Besonderes Verwaltungsrecht. Mathias Schubert
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Die Gemeindeordnungen[1] sehen durchgängig vor, dass Gemeinden bei öffentlichem Bedürfnis bzw. Gründen des öff. Wohls durch Satzung für die Grundstücke ihres Gebietes den Anschluss an Wasserleitung, Kanalisation und ähnliche der Volksgesundheit dienenden Einrichtungen („Anschlusszwang“) und die Benutzung dieser Einrichtungen und der Schlachthöfe („Benutzungszwang“) vorschreiben können. In der Satzung können Ausnahmen vom Anschluss- und Benutzungszwang zugelassen sein. Der Zwang kann darin auch auf bestimmte Teile des Gemeindegebiets und auf bestimmte Gruppen von Grundstücken oder Personen beschränkt werden (vgl § 15 II m.v.KVerf.; § 13 S. 2 NKomVG; § 9 S. 2 GO NRW)[2].
Teil I Kommunalrecht › § 8 Der Anschluss- und Benutzungszwang › I. Gegenstand eines Anschluss- und Benutzungszwangs
I. Gegenstand eines Anschluss- und Benutzungszwangs
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Wenn in den Gesetzen mit Blick auf einen Anschlusszwang die Rede ist von Wasserleitung, Kanalisation „und ähnlichen“ der Volksgesundheit dienenden Einrichtungen, so wird daraus zum einen deutlich, dass es sich keineswegs um eine abschließende Aufzählung handelt, und zum anderen, dass die dienende Funktion im Hinblick auf die Volksgesundheit das entscheidende Merkmal bildet[3], sodass etwa ein Anschlusszwang für kulturelle Einrichtungen von vornherein als unzulässig ausschiede.
Gemeint sind im Kontext der entsprechenden Vorschriften weiterhin nur solche öffentlichen Einrichtungen, die grundstücksbezogen sind[4].
Im Ausgangsfall ist nach dem Gesetzeswortlaut bereits klar, dass Wasserleitung und Kanalisation zulässigerweise zum Gegenstand eines Anschluss- und Benutzungszwanges gemacht werden können[5].
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In den einschlägigen Bestimmungen (Rn 268) weiterhin aufgeführt, aber speziell nur in Ansehung eines Benutzungszwanges, sind die Schlachthöfe und (teilw.) Bestattungseinrichtungen[6]. Diese lapidare ergänzende Benennung belegt, dass (nur) insoweit auf die vorgenannte Begrenzung durch den Grundstücksbezug der Einrichtung verzichtet wird. Daneben existieren vielfach noch weitere spezialgesetzliche Rechtsgrundlagen für einen Anschluss- und Benutzungszwang[7].
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Die generelle Möglichkeit eines Anschlusszwangs an Einrichtungen zur Versorgung mit Fernwärme und eines auf diese Einrichtungen bezogenen Benutzungszwangs ist in vielen Ländern (vgl Art. 24 I Nr 3 bay.GO; § 15 I m.v.KVerf.; § 13 S. 1 Nr 1a, S. 2 Nr 1a NKomVG; § 9 GO NRW)[8] bereits Tradition. In jüngerer Zeit gewinnt auch die Regelung in § 16 EEWärmeG an Beachtung, nach welcher Gemeinden und Gemeindeverbände von einer landesrechtlichen Bestimmung, die sie zur Begründung eines Anschluss- und Benutzungszwanges an ein Netz der öffentlichen Fernwärme- oder Fernkälteversorgung ermächtigt, auch zum Zwecke des Klima- und Ressourcenschutzes Gebrauch machen können.[9]
Diese (Ausnahme-)Regelung hinsichtlich dieser speziellen Art der Energieversorgung würde unterlaufen werden, wollte man unter Berufung auf Gründe der Volksgesundheit (Umweltschutz) Heizen mit Erdgas mittels Brennwertkessel erzwingen[10]. Im Übrigen bietet § 9 I Nr 23 BauGB der Gemeinde die Möglichkeit, im Wege der Bauleitplanung bei hinreichendem städtebaulichem Anlass ein Verbot der Verwendung bestimmter Heizstoffe auszusprechen[11]. Dies soll letztlich dem Klimaschutz dienen, wirft jedoch in seiner konkreten rechtlichen Ausgestaltung eine Reihe verfassungsrechtlicher Fragen auf[12].
