Öffentliches Wirtschaftsrecht. Stefan Storr
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§ 1 Wirtschaft und Verwaltung › II. Öffentliches Wirtschafts- bzw Wirtschaftsverwaltungsrecht
1. Begriff und Gegenstand
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Der Begriff des öffentlichen Wirtschafts- bzw Wirtschaftsverwaltungsrechts ist nicht abschließend definiert. Kernstück und zugleich historische Grundlage des deutschen Wirtschaftsverwaltungsrechts ist die Gewerbeordnung (GewO). Wichtige Materien finden sich in Sondergesetzen (sog. Gewerbenebenrecht), von denen vor allem das Handwerks- und das Gaststättenrecht zum Prüfungsstoff im Wirtschaftsverwaltungsrecht gehören. Mit der Bezeichnung als „Öffentliches Wirtschaftsrecht“ wird einerseits die Selbstverständlichkeit zum Ausdruck gebracht, dass jenseits der verwaltungsrechtlichen auch verfassungs- und unionsrechtliche Fragestellungen einbezogen werden[59]. Andererseits kann dieser Begriff aber auch dafür stehen, dass der klassische („wirtschaftsverwaltungsrechtliche“) Kanon von Gewerbe-, Gaststätten- und Handwerksrecht um weitere Bereiche erweitert wird. Insoweit hat sich mittlerweile jedenfalls in der Lehrbuchliteratur zum öffentlichen Wirtschaftsrecht wieder ein weitgehend einheitlicher Fächerkanon herausgebildet. Neben die genannten, klassischen Gebiete traten das Recht der öffentlichen Unternehmen bzw das öffentliche Wettbewerbsrecht sowie das Vergaberecht als Rechtsgebiete, die sich mit der Teilnahme des Staates am Wirtschaftsleben als Anbieter bzw Nachfrager von Leistungen beschäftigen, das Subventions- und Beihilferecht als spezifische Form des Eingriffes in den Wirtschaftsverkehr und – dies freilich mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung – das sog. Regulierungsrecht, insbesondere das Telekommunikations- und/oder Energiewirtschaftsrecht.
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Die Begrifflichkeiten, mittels derer man die komplexe Rechtsmaterie des öffentlichen Wirtschaftsrechts zu ordnen versucht, ist demgegenüber schillernd. Dies hängt zum einen damit zusammen, dass die Begrifflichkeiten das jeweilige politische und ökonomische Vorverständnis reflektieren, zum anderen aber auch die Typisierung und Kategorisierung eines Rechtsgebietes leisten sollen, das sich angesichts seiner Heterogenität und Dynamik einer Typisierung zu entziehen scheint oder diese jedenfalls nur auf hohem Abstraktionsniveau ermöglicht. Umso vorsichtiger muss man sein, wenn aus Begriffsbildungen und Kategorisierungen praktische Folgerungen abgeleitet werden sollen. Besonders deutlich zeigt sich diese Problematik am Begriff der „Regulierung“ (s. unten Rn 23).
2. Wirtschaftsaufsicht und Wirtschaftsregulierung
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Ein genauso zentraler wie umstrittener Begriff des öffentlichen Wirtschaftsrechts ist derjenige der Wirtschaftsaufsicht. Sucht man nach den zentralen Merkmalen der Wirtschaftsaufsicht[60], so handelt es sich um Verwaltungstätigkeit[61] zur Überwachung der für die selbstverantwortliche Teilnahme am privatrechtlichen Wirtschaftsverkehr geschaffenen Rechtsregeln. Außer von Gewerbeaufsicht spricht man insbesondere von Banken-, Versicherungs- und Kapitalmarktaufsicht, s. § 2 FinDAG. Schon diese Bereiche zeigen, dass der Begriff keineswegs homogen verwandt wird und damit offen genug ist, um als formaler Oberbegriff für verschiedene, aber eben nicht überzeugend voneinander abgrenzbare Erscheinungsformen staatlicher Einflussnahme auf die Wirtschaft zu fungieren, der auch die vermeintlich modernen Erscheinungsformen umfasst.
Soweit man sich in der Literatur gegen den Aufsichtsbegriff ausspricht und diesen vor allem durch den Begriff der Wirtschaftsüberwachung ersetzt, so will man auf die Unterscheidung von der dem Innenbereich des Staates zuzuordnenden Rechts- und Fachaufsicht hinweisen[62] oder aber sich von der Tradition des wohlfahrtsstaatlichen Etatismus, aus dem der Aufsichtsbegriff stammt, abgrenzen[63]. In der Sache ist mit einem solchen Austausch der Begrifflichkeiten allerdings nicht viel gewonnen. Der Begriff der Wirtschaftslenkung indiziert mit deutlich unterschiedlichen Schwerpunkten eine stärker intervenistische oder aktiv gestaltende Einflussnahme wie man sie etwa im Energiewirtschaftsrecht, Telekommunikationsrecht, aber auch im Recht der Banken- und Versicherungsaufsicht findet[64]. Eine solche Abgrenzung ist aber weder trennscharf möglich noch lassen sich die beispielhaft genannten Teilbereiche einheitlich klassifizieren, stehen doch klassisch aufsichtsrechtliche und lenkende Erscheinungsformen häufig innerhalb eines Rechtsgebietes nebeneinander. Zum Teil bezieht sich der Begriff aber auch auf den Zusammenhang mit dem allgemeinen Verwaltungsrecht, wenn beispielsweise gefordert wird, die klassische Ordnungs- und Leistungsverwaltung um einen dritten Typus der „lenkenden“ oder „vermittelnden Verwaltung“ zu ergänzen[65]. Insoweit interpretiert man Regulierungsrecht als „moderne Form indirekter staatlicher Steuerung“[66], obwohl viele Varianten von Regulierung mit sehr direkten (und intensiven) staatlichen Eingriffen verbunden sind.
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Neben diese Aufsichtsfunktion tritt klassischerweise die Aufgabe der Daseinsvorsorge (s. dazu und den „Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse“ unten Rn 735 ff), die traditionell jedenfalls in Deutschland (und den meisten europäischen Staaten) vor allem durch staatliche Monopole erbracht wurde[67]. Insoweit vollzog sich – besonders deutlich im Telekommunikationsrecht – ein Paradigmenwechsel. Infolge der Privatisierung der staatlichen Monopole wurde die staatliche Leistungserbringung ersetzt durch eine besondere, verfassungsrechtlich verankerte Gewährleistungs- oder Infrastrukturverantwortung des Staates[68]. Gleichzeitig wurde der Staat vom Leistungserbringer zur Regulierungsinstanz[69], im öffentlichen Wirtschaftsrecht tauchte der Begriff des Regulierungsrechts[70] auf. Für die klassische ökonomische Theorie umfasst Regulierung alle hoheitlichen Eingriffe in die Gewerbe- und Vertragsfreiheit, die nicht allein der Durchsetzung allgemein gültiger Spielregeln gelten[71]. Im juristischen Kontext tauchte der Regelungsbegriff in Deutschland erstmals im Telekommunikationsrecht auf und wurde damit zu einem in seiner Bedeutung freilich häufig überschätzten Rechtsbegriff[72]. Regulierung im Rechtssinn lässt sich als Verhaltenssteuerung von Wirtschaftssubjekten durch hoheitliche Ge- und Verbote – normativ