Frauenstimmrecht. Brigitte Studer

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Frauenstimmrecht - Brigitte Studer

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aller Menschen bekannte und die politische Rechtlosigkeit von Frauen aufgrund einer wie auch immer verstandenen biologischen Differenz ablehnte.

      Einigkeit herrschte im 19. Jahrhundert aber nur in Bezug auf das Verständnis der Geschlechterordnung, das die erst raren dissidenten Stimmen noch nicht zu erschüttern vermochten; sie dienten freilich als Warnung, dass dies nicht immer so bleiben könnte. Der Streit um politische Ordnungen hingegen, zwischen direkter Demokratie und Elitenherrschaft, zwischen Republikanismus und Liberalismus, zwischen Konservatismus und Radikalismus, zwischen Landsgemeinde und Parlamentarismus, zwischen Gemeindeautonomie und Zentralismus, löste sich nie ganz auf, auch wenn sich diese Elemente in der entstehenden eidgenössischen politischen Kultur allmählich vermischten. Es herrschte jedenfalls die Vorstellung vor, dass die politische Vertretung dem Familienhaupt zukam, und dieses war legal und habituell männlich. Frauen standen in vielen Kantonen bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts unter der männlichen Vormundschaft, die verheirateten mit dem Zivilgesetzbuch von 1912 de facto sogar bis 1988. Der Rückgriff auf eine mythologisierte Schlachtengeschichte, alimentiert durch die Offizialisierung der heroischen Vergangenheit, waren der Sicherung eines männerbündischen Gemeinwesens ebenso förderlich wie das Aufblühen einer exklusiven Männersoziabilität in patriotischen Vereinen, Berufsorganisationen und nicht zuletzt in der Milizarmee.4 Zum Ursprung und Kern des Schweizer Nationalkonstrukts wurde die Landsgemeinde stilisiert. Bis weit ins 20. Jahrhundert galt sie fälschlicherweise selbst Feministinnen als das Modell, das hinter der Verfassung des Bundesstaats stand.5 Das verlieh jenen Vertretern der Kantone eine Aura der Unantastbarkeit, wenn sie behaupteten, dass das Frauenstimmrecht mit der Schweizer Demokratietradition und ihren Formen nicht kompatibel wäre. «Wenn Sie uns unsere Landsgemeinden zerstören, zerstören Sie ein Stück Heimat», meinte 1966 ein Glarner Ständerat in Verteidigung seiner «Männergemeinde».6 Erst spät verlor der Erhalt des Schweizer «Männerstaats» – so ein Befürworter des Frauenstimmrechts in derselben Debatte – an Legitimität.7 Das Bekenntnis zur nationalkulturellen Selbstwahrnehmung stellte Gleichstellungsforderungen eine Falle, argumentiert Caroline Arni, bedeutete es doch ein Bekenntnis zu einem politischen Gemeinwesen, das ohne Frauen auskam.8

      Der Weg, über die Erweiterung der zugewiesenen Rolle im häuslichen und karitativen Bereich, über die «domestication of politics»,9 Gleichstellung zu erreichen, führte daher nicht weit. Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts lösten sich einzelne Frauen von dieser Hoffnung, auf lokalpolitischer Ebene und dank ihres moralischen Auftrags zum Ziel zu kommen, und erhoben die Forderung von gleichen politischen Rechten. 1909, im selben Jahr übrigens, als in Frankreich die Union française pour le suffrage des femmes entstand, bildeten die Schweizerinnen dann ihre nationale Interessenorganisation für das «integrale» Stimm- und Wahlrecht, also für dieselben politischen Rechte wie die Männer.

      Auch dieser Weg war lang, wie im Folgenden zu zeigen ist. Nicht zuletzt, weil die Ungleichheit der Geschlechter durch die Arbeit der Behörden und Parlamente, Parteien und Gewerkschaften immer wieder neu hergestellt und konsolidiert wurde.10 Dargestellt wird zuerst das politische Handeln der Stimmrechtsaktivistinnen und -aktivisten sowie ihrer Gegnerschaft in Kantonen und Bund. Danach richtet sich der Fokus auf die Akteurinnen und Akteure. Schliesslich wird nach den argumentativen Strategien in dieser langjährigen und virulenten politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Auseinandersetzung gefragt.

Die politische Aktion

      Die Geschichte des Frauenstimmrechts in der Schweiz ist dicht und vielschichtig. Zwischen der Einführung des allgemeinen Männerstimm- und -wahlrechts 1848 und der gesamtschweizerischen Realisierung des Frauenstimmrechts 1990 durch einen Bundesgerichtsentscheid (Fall Rohner), der den Kanton Appenzell Innerrhoden zwang, seinen Widerstand gegen die politische Gleichberechtigung der Frauen aufzugeben, vergingen rund 150 Jahre. Dazwischen fanden über neunzig Abstimmungen auf eidgenössischer, kantonaler und kommunaler Ebene statt.

