Verfassungsprozessrecht. Christian Hillgruber

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Verfassungsprozessrecht - Christian Hillgruber Schwerpunkte Pflichtfach

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gerade nicht die Befugnis, sein Verfahren selbst zu regeln[23]. Die erstrittene Geschäftsordnungsautonomie betrifft lediglich den internen Geschäftsgang, nicht aber die Stellung des BVerfG gegenüber den Verfahrensbeteiligten. Die Redeweise vom BVerfG als „Herr seiner Verfahren“ wird denn auch im Schrifttum als „gründlich missglückt“ charakterisiert[24], verbunden mit der Aufforderung, sie tunlichst beiseite zu lassen[25]. Verfahrensherrschaft kann danach in der Tat nicht rechtliche Ungebundenheit bedeuten; die Regelungen des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes über die Verfassung und das Verfahren des BVerfG stehen nicht zur Disposition des Gerichts. Das BVerfG nennt sich denn nun auch – präziser – Herr des Verfahrens „im Rahmen rechtlicher Bindungen“ (BVerfGE 60, 175, 213).

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      Trotzdem ist es nicht falsch, wenn das BVerfG als „Herr des verfassungsgerichtlichen Verfahrens“ bezeichnet wird, also als derjenige, der den Ablauf des Verfahrens nach seinem eigenen Willen bestimmt. Diese Herrschaft vollzieht sich indes nicht schlicht und einfach durch – rechtswidrige – Missachtung des vorrangigen Verfahrensgesetzesrechts, sondern – subtiler und verfahrensrechtlich unangreifbar – durch dessen „eigenmächtige“ Interpretation. So hat beispielsweise das BVerfG mit der Entwicklung der so genannten Doppelhypothese (siehe dazu Rn 1054 ff) einen autonomen, von den sonstigen Prozessordnungen abweichenden Entscheidungsmaßstab für seine Entscheidung über beantragte einstweilige Anordnungen nach § 32 BVerfGG festgelegt. Darüber hinaus hat es die gesetzlich vorgesehenen Rechtsfolgenaussprüche bei Normverwerfungen „ausdifferenziert“ und damit modifiziert. Mit Hilfe dieser Selbststeuerung des verbindlichen Entscheidungsinhaltes übt es interpretative Herrschaft im Verfahren aus. Gleiches gilt für die Extension der Entscheidungswirkungen nach § 31 Abs. 1 BVerfGG, indem hier die Bindungswirkung über den Entscheidungstenor hinaus auf die tragenden, verfassungsrechtlichen Gründe erstreckt wird, und für die Vollstreckungsanordnungen nach § 35 BVerfGG (dazu Rn 28 ff).

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      Die Frage, ob das BVerfG bei alledem stets die Grenzen möglicher Auslegung der einschlägigen Verfahrensvorschriften hinreichend beachtet hat oder – darüber hinausgehend – in unzulässiger Weise Rechtsfortbildung betrieben hat (äußerst kritisch insoweit zum OMT-Vorlagebeschluss die Sondervoten Lübbe-Wolff und Gerhardt, BVerfGE 134, 366, 419 ff, 430 ff, vgl auch Rn 70 f), die allein Sache des Gesetzgebers ist, erscheint müßig. Denn sowohl die Interpretation wie auch eine etwaige Rechtsfortbildung ist verfahrensrechtlich nicht angreifbar, allenfalls, wenn der Gesetzgeber die dafür notwendige „Widerstandskraft“ aufbringen sollte, gesetzlich mit Wirkung pro futuro revidierbar.

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      In diesem Sinne einer Interpretationsherrschaft kommt dem BVerfG in der Tat aufgrund seiner Kompetenz zur verbindlichen Letztentscheidung der reklamierte Anspruch auf Herrschaft über und durch das Verfahren zu; die prozessrechtliche Gebundenheit geht also mit interpretativer Autonomie einher.

      § 1 Die Stellung des Bundesverfassungsgerichts im Verfassungsgefüge der Bundesrepublik Deutschland › V. Das Bundesverfassungsgericht – Herr der Vollstreckung?

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