Klausurenkurs im Öffentlichen Wirtschaftsrecht. Stefan Storr

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Klausurenkurs im Öffentlichen Wirtschaftsrecht - Stefan Storr Schwerpunkte Klausurenkurs

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Richtlinie 2005/36/EG bewirkt gerade keine Vollharmonisierung für den Zugang zu reglementierten Berufen, sondern stellt allein Anforderungen an die wechselseitige Anerkennung von im Herkunftsstaat erworbenen Befähigungsnachweisen[38]. Sollte der Richtlinie hingegen eine abschließende Regelung über die Zulässigkeit eines Genehmigungserfordernisses entnommen werden, so würde dies erst bei der Frage der Rechtfertigung eines Eingriffs in die Niederlassungsfreiheit zum Tragen kommen. Die sog. Sperrwirkung des Sekundärrechts ist im Übrigen nicht nur begrenzt durch den konkreten Regelungsinhalt der Richtlinie, sondern kann den Rechtsanwender auch nicht davon entbinden, die Sekundärrechtsnormen im Lichte des Primärrechts auszulegen[39].

      bb) Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit

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      Die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV schützt natürliche und juristische Personen. Nach Art. 54 Abs. 1 AEUV bemisst sich die Anerkennung juristischer Personen nach dem mitgliedstaatlichen Recht. Sie müssen, um Träger der Niederlassungsfreiheit zu sein, ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Union haben. Dies trifft auf die MS Ltd. zu, die sowohl ihren satzungsmäßigen Sitz als auch ihre Hauptverwaltung in Irland hat. Als Erwerbszwecke verfolgendes Unternehmen iSv Art. 54 Abs. 2 AEUV ist für die MS Ltd. der persönliche Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit eröffnet.

      In sachlicher Hinsicht schützt die Niederlassungsfreiheit die Niederlassung einer natürlichen oder juristischen Person zum Zwecke der Aufnahme und Ausübung einer selbstständigen Erwerbstätigkeit und die Gründung und Leitung von Unternehmen in einem anderen Mitgliedstaat. Die selbstständige Erwerbstätigkeit ist jede entgeltliche Tätigkeit, die in eigener Verantwortung und weisungsfrei erfolgt. Derartige Tätigkeiten werden von der MS Ltd. erbracht. In Abgrenzung von der Dienstleistungsfreiheit müssen diese Tätigkeiten mittels einer Niederlassung erfolgen. Der primären Niederlassung als dem Wechsel der Ansässigkeit stellt Art. 49 Abs. 1 S. 2 AEUV die Gründung von Agenturen, Zweigniederlassungen und Tochtergesellschaften gleich (sog. sekundäre Niederlassung). Ihre rechtsförmliche Verselbstständigung ist nicht geboten[40]. Allerdings muss es sich um eine feste Einrichtung in einem anderen Mitgliedstaat auf unbestimmte Zeit handeln[41]. Die feste Einrichtung besteht hier in den angemieteten Geschäftsräumen, und nach einer wertenden Gesamtbetrachtung[42] ist davon auszugehen, dass die gewerbliche Tätigkeit mittels der Niederlassung dauerhaft ausgeübt wird.

      Die Eröffnung des Schutzbereichs könnte nur noch dann versperrt sein, wenn die Bereichsausnahme nach Art. 51 AEUV greift. Auf selbstständige Tätigkeiten, die dauerhaft oder teilweise mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind, finden Art. 49 ff AEUV keine Anwendung. Tätigkeiten Privater sind nur dann mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden, wenn sie die Möglichkeit verschaffen, gegenüber dem Bürger von Sonderrechten und Zwangsbefugnissen Gebrauch zu machen[43]. Diese Option besitzt das private Sicherheitsgewerbe gerade nicht, wenn nicht ausnahmsweise eine Beleihung vorliegt, wie § 34a Abs. 5 GewO – deklaratorisch – zum Ausdruck bringt[44]. Deshalb greift Art. 51 AEUV nicht.

      cc) Eingriff in die Niederlassungsfreiheit

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      Art. 49 Abs. 1 AEUV verbietet Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit durch die Mitgliedstaaten[45]. Verboten sind demgemäß nicht nur unmittelbar und mittelbar diskriminierende Regelungen, die an die Herkunft des Unternehmens anknüpfen[46]. Nach der sog. Dassonville-Formel ist Eingriff jede staatliche Maßnahme, die unmittelbar oder mittelbar, mit tatsächlicher oder potentieller Wirkung den Gebrauch der Grundfreiheiten beeinträchtigt[47]. Das Beschränkungsverbot fordert, dass sich auch mitgliedstaatliche Maßnahmen, die sich unterschiedslos gegen Inländer und Ausländer richten, als Eingriff in die Grundfreiheiten rechtfertigen müssen. Dies sind Maßnahmen, die die Ausübung der Niederlassungsfreiheit behindern oder weniger attraktiv machen[48]. Hierzu gehören vornehmlich Regelungen, welche die Freiheit der Standortwahl – also den ungehinderten Zuzug oder Wegzug – beeinträchtigen. Eine Norm wie § 34a GewO, welche die Niederlassung eines Gewerbetreibenden aus einem anderen Mitgliedstaat von der vorherigen Erteilung einer Erlaubnis abhängig macht, ist eine Beschränkung iSd Art. 49 AEUV[49].

