DS-GVO/BDSG. David Klein
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Privatpersonen könnten sich auf Art. 6 Abs. 1 lit. e DS-GVO demnach nur berufen, wenn ihnen die Befugnis, auf personenbezogene Daten zuzugreifen, im öffentlichen Interesse oder als Ausübung öffentlicher Gewalt übertragen wurde. Sie müssten dann anstelle einer Behörde tätig werden. Dies setzt einen wie auch immer gestalteten staatlichen Übertragungsakt voraus. Eine Privatperson könne sich nicht selbst zum Sachwalter des öffentlichen Interesses erklären. Insbesondere sei sie nicht neben oder gar anstelle der Ordnungsbehörden zum Schutz der öffentlichen Sicherheit berufen. Beim Schutz individueller Rechtsgüter, seien es ihre eigenen oder diejenigen Dritter, verfolgten sie keine öffentlichen, sondern private Interessen[374]
d) Unionsrechtskonforme Nutzung dieser Öffnungsklauseln
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Die Öffnungsklauseln der DS-GVO sind im Kern Ausdruck der Achtung der Union vor den mitgliedstaatlichen Kompetenzen im Sinne des Grundsatzes der begrenzten Einzelermächtigung sowie des Subsidiaritätsprinzips nach Art. 5 Abs. 2 und 3 EUV.[375]
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Die unionsrechtskonforme Nutzung der Öffnungsklauseln ist maßgeblich davon abhängig, wie sich das Verhältnis zwischen der unmittelbar geltenden DS-GVO und den nationalen Bestimmungen darstellt. Die Öffnungsklauseln der DS-GVO erinnern an die Umsetzungsmöglichkeiten der Mitgliedstaaten im Sinne einer Richtlinie. So gesehen, stellt die DS-GVO einen Hybrid aus Richtlinie und Verordnung dar.[376] Folglich können die Maßstäbe des Europäischen Gerichtshofes zur Beurteilung der Frage der Unionsrechtswidrigkeit von nationalen Umsetzungsakten im Falle einer Richtlinie jedenfalls dort analog herangezogen werden, wo sich der Richtliniencharakter realisiert. Danach hängt die Beurteilung der EU-Rechtskonformität im Kern maßgeblich von der Regelungsdichte sowie einer Auslegung der Tatbestandsmerkmale der Richtlinie ab.
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Für die Unionsmitglieder gilt es bei Nutzung der Öffnungsklauseln innerhalb der Regelungsdichte der DS-GVO zu verbleiben. Ferner ist das Schutzniveau der Grundverordnung als Maßstab für einzelstaatliche Regelungen zu berücksichtigen. Die Öffnungsklauseln des Art. 6 erlauben es den Mitgliedstaaten nicht, ein gegenüber der DS-GVO höheres Schutzniveau zu schaffen.[377] Gleichwohl dürfen die spezifischen Bestimmungen dieses Niveau nicht unterschreiten.[378] Zusammengefasst dürfen die Konkretisierungen also bei wertender Betrachtung keinen abweichenden Charakter entfalten. An diese Beschränkung des Umsetzungsspielraums hat sich der Gesetzgeber bspw. beim Erlass des § 9a ZensVorG 2021 nicht gehalten. Wie sich die hieraus ergebende Unionsrechtswidrigkeit der Norm auf die anhängige Verfassungsbeschwerde auswirkt bleibt abzuwarten.[379]
e) Bewertung des BDSG
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Für die Bewertung der unionsrechtskonformen Nutzung dieser Öffnungsklauseln durch den nationalen Gesetzgeber im BDSG n.F. ist in erster Linie zu überprüfen, ob der Bundesgesetzgeber dem Begriff des öffentlichen Interesses der DS-GVO ausreichend Rechnung trägt.[380]
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Im Ergebnis entspricht das BDSG den unionsrechtlichen Anforderungen der DS-GVO.[381] Dies zeigt sich an folgenden Gesichtspunkten: Zum einen hat die Kommission die Regelungen des BDSG im Rahmen des Notifizierungsverfahrens unbeanstandet gelassen. Zum anderen zeigt die Frage nach der EU-Rechtswidrigkeit des Rundfunkbeitrags[382], in dem ein offener Dissens zwischen der Auffassung der Kommission und der Bundesrepublik Deutschland bestand, darüber hinaus die grundsätzliche Möglichkeit einer Abweichung und Modifikation von europarechtlichen Vorgaben auf, ohne dass diese innerstaatlich unanwendbar wären. Die Weite der Öffnungsklausel der DS-GVO ermöglicht ebendiese Konkretisierung, Vervollständigung und Modifikation und macht diese insb. aufgrund des generalklauselartigen Charakters der Begrifflichkeit des öffentlichen Interesses notwendig.[383]
