Verfassungsprozessrecht. Christian Hillgruber
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§ 2 Verfahrensarten und Verfahrensgrundsätze › III. Die Zuständigkeiten des Bundesverfassungsgerichts im Überblick › 8. Weitere im Grundgesetz geregelte Zuständigkeiten
8. Weitere im Grundgesetz geregelte Zuständigkeiten
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Art. 93 Abs. 1 Nr 5 GG verweist auf „die übrigen in diesem Grundgesetze vorgesehenen Fälle“. Einen guten Überblick darüber, um welche Fälle es sich hier handelt, gibt der Katalog des § 13 BVerfGG[35]. Zu nennen sind beispielsweise das Parteiverbotsverfahren (Art. 21 Abs. 2 GG, § 13 Nr 2 BVerfGG) und das Verfahren über den Ausschluss von Parteien von staatlicher Finanzierung (Art. 21 Abs. 3 GG, § 13 Nr 2a BVerfGG)[36], die Präsidentenanklage (Art. 61 GG, § 13 Nr 4 BVerfGG), vor allem aber die Zuständigkeit zur Entscheidung über die Vereinbarkeit eines Bundes- oder Landesgesetzes mit dem GG auf Vorlage eines Gerichts (Art. 100 Abs. 1 GG, § 13 Nr 11 BVerfGG). Der Gesetzgeber hat das in der Praxis sehr bedeutsame konkrete Normenkontrollverfahren in den §§ 80–82 BVerfGG näher ausgestaltet, wobei in § 82 Abs. 1 BVerfGG die entsprechende Anwendung der für das abstrakte Normenkontrollverfahren geltenden §§ 77–79 BVerfGG angeordnet wird.
§ 2 Verfahrensarten und Verfahrensgrundsätze › III. Die Zuständigkeiten des Bundesverfassungsgerichts im Überblick › 9. Einfachgesetzlich geregelte Zuständigkeiten
9. Einfachgesetzlich geregelte Zuständigkeiten
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Aus Art. 93 Abs. 3 GG ergibt sich, dass der Bundesgesetzgeber dem BVerfG weitere Zuständigkeiten zuweisen kann. Das ist beispielsweise geschehen durch § 36 Abs. 2 PUAG (§ 13 Nr 11a BVerfGG, Verfahrensregelungen finden sich in 82a BVerfGG). Bedeutsam ist auch die Zuständigkeit des BVerfG zur Entscheidung über das Verbot der Ersatzorganisation einer verbotenen Partei (§ 33 Abs. 2 PartG). Eher exotisch, aber bereits einmal relevant geworden ist die in § 24 des Gesetzes über das Verfahren bei Volksentscheid, Volksbegehren und Volksbefragung nach Art. 29 Abs. 6 des Grundgesetzes vom 30. Juli 1979 (BGBl I, 1317) geregelte Zuständigkeit des Zweiten Senats des BVerfG zur Entscheidung über Beschwerden gegen die Ablehnung oder die Zulassung von Anträgen auf Durchführung eines Volksbegehrens (vgl BVerfGE 96, 139 ff).
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Neu hinzugekommmen sind in den letzten Jahren ua die Verzögerungsrüge, mittels derer Verfahrensbeteiligte nun auch eine etwaige überlange Verfahrensdauer vor dem Bundesverfassungsgericht rügen können, und die anschließend zu erhebende Verzögerungsbeschwerde, über die die aus zwei Richtern des Bundesverfassungsgerichts bestehende Beschwerdekammer entscheidet und die, soweit sie zulässig und begründet ist, Entschädigung und Wiedergutmachung zuspricht (§§ 97a–97e BVerfGG).[37] Ferner wurde 2013[38] der Rechtsschutz in Wahlsachen bei der Europawahl dahingehend angeglichen, dass auch gegen die Zurückweisung von Wahlvorschlägen zur Europawahl wegen fehlenden Vorschlagsrechts gem. § 14 Abs. 4a S. 1 EuWG die Nichtanerkennungsbeschwerde zum BVerfG eröffnet ist.[39] Der 2017 neu eingeführte § 17a Abs. 4 BVerfGG schließlich eröffnet Betroffenen die Möglichkeit, gegen die in § 17a BVerfGG vorgesehenen Anordnungen des Vorsitzenden den Senat anzurufen. In der Literatur wird mit Recht vorgeschlagen, die Anrufung des Senats auch zur Überprüfung sitzungspolizeilicher Maßnahmen und der Entscheidung von Akteneinsichtsgesuchen zuzulassen.[40]
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Die Ermächtigung des Art. 93 Abs. 3 GG ist zwar nicht auf die Zuweisung verfassungsrechtlicher Streitigkeiten beschränkt (offen BVerfGE 31, 371, 377). Man wird jedoch aus den Art. 92, 95 und 99 GG schließen können, dass der Bundesgesetzgesetzgeber dem BVerfG weder die letztinstanzliche Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten am Maßstab des einfachen Rechts noch Landesverfassungsstreitigkeiten zuweisen darf[41].
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Auch der Landesgesetzgeber kann dem BVerfG Zuständigkeiten zuweisen. Grundlage hierfür ist Art. 99 GG (1. Alt.). Die Vorschrift ermöglicht es den Ländern, auf die Einrichtung einer eigenen Verfassungsgerichtsbarkeit zu verzichten und dem BVerfG die Entscheidung landesrechtlicher Verfassungsstreitigkeiten zuzuweisen. Von dieser Möglichkeit hatte Schleswig-Holstein bis 2008 Gebrauch gemacht (s. dazu Rn 1101 und zuletzt BVerfGE 120, 82 ff). Das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht „als Landesverfassungsgericht“ (BVerfGE 102, 82, 101) ist in §§ 73–75 BVerfGG näher geregelt[42]. Gegenwärtig ist es praktisch bedeutungslos.
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Literatur:
H. Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 13 Vorb; ders., Verfahrenskonkurrenzen beim Bundesverfassungsgericht. Überschneidungen und Verbindungen von Verfahrensarten, Jura 1997, 591; S. Detterbeck, in: Sachs, GG, Art. 93; A. Hopfauf, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, Art. 93; W. Löwer, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III (32005), § 70; C. Möllers, Funktionen des Verfassungsprozessrechts. Zugleich ein Beitrag zum Verhältnis von Verfahrensrecht und materiellem Recht, in: GS Heun, 149 ff; A. Voßkuhle, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG III, Art. 93; C. Walter, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 93.
Anmerkungen
Zum Begriff der „rechtsprechenden Gewalt“ umfassend C. Hillgruber, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 92 Rn 8 ff.
Zu den Entscheidungswirkungen Rn 12 ff; H.P. Aust/F. Meinel, JuS 2014, 25–27 und umfassend K. Schlaich/S. Korioth, Das BVerfG, Rn 475 ff.
§ 97 BVerfGG aF, s. dazu die Erläuterungen bei W. Geiger, BVerfGG, § 97.
Näher dazu W. Heyde, in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 97 Rn 1 ff.
S. Detterbeck, in: Sachs, GG, Art. 93 Rn 31.
AA H. Lechner/R. Zuck, BVerfGG, Vor § 63 Rn 6 m. Fn 11.
S. zum Verhältnis von Art. 4 Abs. 1, 2 GG und Art. 140 GG iVm Art. 139 WRV am Beispiel der Ladenschlussentscheidung (BVerfGE 125, 39–103) näher C. Goos, StudZR 2010, 477 ff.