Verfassungsprozessrecht. Christian Hillgruber

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Verfassungsprozessrecht - Christian Hillgruber Schwerpunkte Pflichtfach

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zwischen BVerfG und Gesetzgeber geht es um die Gegenläufigkeit von politischer Rechtsetzungsmacht einerseits und der verfassungsgerichtlichen Befugnis andererseits, in Normenkontrollverfahren Gesetze des Parlaments außer Kraft zu setzen, sofern und soweit diese dem GG widersprechen. Ein solches richterliches Prüfungs- und Verwerfungsrecht am Maßstab der Verfassung verändert die Gewaltenbalance zum Nachteil der gesetzgebenden Körperschaften; ihre Rolle im Prozess der Verfassungskonkretisierung reduziert sich auf die eines „gestaltende[n] Erstinterpret[en]“[42] und Erstanwenders der Verfassung (vgl BVerfGE 101, 158, 236). Zwar folgt schon aus dem Vorrang der Verfassung gewissermaßen spiegelbildlich der Nachrang des Gesetzes; aber erst das Letztentscheidungsrecht des BVerfG auch hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit vom Parlament erlassener Gesetze führt dazu, dass das Parlament nur noch das Recht des ersten interpretativen Zugriffs auf die Verfassung hat, in der „Vorhand“ ist, aber sich der maßgeblichen Letztinterpretation der Verfassung durch das kontrollierende BVerfG ausgesetzt und unterworfen sieht. Nicht nur der Gesetzgeber, der sich in unzulässiger Weise seiner verfassungsrechtlichen Bindungen entledigen will, sondern auch der redliche, die offenen und daher häufig mehrdeutigen Verfassungsbestimmungen lege artis auslegende Gesetzgeber sieht seine Verfassungsinterpretation durch das letzte Wort, das dem BVerfG gehört, überspielt („overruling“). Dieses Ergebnis tritt häufig ein, weil das BVerfG die verfassungsinterpretierende und -konkretisierende Staatspraxis anderer Staatsorgane bei der Auslegung der diese verpflichtenden Verfassungsbestimmungen nur äußerst selten berücksichtigt oder gar als für die Auslegungsfrage präjudiziell beachtet (vgl ausnahmsweise BVerfGE 62, 1, 1 f (LS 4), 38 f zu Art. 68 GG – Bundestagsauflösung 1983)[43].

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      Es besteht die Gefahr einer schleichenden, durch extensive Verfassungsinterpretation bewirkten „Veränderung des vom Grundgesetz festgelegten gewaltenteiligen Verhältnisses zwischen Gesetzgeber und Verfassungsgericht“, die Gefahr eines Einbruchs des BVerfG in den originären Kompetenzbereich des Gesetzgebers (vgl BVerfGE 93, 121, 151 f – SV Böckenförde; siehe auch BVerfGE 135, 1, 29, 32 – SV Masing: „Zu entscheiden, was Recht sein soll, ist im demokratischen Rechtsstaat grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, der hierfür gewählt wird und sich in einem politischen Prozess vor der Öffentlichkeit verantworten muss.“

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      Wie kann die Gefahr gebannt werden? Wo liegt die Grenze der Verfassungsgerichtsbarkeit? Umfang und Grenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit werden durch den dem BVerfG durch das Grundgesetz und auf dessen Grundlage erteilten Kontrollauftrag bestimmt. Seine Funktionsgrenze wird durch seine auf die Verfassung als Prüfungsmaßstab begrenzte Kompetenz gezogen: „Denn richterliche Entscheidungen sind als Entscheidungen durch Amtsträger, die der Bürger durch die Ausübung seines Wahlrechts weder unmittelbar noch mittelbar zur Verantwortung ziehen kann, vor dem Demokratie- und dem Gewaltenteilungsprinzip nur als Entscheidungen nach rechtlichen Regeln gerechtfertigt“ (Sondervotum Lübbe-Wolff, BVerfGE 134, 366, 419, 421).

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      Das BVerfG wahrt also den eigenständigen Funktionsbereich der anderen Verfassungsorgane, wenn es sich – entsprechend seinem Kontrollauftrag – darauf beschränkt nachzuprüfen, ob sich die zu kontrollierenden Staatsgewalten, auch der Gesetzgeber, innerhalb der verfassungsrechtlichen Grenzen gehalten haben, die das GG als verfassungsrechtliche Rahmenordnung der ihnen im Übrigen zukommenden Gestaltungsfreiheit gezogen hat. „Allein dort, wo verfassungsrechtliche Maßstäbe für politisches Verhalten normiert sind, kann das BVerfG ihrer Verletzung entgegentreten“ (BVerfGE 62, 1, 51). Die Kognitionskompetenz des BVerfG ist wie alles richterliche Entscheiden auf „determinationskräftige rechtliche Maßstäbe“ angewiesen (Sondervotum Lübbe-Wolff, BVerfGE 134, 366, 419, 421). Im Ergebnis sind damit genuin politische Fragen von der verfassungsgerichtlichen Befassung ausgenommen, wie dies die vom BVerfG nicht übernommene political-question-Doktrin postuliert.

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