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Hinzu tritt, dass die Ausformung des Begriffs des öffentlichen Interesses in Art. 6 Abs. 2, 3 S. 3 die Fortsetzung der Begrifflichkeit aus Art. 7 lit. c und e DSRL darstellt, dessen inhaltlicher Gehalt von den Mitgliedstaaten ausgeformt wurde. Daran ändert sich auch dadurch nichts, dass die DS-GVO im Unterschied zur DSRL unmittelbare Anwendung findet. Denn entgegen der Annahme, dass der Begriff des öffentlichen Interesses keiner Interpretation durch die Mitgliedstaaten zugänglich ist, spricht bereits, dass dieser Begriff in den Mitgliedstaaten unterschiedlich beurteilt wird. Insofern ermöglichen erst Rechtssetzungsakte des nationalen Gesetzgebers eine begriffliche Konkretisierung und unterstreichen deren Notwendigkeit.[384] In der Folge ergeben sich aus einzelstaatlicher Perspektive keine begrifflichen Änderungen gegenüber der DSRL. Als öffentliches Interesse gelten im deutschen Recht demnach etwa die Regelungsbereiche der Ordnungsverwaltung einschließlich der Regelungen des Straßenverkehrs sowie die Leistungsverwaltung wie z.B. in Gestalt der Daseinsvorsorge.[385] Weshalb die Regelungen des BDSG außerhalb dieses Anwendungsbereichs liegen sollten ist nicht ersichtlich.[386]
f) Voraussetzungen unionsrechtsrechtswidriger Nutzung der Öffnungsklauseln
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Grundsätzlich gilt der Vorrang des Unionsrechts gegenüber dem mitgliedstaatlichen Recht bei Kollision unionsrechtlicher und mitgliedstaatlicher Regelungen. Diesem Regelungskomplex folgt auch die bisherige Rechtsprechungspraxis. Das BVerfG hat in seiner Solange II-Entscheidung die eigene Prüfungskompetenz auf ausbrechende Rechtsakte der Union beschränkt. Ein Regelungskonflikt besteht insoweit gerade dann, wenn eine nationale Vorschrift mit der bereits zuvor normierten DS-GVO nicht vereinbar erscheint. Der Gerichtshof erlaubt in Übereinstimmung mit deutschen Gerichten nicht, mitgliedstaatliches Recht anzuwenden, wenn es nach ihrer Auffassung gegen unmittelbar geltendes EU-Recht verstößt.[387]
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Nationales Recht wird in diesem Fall nicht nichtig, sondern bleibt exekutiv unangewendet. Dafür muss ein Unionsmitglied z.B. außerhalb einer in der DS-GVO normierten Öffnung Recht erlassen, etwa außerhalb ihres sachlichen Anwendungsbereichs gem. Art. 2. Um selbst dann von einer Rechtsanwendung ebendieses mitgliedstaatlichen Rechts abzusehen, muss die EU-Rechtswidrigkeit derart offensichtlich sein, dass sie der Gerichtshof der EU auch attestiert.[388] Hier dürften die Hürden hoch sein, weil die Nichtanwendung eine faktische Verwerfung darstellt und den Verantwortlichen in einen Normenkonflikt zwischen BDSG und DS-GVO in der Auslegung durch die Aufsicht bringt. Es besteht bei Nichtanwendung nationalen Rechts insbesondere aus Sicht der Aufsichtsbehörden das Risiko, dass die Norm etwa in einem anschließenden Verwaltungsgerichtsprozess mit Vorlage an den EuGH, doch als unionsrechtskonform eingestuft wird.[389] Das Risiko ausräumen können die Behörden nicht selbstständig, da diese nicht vorlageberechtigt sind und mithin der Weg über Art. 267 AEUV versperrt ist. Wenn einzelstaatliche Gerichte jedoch Unionsrechtsakte außer Anwendung lassen wollen, sind diese zur Vorlage nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet.[390] Weil die Aufsicht mit der faktischen Verwerfung nationalen Rechts eine besondere Rechtsunsicherheit erzeugt, ist insbesondere mit Blick auf drohende Amtshaftungsprozesse höchste Sorgfalt bei der Prüfung der Europarechtswidrigkeit geboten.
g) Art der Öffnungsklausel und Anwendungsbereich