Verfassungsprozessrecht. Christian Hillgruber
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Wo dem BVerfG weder durch das GG noch durch verfassungsgemäßes Bundesgesetz die Entscheidungszuständigkeit zugewiesen ist, darf es nicht tätig werden: „Nicht jeder im objektiven Verfassungsrecht begründeten Pflicht muss also ein vor dem BVerfG verfolgbarer Anspruch eines anderen Beteiligten gegenüberstehen“ (BVerfGE 13, 54, 96). Das BVerfG darf nur in der Sache entscheiden, wenn es zuständig ist und die Voraussetzungen für eine Entscheidung in der Sache – die Zulässigkeitsvoraussetzungen – vorliegen (so bereits BVerfGE 1, 184, 196). Sie ergeben sich teils aus dem GG selbst, teils aus dem BVerfGG.
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Wo das GG dem BVerfG – ob in Art. 93 GG selbst oder an anderer Stelle – Zuständigkeiten ausdrücklich zuweist, finden sich zT auch mehr oder weniger detaillierte Regelungen über die Grundstrukturen des jeweiligen Verfahrens, zB über den Kreis der Beteiligten, den Angriffsgegenstand, den Prüfungsmaßstab oder die Antragsbefugnis. Dem Bundesgesetzgeber, der gemäß Art. 94 Abs. 2 S. 1 GG das Verfahren des Gerichts regelt und dies im BVerfGG getan hat, bleibt die verfassungsgemäße Konkretisierung dieser Vorgaben. Er darf dem Gericht weder Zuständigkeiten entziehen, die ihm nach dem GG zukommen sollen, noch den Zugang zum Gericht ohne rechtfertigenden Grund erschweren oder gar unmöglich machen.
§ 2 Verfahrensarten und Verfahrensgrundsätze › II. Zuständigkeits- und Verfahrensregelungen › 2. Bindung des BVerfG an verfassungswidrige Verfahrensregelungen?
2. Bindung des BVerfG an verfassungswidrige Verfahrensregelungen?
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Tut der Gesetzgeber dies gleichwohl, befindet sich das BVerfG in einer misslichen Lage: Durch eine verfassungswidrige Verfahrensregelung im BVerfGG, etwa: durch den verfassungswidrigen Ausschluss bestimmter Beteiligter von einem bestimmten Verfahren (vgl Rn 421 ff zu § 63 BVerfGG) oder unverhältnismäßig strenge Zulässigkeitsvoraussetzungen, kann das Gericht nicht gebunden sein. Andererseits ist es an sich nicht berechtigt, verfassungswidrige Normen, die sein Verfahren regeln, anlässlich der Entscheidung in einem konkreten Rechtsstreit ohne Antrag eines hierzu berechtigten Antragstellers für nichtig zu erklären.[6] Das Gericht behilft sich damit, solche Normen schlicht außer Anwendung zu lassen und sein Verfahren an den Vorgaben des Grundgesetzes auszurichten. Weil niemand außer dem BVerfG das BVerfGG anwendet, kommt die Wirkung der Nichtanwendung der förmlichen Nichtigerklärung dieser Vorschriften gleich.
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Angesichts dessen stellt sich die Frage, ob das BVerfG nicht solche Vorschriften der Klarheit halber dem jeweils anderen Senat nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG vorlegen sollte. Der Wortlaut der Vorschrift stünde einer solchen Vorgehensweise nicht entgegen. Auch der Einwand des nemo iudex in causa sua griffe nicht durch, weil es zu einer Entscheidung des BVerfG nur auf verfahrenseinleitenden Antrag hin kommen kann (§ 23 Abs. 1 S. 1 BVerfGG).