Zumindest eine angemessene Befreiungsmöglichkeit vom Benutzungszwang (dazu noch im Folgenden Rn 277) wird die kommunale Satzung im Lichte der Grundrechte vorsehen müssen[13].
Teil I Kommunalrecht › § 8 Der Anschluss- und Benutzungszwang › II. Voraussetzungen eines Anschluss- und Benutzungszwangs
II. Voraussetzungen eines Anschluss- und Benutzungszwangs
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Gesetzlich normierte Voraussetzung eines Anschluss- und Benutzungszwanges ist allein das Vorliegen eines öffentlichen Bedürfnisses (vgl einerseits § 9 GO NRW, § 11 I bd.wtt.GO u. § 14 I sächs.GO, andererseits § 15 I m.v.KVerf. und § 13 S. 1 aE NKomVG: dringendes öff. Bedürfnis) bzw. von Gründen des öff. Wohls (Art. 24 I Nr 2 bay.GO; § 20 II Nr 2 thür.KO). Über die rechtliche Qualifikation dieser Formeln besteht Streit. Während die Rechtsprechung der meisten Verwaltungsgerichtshöfe und die überwiegende Literaturauffassung vom Vorliegen eines unbestimmten Rechtsbegriffes ausgehen, dessen kommunalseitige Anwendung konsequenterweise vollständiger gerichtlicher Überprüfung unterliege[14], sah die ältere Rspr des OVG NRW hierin lediglich eine Direktive für „kommunalgesetzgeberisches“ Ermessen[15].
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Eine primär formale Abschichtung vermag kaum zu befriedigen. Bei dieser Argumentation des OVG NRW wird zum einen zu sehr auf angebliche Legislativkompetenzen abgestellt.
Schließlich gehören die Gemeinden als kommunale Körperschaften im Lichte der staatlichen Funktionenlehre und des Prinzips der Gewaltenteilung zum Exekutivbereich. Ein Gemeinderat ist nach seinem Aufgabenkreis demnach auch kein Parlament[16]. Siehe bereits o. Rn 80.
Zum anderen wird die logische Richtigkeit der gesetzlichen Schranke verdrängt. Demgegenüber lässt die normtheoretisch überzeugendere Gegenmeinung außer Acht, dass es sich hier um Voraussetzungen normativer Gestaltung seitens einer mit Satzungsautonomie ausgestatteten Selbstverwaltungskörperschaft handelt und nicht um Vorgaben für behördliche Einzelfallentscheidungen wie etwa Verwaltungsakte.
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Dementsprechend ist zwar einerseits der schrankensetzenden Funktion der gesetzlichen Formel als eines unbestimmten Rechtsbegriffs Rechnung zu tragen; auf der anderen Seite ist aber auch zu berücksichtigen, dass die betreffende gemeindliche Entscheidung sich nicht im Normvollzug erschöpft, sondern zugleich Ausfluss kommunaler Planungshoheit und Gestaltungsfreiheiten ist und der Einpassung in ein umfängliches, weithin eigenverantwortlich zu erstellendes Leistungs- und Versorgungsprogramm bedarf.
Damit spielen lokale Einschätzungen der Dringlichkeit – unter angemessener Wahrung objektivierbarer, von der Volksgesundheit geforderter Standards – eine herausragende Rolle. So können selbst bei vergleichbarer Sachlage unterschiedliche Entscheidungen in verschiedenen Gemeinden von Rechts wegen hingenommen werden. Hinsichtlich des Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen dürfte damit dem jeweiligen Gemeinderat ein gremiengebundener Beurteilungsspielraum zustehen, wie er inzwischen bei diversen Sachentscheidungen besonders prädestinierter Kollegialorgane anerkannt ist[17]. Hierzu tendiert augenscheinlich auch die zurückhaltender gewordene Rechtsprechung[18].