Klausurenkurs im Öffentlichen Wirtschaftsrecht. Stefan Storr

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Klausurenkurs im Öffentlichen Wirtschaftsrecht - Stefan Storr Schwerpunkte Klausurenkurs

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      Die MS Ltd. kann gegen die Untersagung Widerspruch einlegen. Zur Fortführung ihres Bewachungsunternehmens während des Rechtsstreits und zur Vermeidung der auf die Verfügung gestützten sofortigen Verwaltungsvollstreckung wird die MS Ltd. aber zusätzlich einen Antrag beim zuständigen Verwaltungsgericht nach § 80 Abs. 5 S. 1 Alt. 2 VwGO auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs stellen. Ein Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung hat Aussicht auf Erfolg, soweit er zulässig und begründet ist.

      A. Zulässigkeit eines Antrags nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO

      Ein Antrag nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO ist zulässig, soweit alle Sachentscheidungsvoraussetzungen vorliegen.

      I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs

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      Für einen Antrag beim Verwaltungsgericht auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes muss der Verwaltungsrechtsweg eröffnet sein. Da aufdrängende Sonderzuweisungen nicht ersichtlich sind, richtet sich dies nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO. Hierzu müsste eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art vorliegen. Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit liegt vor, wenn die streitentscheidenden Normen solche des öffentlichen Rechts sind. Normen des öffentlichen Rechts ermächtigen oder verpflichten ausschließlich Hoheitsträger als solche. Hier wird um die Rechtmäßigkeit einer Untersagung nach § 15 Abs. 2 GewO und damit um eine Norm gestritten, die einseitig einen Träger staatlicher Gewalt als solchen berechtigt. Da zudem mangels doppelter Verfassungsunmittelbarkeit eine Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art vorliegt und keine abdrängenden Zuweisungen ersichtlich sind, ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet.

      II. Statthafte Rechtsschutzform

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      Die statthafte Rechtsschutzform richtet sich nach dem Begehren des Antragstellers (§§ 88, 122 Abs. 1 VwGO). Ein Antrag nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO ist statthaft, wenn es der MS Ltd. um die Anordnung bzw Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs geht, mithin in der Hauptsache die Anfechtungsklage statthaft wäre (§ 123 Abs. 5 VwGO). Die Fortsetzungsuntersagung nach § 15 Abs. 2 GewO, durch die der MS Ltd. der weitere Betrieb untersagt wird, weist alle Merkmale eines Verwaltungsaktes iSd § 35 S. 1 VwVfG auf. Folglich ist ein Antrag nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO statthaft.

      Da die Behörde die sofortige Vollziehung angeordnet hat (§ 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO), kommt dem Widerspruch gegen die Verfügung keine aufschiebende Wirkung zu. Daher ist der Antrag auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 S. 1 Alt. 2 VwGO gerichtet.

      III. Beteiligungsfähigkeit der MS Ltd

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      Die MS Ltd. ist im vorläufigen Verfahren vor dem Verwaltungsgericht nach § 61 Nr. 1 Alt. 2 VwGO beteiligungsfähig und analog § 63 Nr. 1 VwGO Antragstellerin.

      Exkurs:

      Die für § 61 Nr. 1 Alt. 2 VwGO maßgebliche Rechtsfähigkeit der in Irland gegründeten MS Ltd. steht hier nicht in Frage. Bei natürlichen Personen ist die Rechtsfähigkeit nach dem Herkunftsstaat maßgeblich (Art. 7 EGBGB)[1]. Für juristische Personen ist auf das Gesellschaftsstatut abzustellen[2]. Wenn ein Unternehmen, das – wie die MS Ltd. – im Herkunftsstaat seinen effektiven Verwaltungssitz hat und nach seinem Gesellschaftsstatut rechtswirksam errichtet wurde, in Deutschland eine Zweigniederlassung gründet und damit sein Tätigkeitsgebiet ausdehnt, ist es auch in Deutschland rechtsfähig[3]. Europarechtlich umstritten waren hingegen die Konstellationen, in denen ein Unternehmen zu einem späteren Zeitpunkt vorwiegend oder ausschließlich in einen anderen Mitgliedstaat als dem Herkunftsstaat seine Geschäftstätigkeit erbringt (Sitzverlagerung) oder von vornherein nach der Gründung ausschließlich in einem anderen Mitgliedstaat tätig ist (sog. Scheinauslandsgesellschaften). Die im deutschen Internationalen Gesellschaftsrecht traditionell zugrunde gelegte Sitztheorie, welche eine Begründung der Rechtsfähigkeit für den tatsächlichen Verwaltungssitz durch Neugründung verlangte, ist mit der Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49, 54 AEUV nicht zu vereinbaren[4]. Gegenüber zuziehenden Unternehmen aus Drittstaaten – dh solchen, die weder der EU noch dem EWR angehören – kommt aber weiter die Sitztheorie zur Anwendung mit der Folge des Gebots einer Neugründung zur Herstellung der Rechtsfähigkeit. Allerdings verschafft der BGH diesen Unternehmen insofern Erleichterungen, als sie zumindest nach den für die OHG und KG (§§ 124, 161 Abs. 2 HGB) oder die GbR[5] geltenden Grundsätzen rechts- und parteifähig sind[6]. Wegen der insoweit bestehenden vollen Parteifähigkeit sind Unternehmen aus Drittstaaten mit tatsächlichem Verwaltungssitz in Deutschland nach § 61 Nr. 1 Alt. 2 VwGO beteiligungsfähig[7].