§ 2 Verfahrensarten und Verfahrensgrundsätze › II. Zuständigkeits- und Verfahrensregelungen › 3. Problematische Zuständigkeitserweiterungen
3. Problematische Zuständigkeitserweiterungen
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Verboten ist es dem BVerfG nicht nur, seine Zuständigkeiten durch Selbstermächtigung zu erweitern, sondern auch, sich über zuständigkeitsbegrenzende Zulässigkeitsvoraussetzungen hinwegzusetzen, die sich aus dem GG und verfassungsgemäßen Bestimmungen des BVerfGG ergeben. In einer Entscheidung aus dem Jahr 1966 führt das Gericht zutreffend aus (BVerfGE 21, 52, 53 f):
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„Die Bestimmung des Kreises der Antragsberechtigten hat nicht nur technische Bedeutung; sie hängt eng mit dem verfassungsrechtlichen und verfassungspolitischen Gehalt der Rechtsstreitigkeiten zusammen, die dem BVerfG zur Entscheidung zugewiesen sind. Die Antragsberechtigung kann daher nicht im Wege der Analogie aus Gründen eines vermeintlichen Sachbedürfnisses erweitert werden. Das Gericht würde damit die der Verfassungsgerichtsbarkeit vom GG gezogenen Grenzen durch Zulassung neuer Verfassungsstreitigkeiten überschreiten und so von einer wichtigen Grundentscheidung des Verfassungsgebers abweichen. Dazu ist es nicht befugt.“
a) „In-Verbindung-mit“-Judikatur
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Heikel ist in dieser Hinsicht vor allem die Rechtsprechung des BVerfG zum Verfassungsbeschwerdeverfahren. Aus Art. 93 Abs. 1 Nr 4a GG ergibt sich, dass der Beschwerdeführer behaupten können muss, in einem seiner Grundrechte (dh in subjektiven Rechten, die sich im ersten Abschnitt des Grundgesetzes unter der Überschrift „I. Die Grundrechte“ finden) oder in einem seiner in Art. 20 Abs. 4, 33, 38, 101, 103 und 104 GG enthaltenen Rechte verletzt zu sein. Die Aufzählung weiterer Vorschriften des Grundgesetzes, aus denen verfassungsbeschwerdefähige Rechte folgen können, macht nur dann Sinn, wenn sie als Ausschluss nicht genannter Vorschriften des Grundgesetzes in den Abschnitten II. bis XI. verstanden wird, aus denen ebenfalls subjektive Rechte folgen können.
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Trotzdem hat das BVerfG immer wieder Verfassungsbeschwerden gegen fachgerichtliche Entscheidungen für zulässig erachtet, die der Beschwerdeführer auf eines der enumerierten Rechte in Verbindung mit einem thematisch nahe stehenden, aber nicht in Art. 93 Abs. 1 Nr 4a GG als rügefähig genannten subjektiven Recht oder einer Vorschrift des objektiven Verfassungsrechts gestützt hatte. Das ist unproblematisch (und im Grunde auch unnötig), soweit die Verletzung dieses nicht genannten Rechts zu einer Verletzung des rügefähigen Rechts führt, was aber eher die Ausnahme sein dürfte[7]. Wo es sich nicht um solche Ausnahmen handelt, besetzt das BVerfG durch seine „In-Verbindung-mit“-Judikatur Zuständigkeiten, die ihm nach geltendem Recht nicht zukommen.
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Kritisch zu sehen sind daher beispielsweise die Ausführungen des Gerichts zur Verfassungsbeschwerde eines Bundestagsabgeordneten, der eine Verletzung seiner Rechte „aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Art. 47 Satz 2 GG“ gerügt hatte (BVerfGE 108, 251, 267): „Der Beschwerdeführer […] kann nicht auf das Organstreitverfahren als vorrangige Rechtsschutzmöglichkeit verwiesen werden […]. Hier macht der Beschwerdeführer […] nicht seine organschaftliche Stellung gegenüber einem im Organstreitverfahren parteifähigen Verfassungsorgan geltend. Vielmehr rügt er die Verletzung eines im fachgerichtlichen Verfahren zu berücksichtigenden subjektiven öffentlichen Rechts durch die öffentliche Gewalt. In diesem Fall muss dem Abgeordneten die verfassungsrechtliche Klärung der Frage,