Bei näherer Hinsicht zeigt sich jedoch, dass selbst innerhalb der regulierten Bereiche – insbesondere im Bereich der Regulierung des Marktzutritts – unterschiedlich intensive Formen der Wirtschaftsaufsicht nebeneinander bestehen (s. unten Rn 510, 531 ff). Andererseits gleichen sich die eingesetzten Instrumente, die sich allerdings weitgehend am Vorbild der GewO als dem Grundmodell staatlicher Wirtschaftsaufsicht orientieren[104].
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Insgesamt lassen sich drei Stufen der Wirtschaftsaufsicht unterscheiden. Die intensivste Form findet sich dort, wo – wie besonders deutlich im Kapitalmarkt- und Versicherungsaufsichtsrecht, aber auch im Energie- und Telekommunikationsrecht