      Im Folgenden geht es darum, erstens eine Periodisierung vorzunehmen und die Momente des Wandels auf nationaler Ebene oder mit nationaler Bedeutung (Verfassungsrevisionen, nationale Abstimmungen und Petitionen, kantonale Abstimmungen mit nationaler Relevanz, parlamentarische Interventionen, Bundesgerichtsentscheide) zu analysieren. Inwiefern stellten sie Möglichkeitsfenster dar und welches waren die daran geknüpften Erwartungen der Befürworterinnen und Befürworter des Frauenstimmrechts? Und folgten darauf jeweils Phasen der politischen Stagnation oder des gesellschaftlichen Rückschritts? Zu fragen ist ferner, welche Taktiken die Befürworterinnen und Befürworter, aber auch die Gegnerinnen und Gegner verfolgten oder welches Aktionsrepertoire ihnen zur Verfügung stand, welche Allianzen welcher Art sie schliessen konnten und wie funktionstüchtig diese waren. Zweitens gilt es, den Blick auf die inter- und transnationale Ebene zu richten und zu fragen, welchen Einfluss die transnationalen Verflechtungen der Schweizer Feministinnen und Momente des Beitritts der Schweiz zu internationalen Organisationen oder Konventionen auf die Debatten rund um das Frauenstimmrecht hatten.

      1848 bis 1872/74: die konzeptuelle Emergenzphase

      1848 gilt gemeinhin als das Jahr, in dem der neue Bundesstaat das allgemeine oder universelle (Männer-)Stimmrecht einführte. Das stimmt so nicht. Es handelte sich nicht nur im Hinblick auf die Ausgrenzung des weiblichen Geschlechts um einen falschen Universalismus. Die Eidgenossenschaft liess zahlreiche Ausnahmen zu. Art. 74 der Bundesverfassung (BV) bestimmte lediglich, dass jeder Kantonsbürger auch Schweizer Bürger sei, denn die kantonale Niederlassungsberechtigung war Grundlage des Schweizer Bürgerrechts. Doch Frauen, Kinder, Entmündigte, Armengenössige, Konkursiten, Verbrecher oder Fremde blieben von den politischen Rechten ausgeklammert.11 Die Tagsatzungskommission nennt 437 103 Stimmberechtigte, die 1848 über die BV entscheiden konnten, was bloss zwanzig Prozent der damaligen Gesamtbevölkerung der Schweiz entsprach.12 Eine Schätzung beziffert den Anteil der effektiv Wahlberechtigten an der Gesamtbevölkerung bis 1910 auf höchstens einen Viertel.13 Im internationalen Vergleich war das zwar ein relativ hoher Wert, die «älteste Demokratie der Welt» war aber weit von «universellen» politischen Rechten entfernt.

      Zu berichtigen ist ferner die Vorstellung, dass die verfassungsgebende Tagsatzungskommission 1848 eine direkte Demokratie verabschiedet hätte. Sie wählte im Gegenteil eine liberal-repräsentative Demokratie für die Bundesebene und liess den Kantonen weitgehende Freiheit in der Organisation ihres Wahlsystems. Die Tagsatzungskommission diskutierte zwar die Ungleichbehandlung der Juden im Bereich der Niederlassungsfreiheit, verlor aber kein Wort über die mindere Rechtsstellung der Frauen und ihren Ausschluss von den politischen Rechten.14 Die Schweizer Verfassungsgeber übernahmen die Ideen der Freiheit und Gleichheit des Naturrechts, interpretierten es aber wie die Gesetzgeber in anderen Ländern auch als Gleichheit für die Gleichen, Ungleichheit für die Ungleichen.15 Nur dem männlichen Geschlecht wurden im liberal-radikalen Weltbild die für die öffentliche Sphäre notwendigen Fähigkeiten zugeschrieben, Frauen hingegen wurden diese prinzipiell abgestritten. Doch während die Ausschlussgründe für die Männer zunehmend abgebaut und gleichzeitig die demokratischen Rechte erweitert wurden, blieben die Frauen von der politischen Teilhabe rund 120 Jahre (und kantonal sogar rund 150 Jahre) ausgeschlossen – freilich nicht ganz widerspruchsfrei.

      Wiederholt vereinzelte Stimmen

      Die rechtliche Gleichstellung der Frauen und das Frauenstimm- und -wahlrecht waren Mitte des 19. Jahrhunderts keineswegs unbekannte Forderungen. In Wirklichkeit entstand die feministische Kritik des weiblichen Ausschlusses von den bürgerlichen Rechten parallel zu diesem Ausschluss.16 Den modernen Auftakt während der Französischen Revolution machte Olympe de Gouges mit ihrer Forderung «la femme a le droit de monter sur l’échafaud; elle doit avoir également celui de monter à la Tribune», was sich aber nur für den ersten Teil des Satzes bewahrheiten sollte. Als weniger folgenreich (persönlich und auch politisch) erwies sich eine Reihe späterer Interventionen, die ebenfalls den falschen Universalismus der politischen Repräsentation, wie

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