      IV. Antragsbefugnis

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      Die MS Ltd. müsste analog § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt sein. Hierzu muss sie geltend machen können, durch die sofortige Vollziehbarkeit der Fortsetzungsuntersagung in ihren Rechten verletzt zu sein. Grundsätzlich kann die MS Ltd. eine mögliche Verletzung von § 1 Abs. 1 GewO geltend machen. § 1 Abs. 1 GewO gestattet „jedermann“ den Betrieb eines Gewerbes und damit auch juristischen Personen[8]. Dass die MS Ltd. eine Gesellschaft irischen Rechts ist, ändert hieran nichts, denn auch ausländische juristische Personen sind jedermann iSv § 1 Abs. 1 GewO.

      Die Untersagung der Fortsetzung des Betriebs nach § 15 Abs. 2 S. 1 GewO hindert die MS Ltd. daran, den Betrieb ihres Gewerbes ungestört fortzusetzen. Es liegt ein Eingriff in die Gewerbefreiheit vor, der möglicherweise rechtswidrig ist.

      Exkurs:

      Sollte unter Verkennung des Anwendungsvorrangs des einfachen Rechts zur Begründung der Antragsbefugnis auf Art. 12 Abs. 1 GG abgestellt werden, bedürfte es der Erörterung der Frage, ob Art. 19 Abs. 3 GG erweiternd auf juristische Personen mit Aktionszentrum in einem anderen EU-Staat anzuwenden ist. Dies hat das BVerfG in seinem Grundsatzbeschluss vom 19.7.2011 zu Recht bejaht, sofern das staatliche Handeln ein Tätigwerden im Anwendungsbereich des EU-Rechts betrifft[9]. Sieht man mit dem BVerfG die für die teleologische Erweiterung des Grundrechtsschutzes maßgebliche Diskriminierung im Vorenthalten des spezifischen Rechtsbehelfs der Verfassungsbeschwerde, so erfasst die Erstreckung des Grundrechtsschutzes auf EU-Unternehmen auch die sog. Deutschengrundrechte und damit auch Art. 12 Abs. 1 GG. Fraglich ist, ob es einer gesonderten Diskussion des „Deutschen“-Begriffs in Art. 12 Abs. 1 GG bedarf. Dagegen spricht, dass Unternehmen keine Staatsangehörigkeit, sondern allenfalls eine Staatszugehörigkeit haben. Diese bestimmt sich im Übrigen nicht nach der Staatsangehörigkeit der sie beherrschenden Mitglieder, sondern nach dem Verwaltungssitz der Vereinigung in Deutschland bzw. in einem EU-Mitgliedstaat[10]. Gleichwohl hat die 3. Kammer des 2. Senats des BVerfG jüngst die Berufungsfähigkeit von EU-Unternehmen auf Art. 12 GG angezweifelt: In Anbetracht seines eindeutigen Wortlautes könnte eine unionsrechtskonforme Erweiterung des Art. 12 GG auf EU-Unternehmen die Wortlautgrenze übersteigen und zu einer Auslegung contra legem führen. Die Kammer tendiert offenbar dazu, stattdessen im Wege unionsrechtskonformer Auslegung von Art. 2 Abs. 1 GG EU-Unternehmen den von Art. 12 GG gewährleisteten Schutz zuteilwerden zu lassen[11].

      Die mögliche Rechtsverletzung durch die sofortige Vollziehbarkeit fällt jedenfalls beim Adressaten der Verfügung mit derjenigen zusammen, die aus dem belastenden Verwaltungsakt selbst resultieren kann. Da die Untersagung der Fortsetzung des Betriebs die MS Ltd. in ihrer Gewerbefreiheit nach § 1 GewO verletzen kann, ist sie auch hinsichtlich der sofortigen Vollziehbarkeit möglicherweise in ihren Rechten verletzt.

      Hinweis:

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