      Exkurs:

      Der EuGH hat durch die sog. Keck-Formel den Eingriffstatbestand für die Warenverkehrsfreiheit reduziert. Danach fallen mitgliedstaatliche Regelungen über bestimmte Verkaufsmodalitäten, sofern sie alle Wirtschaftsteilnehmer gleichermaßen treffen und den Absatz der inländischen und ausländischen Erzeugnisse rechtlich wie tatsächlich in gleicher Weise berühren, nicht unter das Verbot des Art. 34 AEUV[50] (Fall 2). Nicht vollends geklärt ist, ob und inwieweit sich diese Rechtsprechung auf die anderen Grundfreiheiten übertragen lässt. Für eine Übertragung der Keck-Formel spricht, dass sich in der Rechtsprechung des EuGH mittlerweile eine Konvergenz zu einer gemeinsamen Dogmatik der Grundfreiheiten feststellen lässt[51]. Ihr Zweck besteht darin, den überaus weiten Anwendungsbereich einzugrenzen, wenn nicht der Marktzugang, sondern nur Modalitäten im Markt betroffen sind[52], was wie bei der Warenverkehrsfreiheit ebenso bei den anderen Grundfreiheiten möglich erscheint[53]. Die neueste Rechtsprechung des EuGH enthält allerdings kaum noch Hinweise auf die Keck-Formel, was darauf zurückzuführen ist, dass sie sich selbst im Bereich der Warenverkehrsfreiheit als wenig praktikabel erwiesen hat. Zur Beschränkung der Weite der Dassonville-Formel wird sie zunehmend von dem Kriterium des Markzugangs und der Relevanzregel abgelöst[54]. Jedenfalls stellt ein Genehmigungserfordernis als konstitutives Hindernis für die Aufnahme einer Tätigkeit aber keine bloße „Aufenthaltsmodalität“ dar, sondern beschränkt den Marktzugang als solchen.

      dd) Rechtfertigung der Beschränkung

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      Die für die Niederlassungsfreiheit anwendbare ausdrückliche Schranke des Art. 52 AEUV umfasst bereits nach ihrem Wortlaut nur Regelungen, die nach der Staatsangehörigkeit bzw. dem Sitz differenzieren. Deshalb lassen sich unterschiedslos geltende Maßnahmen wie das Genehmigungserfordernis nach § 34a Abs. 1 GewO nicht nach dieser Vorschrift rechtfertigen[55]. Auch für die Niederlassungsfreiheit ist allerdings die ungeschriebene Schranke der „zwingenden Erfordernisse“ im Sinne der Cassis-Formel anerkannt[56], in deren Rahmen der EuGH den Mitgliedstaaten im Übrigen im Wege des a fortiori-Schlusses auch bei unterschiedslos geltenden Maßnahmen u.a. die Berufung auf die in Art. 52 AEUV genannten Belange gestattet[57].

      Für die Rechtfertigung ist zwischen einzelnen Genehmigungsvoraussetzungen und einem Genehmigungserfordernis als solchem zu unterscheiden. Hier wendet sich die MS Ltd. nicht gegen bestimmte Genehmigungsvoraussetzungen oder deren Anwendung auf sie, sondern die Erlaubnisbedürftigkeit als solche. Erlaubnisvorbehalte lassen sich als verhältnismäßige Schranke rechtfertigen, da sich ein Selbstständiger mit der (Zweig-)Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat integriert und insoweit keine Besserstellung gegenüber den Inländern beanspruchen kann[58]. Dies gilt auch für das Erlaubnisverfahren für das Sicherheitsgewerbe, das dem Schutz der Allgemeinheit vor unqualifizierten Gewerbetreibenden dient[59].

      Nach alledem liegt in der Genehmigungsbedürftigkeit des Bewachungsgewerbes kein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit.

      Folglich ist auch der Tatbestand des § 15 Abs. 2 S. 1 GewO verwirklicht.

      Exkurs:

      Für normative Erlaubnisvoraussetzungen wird man dies durchaus differenziert sehen müssen. Für das Sicherheitsgewerbe kann sich insbesondere das Gebot, die Tätigkeit nur in Form einer juristischen Person auszuüben, als unverhältnismäßige Beschränkung darstellen,

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